Die Thüringer SPD-Landräte Matthias Jendricke und Marko Wolfram einen wollen, dass Migranten und Geflüchtete Bürgergeld-Leistungen nur noch als eine Art Darlehen erhalten. Konkret: Bestimmte Sozialleistungen für erwachsene Flüchtlinge und andere Migranten sollen nicht länger als Zuschuss gewährt werden, sondern als zinsloses Darlehen – mit Anreizen für schnelle Integration und Rückzahlung.
Das Modell orientiert sich am BAföG-Prinzip, verspricht Entlastung der Kommunen und setzt zugleich auf zusätzlichen Druck zur Arbeitsmarktintegration.
Inhaltsverzeichnis
Was wird konkret gefordert?
Gemeint damit sind drei Gruppen: volljährige Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge sowie Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Minderjährige wären ausgenommen.
Nach derzeitigem Stand beträfe dies insgesamt knapp zwei Millionen Menschen, die je nach Status Bürgergeld, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.
Künftig sollen diese laufenden Leistungen als zinslose Darlehen ausgezahlt werden, so der Vorschlag. Wer rasch eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufnähme, müsste nur einen Teil zurückzahlen.
Rückzahlungen könnten bei früher Tilgung sinken; ergänzend skizzieren die Initiatoren eine Bonuslogik, die etwa bei bestandenen Sprachprüfungen oder beim Schulabschluss von Kindern Nachlässe vorsieht.
Konkrete Prozentsätze und Fristen existieren bislang nicht als offizieller Gesetzentwurf, vielmehr kursieren die Eckdaten über Medienberichte.
Verfassungsrechtlich nicht umsetzbar
Der Vorschlag bewegt sich in einem hochsensiblen Feld. Der Staat ist verpflichtet, das menschenwürdige Existenzminimum zu sichern.
Bürgergeld nach SGB II und die parallelen Regelbedarfe im SGB XII dienen diesem Zweck; Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz liegen darunter und können teilweise als Sachleistungen erbracht werden, die medizinische Versorgung ist dort auf Akutfälle und das Notwendige beschränkt.
Die Überführung existenzsichernder Leistungen in ein generelles Darlehenssystem kollidiert mit der Logik der Grundsicherung und des Grundgesetzes: Darlehen sind im Sozialrecht zwar bekannt – etwa zur Überbrückung besonderer, vorübergehender Bedarfe –, das pauschale „Verschulden“ für den Lebensunterhalt würde jedoch den Kern der Existenzsicherung berühren.
Eine verfassungsrechtliche Prüfung wäre unausweichlich. Befürworter könnten argumentieren, dass Nachlässe, Boni und Härtefallklauseln das Existenzminimum unangetastet ließen; Kritiker werden entgegenhalten, dass Schuldenlast und Rückzahlungsdruck reale Teilhabechancen mindern und damit den Schutzzweck aushöhlen.
Verwaltung: Zwischen Steuerungsanspruch und Vollzugsaufwand
Selbst wenn das Konzept rechtlich tragfähig gestaltet würde, bleibt die Frage der Umsetzbarkeit. Ein Darlehenssystem in dieser Breite erfordert Fallführung, Tilgungspläne, Erlassentscheidungen und die Dokumentation von Bonusereignissen wie Sprachprüfungen oder Schulabschlüssen.
Die Jobcenter und Sozialämter wären gefordert, für Hunderttausende bis Millionen Leistungsberechtigte Kreditkonten zu führen und Rückflüsse zu vollstrecken.
Kritiker warnen vor einem unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und vor einer Vollzugslücke: Wer kein pfändbares Einkommen erzielt, kann schwerlich tilgen.
Der vielzitierte Satz „wo nichts ist, kann man auch nichts holen“ verweist auf eine praktische Grenze jeder Rückforderungspolitik.
Arbeitsmarkt und Integration: Anreize, Nebenwirkungen, offene Fragen
Die Initiatoren wollen Anreize setzen, Integration zu beschleunigen. Die Botschaft ist klar: Je schneller Erwerbstätigkeit und Sprache, desto geringer die Schuld. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht steht dem ein komplexes Bild gegenüber.
