Rente und Sozialhilfe – Darf das Sozialamt die Rente behalten?

Lesedauer 3 Minuten

Viele Menschen erhalten ihre Rente erst nach lรคngerer Prรผfung rรผckwirkend bewilligt. Gleichzeitig haben sie bis zum Rentenbeginn Leistungen vom Sozialamt beziehungsweise vom Grundsicherungsamt bezogen, weil das Geld zum Lebensunterhalt fehlte.

Trifft dann die Rentennachzahlung ein, steht sofort die Frage im Raum: Darf die Behรถrde die Nachzahlung ganz oder teilweise einbehalten โ€“ und wenn ja, nach welchen Regeln?

Erstattung und Anspruchsรผbergang

Wenn eine Rente rรผckwirkend bewilligt wird, sind zuvor gezahlte Sozialleistungen fรผr denselben Zeitraum im Nachhinein โ€žnachrangigโ€œ. Das Sozialamt kann deshalb von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Erstattung verlangen.

Die DRV darf dann aus der Nachzahlung direkt an die Behรถrde zahlen, statt alles an die Rentnerin oder den Rentner auszukehren. Diese Erstattungsmechanik ist im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geregelt; ergรคnzend sieht ยง 93 SGB XII den รœbergang von Ansprรผchen auf den Grundsicherungstrรคger vor.

Eine wichtige Folge ist die sogenannte โ€žErfรผllungsfiktionโ€œ: Soweit ein wirksamer Erstattungsanspruch besteht, gilt der Rentenanspruch gegenรผber der oder dem Berechtigten als erfรผllt.

Mit anderen Worten: Der Teil der Nachzahlung, der an das Sozialamt geht, kann von der oder dem Rentenberechtigten nicht noch einmal verlangt werden. Diese Linie hat das Bundessozialgericht wiederholt bestรคtigt.

Wie die DRV konkret abrechnet

In der Praxis erstellt die DRV eine Abrechnung, die den Nachzahlungszeitraum monatsgenau aufschlรผsselt. MaรŸgeblich ist ein Monat-fรผr-Monat-Vergleich: Fรผr jeden rรผckwirkenden Monat wird der Rentenzahlbetrag der in diesem Monat tatsรคchlich erbrachten Sozialhilfe oder Grundsicherung gegenรผbergestellt.

Nur in diesem Rahmen dรผrfen Erstattungen flieรŸen; der Rest der Nachzahlung geht an die Rentnerin oder den Rentner. Auf diese monatsweise Gegenรผberstellung verweist die Verwaltungspraxis und einschlรคgige Fachauskรผnfte.

Beispielrechnung: Wenn die Rente hรถher ist als die Sozialhilfe

Angenommen, die Rente wird rรผckwirkend fรผr zwรถlf Monate mit monatlich 1.000 Euro bewilligt. Im selben Zeitraum hat das Sozialamt monatlich 700 Euro gezahlt.

Fรผr jeden dieser Monate steht dem Sozialamt eine Erstattung bis zur Hรถhe von 700 Euro zu; der darรผber hinausgehende Betrag verbleibt bei der oder dem Rentenberechtigten. Im Ergebnis wรผrden 12 ร— 700 Euro = 8.400 Euro an das Sozialamt flieรŸen, wรคhrend 12 ร— 300 Euro = 3.600 Euro als Rentennachzahlung ausgezahlt wรผrden. Dieses Rechenprinzip folgt direkt aus der monatsbezogenen Verrechnung im Erstattungsrecht.

Wenn die Sozialhilfe hรถher ist als die Rente

Fรคllt der monatliche Rentenzahlbetrag niedriger aus als die gewรคhrte Sozialhilfe, wird die Rentennachzahlung in der Regel vollstรคndig zur Erstattung herangezogen, weil die nachrangigen Leistungen die Rente im jeweiligen Monat รผbersteigen.

Aufgrund der Erfรผllungsfiktion nach ยง 107 SGB X geht dieser Anteil der Nachzahlung an den Grundsicherungstrรคger; ein Auszahlungsrest an die oder den Berechtigten bleibt dann hรคufig nicht.

