Pflege und Hilfsmittel: Nicht von Krankenkassen täuschen lassen

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Wenn Versicherte in Deutschland auf dringend benötigte Hilfsmittel oder andere Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen angewiesen sind, zählt oft jeder Tag.

Der Gesetzgeber hat deshalb klare Entscheidungsfristen gesetzt. Dennoch entsteht in der Praxis immer wieder Streit darüber, wann diese Fristen tatsächlich zu laufen beginnen, wodurch sie unterbrochen werden können – und welche Folgen eine Fristversäumnis für die Krankenkasse hat.

Ein aktueller Fall aus der Beratungspraxis zeigt exemplarisch, wie groß die Wissenslücken selbst bei Mitarbeitern einer Krankenkasse sein können – und wie Versicherte ihre Rechte konsequent durchsetzen.

Gesetzliche Entscheidungsfristen der Krankenkassen

Grundlage der meisten Fristdiskussionen ist § 13 Absatz 3a SGB V. Die Norm verpflichtet die Krankenkasse, über einen Leistungs­antrag „zügig“ zu entscheiden, spätestens jedoch drei Wochen nach Eingang, sofern keine Einschaltung des Medizinischen Dienstes (MD) erforderlich ist.

Wird der MD beteiligt, verlängert sich die Entscheidungsfrist auf maximal fünf Wochen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn konkrete Gründe – etwa eine fehlende ärztliche Stellungnahme – schriftlich mitgeteilt werden.

Kommt die Kasse auch nach fünf Wochen nicht zu einem Bescheid, tritt die sogenannte fiktive Genehmigung ein: Die beantragte Leistung gilt als bewilligt, die Versicherten dürfen sie sich selbst beschaffen und erhalten die Kosten erstattet.

Daneben existiert eine sechsmonatige Frist für Widerspruchs­verfahren (§ 13 Absatz 3a Satz 5 SGB V) und – unabhängig vom SGB V – die allgemeine „Untätigkeitsfrist“ des § 88 SGG. Diese Norm verpflichtet sämtliche Sozialbehörden, also auch Krankenkassen, binnen sechs Monaten über einen Antrag zu entscheiden; für Widersprüche beträgt die „angemessene Frist“ sogar nur drei Monate.

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Drei Wochen, fünf Wochen, sechs Monate: Warum es zwei Fristenregime gibt

Dass mit § 13 SGB V einerseits und § 88 SGG andererseits zwei Fristenregimes nebeneinanderstehen, hat historische Gründe. Die spezialgesetzliche Regelung im SGB V will den Zugang zu medizinisch notwendigen Leistungen beschleunigen – daher die kurzen Drei- und Fünf-Wochen-Grenzen. § 88 SGG wiederum betrifft sämtliche Sozialleistungen, von der Rente bis zum Arbeitslosengeld.

Für Pflege-, Heil- und Hilfsmittelentscheidungen ist deshalb stets zuerst auf die strengeren Fristen des SGB V abzustellen. Verstreichen sie, ohne dass ein Bescheid ergeht, greift automatisch die fiktive Genehmigung; ein Versicherter muss nicht zusätzlich sechs Monate warten, um die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG erheben zu dürfen.

Untätigkeitsklage als Druckmittel

Ist die Krankenkasse untätig, können Versicherte nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist (bzw. der Drei-Monats-Frist im Widerspruch) unmittelbar Klage beim Sozialgericht erheben. Das Gericht prüft dann nicht den Leistungsanspruch selbst, sondern nur, ob die Behörde verpflichtet ist, endlich zu entscheiden.

Die Erfahrung zeigt, dass bereits die Klageerhebung erheblichen Druck ausübt: Krankenkassen geben sich oft entschlussfreudiger, wenn deutlich wird, dass der Versicherte bereit ist, seine Rechte auch gerichtlich durchzusetzen.

Fiktive Genehmigung: Chance mit Risiken

Die fiktive Genehmigung ist ein mächtiges Instrument, birgt jedoch rechtliche Unsicherheiten. Zwar muss die Kasse die vorgestreckten Kosten erstatten, sie kann die Genehmigung aber nachträglich zurückziehen, wenn sie später zum Ergebnis gelangt, dass kein Anspruch besteht.

