Ist das Persönliche Budget eine Alternative zum Pflegegeld?

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Wer zu Hause Unterstützung benötigt, steht in Deutschland vor zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten: dem Pflegegeld der sozialen Pflegeversicherung und dem Persönlichen Budget aus dem Rehabilitations- und Teilhaberecht.

Beide zahlen Geld aus, beide versprechen mehr Selbstbestimmung – und doch verfolgen sie verschiedene Ziele, beruhen auf unterschiedlichen Gesetzen und lassen sich nur begrenzt gegeneinander austauschen.

Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt ordnet ein, erklärt Überschneidungen und Abgrenzungen und zeigt, in welchen Situationen welches Instrument passt.

Was Pflegegeld leisten soll

Pflegegeld ist eine Leistung der sozialen Pflegeversicherung. Es unterstützt pflegebedürftige Menschen, die zu Hause versorgt werden – in der Regel von Angehörigen, Freundinnen und Freunden oder ehrenamtlich Helfenden. Anspruch und Höhe richten sich nach dem festgestellten Pflegegrad. Die Leistung will häusliche, informell organisierte Pflege absichern.

Sie ist zweckgebunden für pflegerische Unterstützung, wird jedoch ohne Einzelnachweis der Ausgaben ausgezahlt. “Verpflichtend sind aber regelmäßige Beratungseinsätze eines Pflegedienstes, die Qualität und Stabilität der Versorgung im Blick behalten sollen”, sagt Dr. Utz Anhalt.

Alternativ zum Pflegegeld können ambulante Pflegesachleistungen oder eine Kombination aus beidem in Anspruch genommen werden. “Das System kennt damit unterschiedliche Wege, Pflege zu Hause abzusichern, bleibt aber stets im Rahmen der Pflegeversicherung”, so Anhalt.

Was das Persönliche Budget bezweckt

Das Persönliche Budget stammt aus dem Teilhaberecht. Es richtet sich an Menschen mit Behinderungen oder drohender Behinderung und übersetzt bewilligte Teilhabeleistungen in eine monatliche Geldleistung oder eine Gutscheinlösung.

Statt fest zugewiesener Sachleistungen erhält die leistungsberechtigte Person ein Budget, mit dem sie Assistenz, Begleitung, Hilfen im Alltag, Arbeits- oder Studienassistenz, Mobilitätshilfen oder andere Teilhabeleistungen selbst einkauft und steuert. Kern sind Zielvereinbarungen und Ergebnisorientierung: Bewilligt wird nicht eine starre Maßnahme, sondern die Mittel, um vereinbarte Ziele selbstbestimmt zu erreichen.

Das Budget kann sich – als sogenanntes trägerübergreifendes Persönliches Budget – aus Mitteln verschiedener Leistungsträger zusammensetzen, etwa der Eingliederungshilfe, Unfall- oder Rentenversicherung. Es bleibt aber in seinem Zweck auf Teilhabe ausgerichtet.

Unterschiedliche Rechtsgrundlagen und Zielrichtungen

Pflegegeld soll pflegerische Grundversorgung im häuslichen Umfeld sichern. Das Persönliche Budget soll Teilhabe ermöglichen und Barrieren abbauen, damit ein möglichst selbstbestimmtes Leben in Bildung, Arbeit und Gesellschaft gelingt.

Beide Systeme sind damit komplementär, nicht deckungsgleich. Während Pflege Leistungen rund um Körperpflege, Ernährung, Mobilität oder hauswirtschaftliche Versorgung adressiert, finanziert das Persönliche Budget Assistenz, die gesellschaftliche, schulische, berufliche und soziale Teilhabe sicherstellt. Überschneidungen können im Alltag spürbar sein, die juristische Zielrichtung bleibt jedoch verschieden.

Finanzierung und Zuständigkeiten

Pflegegeld kommt aus der Pflegeversicherung. Das Persönliche Budget wird aus den Kassen der jeweils zuständigen Rehabilitationsträger oder der Eingliederungshilfe finanziert. Leistungen der Pflegeversicherung gehören rechtlich nicht zu den „Leistungen zur Teilhabe“ und werden deshalb grundsätzlich nicht in ein Persönliches Budget „umgewandelt“.

In der Praxis beteiligen sich Pflegekassen daher in der Regel nicht als Budgetträger. Anders sieht es bei „Hilfe zur Pflege“ aus der Sozialhilfe aus: Diese kann – je nach Konstellation – in Budgetform erbracht werden und dann mit Teilhabeleistungen in einem trägerübergreifenden Budget zusammenfließen.

Leistungsinhalte und Abgrenzung im Alltag

Gerade bei Assistenz im Alltag berühren sich Pflege und Teilhabe. Eine Begleitung zum Amt oder zur Hochschule ist typischerweise Teilhabeassistenz und damit budgetfähig. Unterstützung bei der Körperpflege fällt in den Kernbereich der Pflegeversicherung. Hauswirtschaftliche Hilfe kann je nach Zielrichtung beiden Sphären zugeordnet werden.

Entscheidend sind Zweck und Zielvereinbarung: Dient die Hilfe der pflegerischen Grundversorgung, spricht vieles für die Pflegeversicherung. Ermöglicht sie vorrangig Teilhabe – etwa das Ausüben eines Berufs oder eines Studiums – ist das Persönliche Budget der naheliegende Weg. Doppelfinanzierungen sind ausgeschlossen; Zuständigkeiten müssen sauber geklärt werden.

Kann das Persönliche Budget Pflegegeld ersetzen?