Welche Leistungen erstattet werden โ€“ und welche Grenzen gelten

Erstattet werden grundsรคtzlich die im Nachzahlungszeitraum tatsรคchlich erbrachten, nachrangigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In der Grundsicherung umfasst das regelmรครŸig sowohl den Regelsatz als auch angemessene Kosten fรผr Unterkunft und Heizung, wiederum nach Monaten getrennt.

Eine Erstattung scheidet aus, soweit der nachrangige Trรคger seine Leistungen auch dann hรคtte erbringen mรผssen, wenn die vorrangige Rente rechtzeitig gezahlt worden wรคre โ€“ diese Schranke ergibt sich aus ยง 104 SGB X.

Das Abrechnungsschreiben der DRV: Was Betroffene darin finden

Betroffene erhalten von der DRV ein detailliertes Abrechnungsschreiben. Darin wird centgenau ausgewiesen, welcher Teil der Rentennachzahlung an das Sozial- bzw. Grundsicherungsamt รผberwiesen wurde und wie hoch der verbleibende Auszahlungsbetrag ist.

Das Schreiben zeigt die gesetzliche Erstattungslogik und die Erfรผllungsfiktion wider und ist Grundlage fรผr weitere Schritte, etwa fรผr Rรผckfragen bei der Behรถrde oder eine eigenstรคndige Plausibilitรคtsprรผfung.

Typische Fehlerquellen โ€“ und wie man sie vermeidet

Fehler passieren hรคufig an Schnittstellen: Erstattungsansprรผche mรผssen rechtzeitig und korrekt beim zustรคndigen Rentenversicherungstrรคger angemeldet werden; unterbleibt dies, kann eine direkte Erstattung scheitern und die Behรถrde muss gegebenenfalls andere Rechtswege beschreiten.

Ebenso wichtig ist, dass der Nachzahlungszeitraum strikt von spรคteren Monaten getrennt wird. Unsaubere Abgrenzungen, falsch berรผcksichtigte Zeitrรคume oder Rechenfehler fรผhren zu unzutreffenden Ergebnissen. Auch aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass eine fehlerhafte oder verspรคtete Geltendmachung Erstattungsansprรผche gefรคhrden kann.

Was Betroffene jetzt sinnvoll prรผfen

Wer eine Rentennachzahlung erhรคlt und zuvor Sozialhilfe oder Grundsicherung bezogen hat, sollte die DRV-Abrechnung aufmerksam lesen und mit eigenen Unterlagen abgleichen.

Entscheidend sind die Monate, fรผr die die Rente nachgezahlt wurde, die jeweils angesetzten Rentenzahlbetrรคge und die im selben Monat tatsรคchlich รผberwiesenen Sozialleistungen.

Zugleich lohnt sich ein Blick in den Rentenbescheid selbst: Vollstรคndige Versicherungszeiten, richtige Entgeltpunkte und korrekte Beginn- und Enddaten sind essenziell, weil schon kleine Abweichungen den Monatsvergleich und damit die Erstattungssummen verschieben kรถnnen. Bei Unklarheiten ist eine Rรผckfrage bei der DRV oder dem Grundsicherungstrรคger hilfreich; rechtliche Schritte mรผssen โ€“ wie stets im Sozialrecht โ€“ fristgebunden erfolgen.

Fazit

Das Sozialamt โ€žnimmtโ€œ die Rentennachzahlung nicht pauschal weg. Es erhรคlt nur, was es im identischen Nachzahlungszeitraum zuvor als nachrangige Leistung erbracht hat.

Der Rest der Nachzahlung bleibt bei der Rentnerin oder dem Rentner. MaรŸgeblich ist die monatsgenaue Gegenรผberstellung von Rentenzahlbetrag und gewรคhrten Sozialleistungen. Rechtsgrundlagen sind die Erstattungsansprรผche nach SGB X, der Anspruchsรผbergang nach ยง 93 SGB XII sowie die Erfรผllungsfiktion des ยง 107 SGB X, die die unmittelbare Verrechnung erklรคrt.

Wer die Abrechnung sorgfรคltig prรผft, erkennt schnell, ob der eigene Auszahlungsbetrag korrekt ermittelt wurde