Die Bundesregierung plant ab 2026 einen Wechsel bei der Übernahme der Wohnkosten. Während die Jobcenter bislang in den ersten zwölf Monaten die tatsächliche Miete übernehmen, zahlen sie künftig nur noch bis zum eineinhalbfachen der örtlichen Angemessenheitsgrenze. Diese neue Obergrenze trifft primär Menschen, die sich nicht aussuchen können, wo sie leben, weil der Wohnungsmarkt in vielen Städten extrem angespannt ist.
Inhaltsverzeichnis
Was die Reform im Alltag bedeutet
Die Folgen zeigen sich deutlich, wenn man konkrete Mietpreise betrachtet. Liegt der kommunale Richtwert etwa bei 480 Euro, übernimmt das Jobcenter künftig höchstens 720 Euro.
Eine reale Warmmiete von 900 Euro erzeugt damit einen monatlichen Eigenanteil von 180 Euro. Für viele Betroffene ist das nicht tragbar, weil die Regelleistung dafür schlicht keinen Spielraum lässt. Die neue Regelung zwingt damit bereits im ersten Leistungsjahr in einen finanziellen Druck, der bisher durch die Karenzzeit abgefedert wurde.
So hart trifft die Bürgergeld-Reform verschiedene Gruppen
Alleinerziehende in Großstädten: Eine Mutter mit zwei Kindern in München zahlt 1.450 Euro Warmmiete. Selbst eine großzügig angesetzte Angemessenheitsgrenze von 900 Euro läge mit dem neuen Faktor bei 1.350 Euro. Die fehlenden 100 Euro müsste sie aus dem Regelsatz bezahlen. Sie steht vor der Entscheidung, sich zu verschulden oder die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld herauszureißen.
Jobverlust in der Probezeit: Ein 32-jähriger Mann verliert nach vier Monaten die neue Stelle und muss Bürgergeld beantragen. Seine 780-Euro-Wohnung in Köln liegt deutlich über der voraussichtlichen Übernahmegrenze. Bereits im ersten Monat entsteht eine Deckungslücke, obwohl der Wohnungsverlust nicht selbst verschuldet ist.
Menschen mit chronischen Erkrankungen: Eine schwerbehinderte Frau in Berlin lebt seit Jahren in einer barrierearmen Wohnung, die etwas teurer ist als vergleichbare Altbauten. Nach den neuen Regeln müsste sie dennoch eine Mietsenkung verlangen oder umziehen, obwohl ein Umzug gesundheitlich kaum zumutbar wäre.
Ältere Menschen in langjährigen Mietverhältnissen: Ein 63-Jähriger, der seine Arbeit verliert, wohnt seit 18 Jahren in einer Wohnung, deren Miete aufgrund von Modernisierungen gestiegen ist. Obwohl der Wohnraum für ihn existenziell ist, würde er nach den neuen Vorgaben bereits im ersten Jahr als „unangemessen“ eingestuft und müsste Eigenanteile zahlen, die seine kleine Reserve schnell aufzehren.
Diese Beispiele zeigen, dass die Reform nicht nur theoretische Auswirkungen hat, sondern unmittelbar in stabile Lebensverhältnisse eingreift.
Wie Betroffene reagieren sollten, um Mietschulden und Sanktionen zu vermeiden
Wird die Miete als unangemessen eingestuft, kommt es fast immer zu einer schriftlichen Aufforderung des Jobcenters, die Kosten zu senken. Betroffene sollten diesen Bescheid unbedingt aufbewahren und schriftlich bestätigen, dass sie nach einer günstigeren Wohnung suchen. Selbst wenn keine passende Wohnung zu finden ist, schützt diese Dokumentation vor dem Vorwurf, nicht mitgewirkt zu haben.
Bei Verdacht auf überhöhte Mieten oder Verstöße gegen die Mietpreisbremse sollten Betroffene die geforderte Mietsenkung schriftlich, nachweisbar und möglichst sachlich an den Vermieter richten. Empfehlenswert ist eine kurze Begründung mit Hinweis auf die Prüfung durch das Jobcenter.
Reagiert der Vermieter nicht, sollten Bürgergeld-Beziehende das Jobcenter sofort informieren, da solange keine Kürzung erfolgen darf. Wichtig ist außerdem, niemals eigenmächtig weniger Miete zu zahlen, da dies zu sofortigen Kündigungen führen kann.
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Bescheid prüfenWer krank, überfordert oder eingeschränkt ist, sollte frühzeitig schriftlich mitteilen, warum bestimmte Schritte nicht selbst erledigt werden können. Jobcenter sind verpflichtet, gesundheitliche Einschränkungen zu berücksichtigen. Ohne diese Mitteilung kann jedoch fälschlicherweise der Eindruck entstehen, Betroffene verweigerten ihre Mitwirkung.