“Im strengen Sinn: nein”, sagt der Experte. Denn das Persönliche Budget “ist keine Alternative zum Pflegegeld, weil es einen anderen Zweck verfolgt und auf anderen Rechtsgrundlagen beruht”. Es kann Pflegegeld weder „ablösen“ noch in dessen Höhe ersetzt werden. Was es leisten kann: Es ergänzt Pflegegeld dort, wo Teilhabeanforderungen bestehen, die mit Pflegeleistungen nicht abgedeckt sind.

Für Menschen mit hohem Assistenzbedarf kann das Persönliche Budget die Organisation eines eigenen Assistenzteams ermöglichen, um Studium, Arbeit oder Familienleben zu realisieren, während Pflegebedarfe weiterhin über Pflegegeld, Pflegesachleistungen oder Kombinationsleistungen abgesichert werden.

“Für Betroffene, die Sozialhilfe erhalten, kann  aber„Hilfe zur Pflege“ in Budgetform erbracht und mit Teilhabeleistungen in einem gemeinsamen Budget verknüpft werden – funktional wirkt das wie eine Alternative zu klassischen Sachleistungen, aber nicht zum Pflegegeld aus der Versicherung.”

Praxisnahe Beispiele

Eine Studentin mit Pflegegrad organisiert die Grundpflege innerhalb der Familie und erhält dafür Pflegegeld. Parallel nutzt sie ein Persönliches Budget, um Study-Assistants zu finanzieren, die mitschreiben, Literatur beschaffen und Wege begleiten. Das Budget ersetzt das Pflegegeld nicht, sondern schließt die Teilhabelücke im Hochschulalltag.

Ein Arbeitnehmer mit erheblichem Assistenzbedarf stellt über ein trägerübergreifendes Persönliches Budget ein Team persönlicher Assistenzen an, das Arbeitsweg, Arbeitsplatz und Freizeit abdeckt.

Für morgendliche und abendliche Grundpflege nutzt er Pflegesachleistungen eines ambulanten Dienstes. Die Systeme greifen ineinander, ohne sich zu doppeln.

Eine Rentnerin mit geringen Einkommen bezieht neben Pflegegeld ergänzende „Hilfe zur Pflege“ aus der Sozialhilfe. Diese Hilfe kann – je nach Entscheidung des Trägers – in Budgetform gewährt werden. Sie gewinnt damit mehr Steuerungsmöglichkeiten, das Pflegegeld aus der Versicherung bleibt unverändert.

Beantragung und Verfahren

Für Pflegegeld ist eine Einstufung in einen Pflegegrad erforderlich. Der Medizinische Dienst oder ein Gutachter des privaten Pendants beurteilt die Pflegebedürftigkeit, danach setzt die Pflegekasse die Leistungen fest. Beratungseinsätze sind verpflichtend; ein Wechsel zu Sach- oder Kombinationsleistungen ist möglich.

Das Persönliche Budget beginnt mit einem Antrag beim mutmaßlich zuständigen Träger. Es folgt eine Bedarfsermittlung, aus der Zielvereinbarungen hervorgehen.

Die Budgethöhe orientiert sich am individuell festgestellten Bedarf und an den Kosten, die bei Sachleistungserbringung anfallen würden. Ausgezahlt wird regelmäßig monatlich; die Verwendung wird in vereinbarter Form nachgewiesen. Bei trägerübergreifenden Budgets koordiniert ein federführender Träger das Verfahren.

Steuerungsvorteile und Hürden

Pflegegeld ist niedrigschwellig, planbar und lässt familiäre Pflegearrangements zu, bindet aber pflegerische Verantwortung stark an das private Umfeld und setzt Grenzen, wenn Teilhabeanforderungen ins Spiel kommen.

Das Persönliche Budget eröffnet weitreichende Gestaltungsspielräume, verlangt jedoch Organisation, Arbeitgeberpflichten bei eigener Assistenz und die Bereitschaft, Zielvereinbarungen mit Leben zu füllen. Wo Zuständigkeiten unklar sind, können Verfahren langwierig werden. Gute Beratung – etwa durch Pflege- oder Teilhabeberatungsstellen – ist daher zentral.

Für wen sich was anbietet

Wer primär pflegerische Unterstützung in vertrauter Umgebung braucht und diese vor allem im Familien- oder Freundeskreis organisiert, wird mit Pflegegeld gut fahren und kann bei wachsendem Bedarf auf Sach- oder Kombinationsleistungen umstellen.

Wer darüber hinaus aufgrund einer Behinderung Assistenz zur sozialen, schulischen oder beruflichen Teilhabe benötigt, sollte das Persönliche Budget zusätzlich prüfen.

Für Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe oder Sozialhilfe beziehen, kann ein Persönliches Budget die Selbststeuerung deutlich stärken und – wo sinnvoll – auch pflegebezogene Hilfen in Budgetform einbinden, ohne das Pflegegeld aus der Versicherung zu ersetzen.

Fazit

Das Persönliche Budget ist keine Alternative zum Pflegegeld, sondern ein eigenständiges Instrument für Teilhabe und Selbstbestimmung. In der Praxis entfaltet es seine Stärke als Ergänzung: Es füllt die Lücken, die pflegerische Leistungen naturgemäß lassen, und ermöglicht ein Leben nach eigenen Vorstellungen – in Ausbildung, Beruf und Gesellschaft.

“Wer beides klug kombiniert, vermeidet Doppelstrukturen, nutzt rechtliche Spielräume und gewinnt am Ende genau das, worauf beide Instrumente ausgerichtet sind: mehr Selbstständigkeit und verlässliche Unterstützung im Alltag”, sagt der Experte abschließend.