Dann droht eine Rückforderung oder sogar die Herausgabe des Hilfsmittels. Versicherte sollten deshalb vor einer kostspieligen Selbstbeschaffung professionellen Rat einholen und – wenn möglich – schriftlich dokumentieren, dass die Frist eindeutig abgelaufen ist.

Wann ist eine Frist tatsächlich unterbrochen?

Genau hier setzte der Streit im geschilderten Fall an. Die Krankenkasse behauptete gegenüber der Versicherten, die Fünf-Wochen-Frist sei „pausiert“, weil der MD zusätzliche Unterlagen angefordert habe. Das Argument hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Denn eine Fristverlängerung oder -unterbrechung ist nur zulässig, wenn die Krankenkasse ordnungsgemäß nach § 66 SGB I vorgeht: Sie muss den Versicherten schriftlich auf seine Mitwirkungspflicht hinweisen, ihm eine angemessene Frist (typischerweise zwei Wochen) setzen und klar ankündigen, dass eine Leistung bei weiterer Untätigkeit versagt oder entzogen werden kann. Ohne diesen formellen Schritt läuft die Entscheidungsfrist weiter.

Mit anderen Worten: Ein bloßer Hinweis wie „Wir benötigen noch Unterlagen für den MD“ genügt nicht. Erst wenn die Krankenkasse ein ausdrückliches Frist- und Rechtsfolgenschreiben verschickt, ist sie berechtigt, die laufende Frist anzuhalten.

Der Praxisfall: Von der Hotline falsch informiert

Im konkreten Fall hatte die Mandantin die verlangten Unterlagen selbst noch nicht erhalten und geriet dadurch unverschuldet in Verzug. Sie meldete dies der Krankenkasse telefonisch – dort erklärte man ihr, die Frist laufe erst weiter, wenn der MD alle Unterlagen habe.

Diese Auskunft war falsch, weil kein formgerechter Mitwirkungsaufforderung­brief nach § 66 SGB I vorlag. Der Fehler hätte die Versicherte teuer zu stehen kommen können: Hätte sie auf die Hotline-Aussage vertraut, wäre womöglich der Zeitpunkt für die Durchsetzung der fiktiven Genehmigung oder für eine Untätigkeitsklage verstrichen.

Nachdem ihre Beraterin die Rechtslage erläutert hatte, entschied sich die Mandantin, die Krankenkasse schriftlich auf das Fristversäumnis hinzuweisen und vorsorglich eine Untätigkeitsklage vorzubereiten. Erst daraufhin legte die Kasse einen Bescheid vor – und genehmigte das Hilfsmittel.

Konsequenzen für Versicherte und Kassen

Der Fall zeigt, dass Versicherte ihre Rechte nur wahrnehmen können, wenn sie die Fristen exakt kennen. Krankenkassen wiederum sollten Schulungsdefizite bei ihren Mitarbeitern dringend beheben. Wer telefonisch falsche Auskünfte erteilt, gefährdet nicht nur das Vertrauen der Versicherten, sondern setzt seine Kasse möglicherweise erheblichen Kostenerstattungs­risiken aus.

Fazit

Die Fristen im Leistungs- und Widerspruchsverfahren sind kein bloßes Ordnungsrecht, sondern zentrale Patientenschutznormen. Drei Wochen ohne MD, fünf Wochen mit MD und drei beziehungsweise sechs Monate im Widerspruchs- bzw. Antragsverfahren – das sind harte Grenzen. Unterbrechungen sind nur zulässig, wenn die Krankenkasse die formalen Anforderungen des § 66 SGB I erfüllt.

Geschieht das nicht, können Versicherte eine fiktive Genehmigung geltend machen oder, spätestens nach sechs Monaten, Untätigkeitsklage erheben. Wer diese Spielregeln kennt, vergrößert seine Chancen erheblich, zeitnah an notwendige Hilfsmittel zu gelangen – und zwingt die Krankenkassen, ihren gesetzlichen Auftrag ernst zu nehmen.