Quadratmeterhöchstmiete: Warum viele Wohnungen künftig automatisch als zu teuer gelten
Mit der neuen Quadratmeterhöchstmiete will die Regierung Wuchermieten und Schrottimmobilien verhindern. Die Kommunen sollen festlegen, welcher Preis pro Quadratmeter noch zulässig ist. Überschreitet eine Wohnung diesen Wert, gilt sie sofort als „unangemessen“, selbst wenn die Gesamtmiete nur knapp darüber liegt. In teuren Ballungsräumen wird das viele Bürgergeld-Haushalte treffen, weil selbst einfache Wohnungen inzwischen Preise deutlich über diesen Schwellen haben.
Sanktionen mit massiven Folgen für die Wohnsicherheit
Kommen Sanktionen hinzu, verschärft sich die Lage dramatisch. Wenn die Jobcenter nach mehreren verpassten Terminen auch die Wohnkosten streichen dürfen, entstehen Mietrückstände fast automatisch. Vermieter reagieren darauf oft schneller, als Betroffene reagieren können. Eine Kündigung kann schon nach einem Monat erfolgen, sodass Wohnungslosigkeit plötzlich real wird, selbst wenn Betroffene bislang alles bezahlt haben.
Wie teuer Wohnen wirklich ist: Typische Mieten in 20 deutschen Städten
Diese Werte zeigen, dass in vielen Städten selbst einfache Wohnungen weit über den Grenzen liegen, die Jobcenter voraussichtlich akzeptieren werden. Für Bürgergeld-Beziehende bedeutet das, dass die Deckungslücke in zahlreichen Regionen strukturell eingebaut wird.
| Stadt | Durchschnittliche Warmmiete für kleine Wohnungen (ca. 45–55 m²) |
| München | 1.150€ |
| Frankfurt am Main | 1.020€ |
| Stuttgart | 980€ |
| Freiburg | 940€ |
| Köln | 910€ |
| Düsseldorf | 900€ |
| Hamburg | 950€ |
| Berlin | 880€ |
| Mainz | 900€ |
| Wiesbaden | 920€ |
| Bonn | 870€ |
| Nürnberg | 820€ |
| Hannover | 780€ |
| Leipzig | 690€ |
| Dresden | 700€ |
| Dortmund | 720€ |
| Bochum | 690€ |
| Essen | 710€ |
| Bremen | 760€ |
| Duisburg | 650€ |
FAQ: Die fünf wichtigsten Fragen zur neuen Wohnkostenregelung
1. Muss ich ab 2026 auch im ersten Jahr meiner Bürgergeld-Bedürftigkeit Eigenanteile zahlen?
Ja. Jobcenter übernehmen die Miete nur noch bis zum eineinhalbfachen der örtlichen Angemessenheitsgrenze. Liegt Ihre tatsächliche Miete darüber, müssen Sie die Differenz selbst tragen – auch im ersten Jahr.
2. Was passiert, wenn ich keine günstigere Wohnung finde?
Sie müssen nachweislich suchen und dies dem Jobcenter mitteilen. Solange keine realistische Alternative verfügbar ist, dürfen die Jobcenter nicht einfach die Zahlung einstellen, auch wenn die Miete formal „unangemessen“ bleibt.
3. Wie fordere ich eine Mietsenkung beim Vermieter korrekt ein?
Die Aufforderung sollte schriftlich und nachweisbar erfolgen, idealerweise per Einwurf-Einschreiben oder persönlicher Abgabe gegen Empfangsbestätigung. Wichtig ist ein kurzer Hinweis, dass das Jobcenter die Prüfung der Mietpreisbremse verlangt hat.
4. Kann das Jobcenter meine Miete streichen, wenn ich krank oder verhindert bin?
Nein, sofern Sie dem Jobcenter schriftlich mitteilen, dass gesundheitliche oder soziale Gründe Sie an der Mitwirkung hindern. Ohne diese Mitteilung kann das Amt aber von „fehlender Mitwirkung“ ausgehen und Leistungen kürzen.
5. Droht wirklich Wohnungslosigkeit durch die neuen Sanktionen?
Ja. Wenn Jobcenter nach mehreren versäumten Terminen auch die Wohnkosten einstellen, entstehen unmittelbar Mietrückstände. Diese können schnell zu Kündigungen führen, insbesondere bei privaten Vermieter*innen.
Fazit
Die Bundesregierung argumentiert, dass sie Missbrauch bekämpfen und Kosten senken müsse. Fachleute und Sozialverbände halten dagegen, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum das zentrale Problem ist. Ohne eine massive Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus wirken die neuen Regeln wie ein Versuch, die Realität der Mieten den Tabellenwerten anzupassen – und nicht umgekehrt.
Für Bürgergeld-Beziehende entsteht dadurch eine gefährliche Lücke zwischen Recht und Realität. Wer in einer Stadt wohnt, in der die Mieten chronisch über den Angemessenheitsgrenzen liegen, wird ab 2026 schon im ersten Jahr mit finanziellen Belastungen konfrontiert, die schnell existenzbedrohend werden. Die Reform verlagert damit das Risiko steigender Mietpreise vollständig auf die Schwächsten im System.