Ein Teil der Betroffenen trifft auf Sprachbarrieren, fehlende Anerkennung von Qualifikationen, gesundheitliche Belastungen oder Betreuungspflichten. Schulden können hier zur psychologischen Hürde werden, die eher bremst als beflügelt.
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenZugleich bleibt unklar, wie sich ein Kreditregime auf besonders verletzliche Gruppen auswirkt, etwa Alleinerziehende oder Menschen mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit. Ohne fein austarierte Erlass- und Härtefallregelungen droht ein System, das statt Integration vor allem Verschuldung produziert.
Status quo: Wer bekommt wann was?
Anerkannte Flüchtlinge erhalten in der Regel Bürgergeld nach SGB II, sofern sie erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Nicht erwerbsfähige Menschen fallen unter das SGB XII; die Regelbedarfe entsprechen der Höhe nach dem Bürgergeld. Asylbewerberleistungen liegen deutlich darunter, können als Sachleistungen erbracht werden und sehen nur eine minimal abgesicherte Gesundheitsversorgung vor.
Der Darlehensvorstoß würde daher nicht nur finanzielle Ströme umetikettieren, sondern das Verständnis von Grundsicherung selbst neu definieren.
Reaktionen in der SPD: Offene Flanke, offene Debatte
Weil der Impuls aus der SPD kommt, beginnt die Auseinandersetzung in den eigenen Reihen. Thüringens SPD-Landeschef Georg Maier nennt das Modell unausgereift.
Die migrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Rasha Nasr, lehnt ein „Schuldsystem“ ab und verweist auf die soziale Schutzfunktion der Leistungen.
Kritik auch von Grünen, Linken und Menschenrechtsorganisationen
Die Grünen warnen vor einer „Zwangsverschuldung der Ärmsten“, wie der Thüringer Landessprecher Luis Schäfer formuliert. Aus der Linken heißt es, der Vorstoß sei eine „Bankrotterklärung“; die Thüringer Abgeordnete Katharina König-Preuss spricht von einem „schäbigen“ Kurs, der “rassistischen Stimmungen Vorschub leiste”. PRO ASYL kritisiert den Plan als “unsozial, realitätsfern und voraussichtlich verfassungswidrig”.
Die Hauptkritik lautet: Fluchtursachen lassen sich nicht über niedrige Leistungen steuern, Schulden erschweren Sprache, Qualifizierung und Arbeitsaufnahme. Der menschenrechtliche Kompass und integrationspraktische Erwägungen laufen hier zusammen.
Zustimmung aus Union und Wirtschaft
Aus Teilen der Union und wirtschaftsnahen Verbänden kommen wohlwollende Töne. CDU-Politiker Philipp Amthor hält das Modell für prüfenswert und spricht von einem „gewissen Charme“.
Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, lobt die „vernünftigen Vorschläge“ aus der kommunalen Praxis. Zugleich liegt kein konkreter Gesetzestext vor, und auch in der Union überwiegen Abwägungen: Die Frage nach Verwaltungsaufwand, Rückzahlbarkeit und Ausnahmen bleibt virulent.
Sahra Wagenknecht ordnet den Vorstoß als Symptom überlasteter Kommunen ein, gerade weil er aus der SPD komme. Inhaltlich plädiert sie dafür, anerkannte Flüchtlinge, die noch nicht in die Sozialsysteme eingezahlt haben, in das Asylbewerberleistungsgesetz zu überführen; bei abgelehnten Anträgen sollten Zahlungen enden. Darlehen lehnt sie als praktisch untauglich ab.
Ukraine-Regelungen und Kurskorrekturen
Der Vorstoß fällt in eine Phase genereller Neujustierung. In der Debatte stehen insbesondere ukrainische Geflüchtete im Bürgergeldbezug. Die CSU forderte teils einschneidende Kürzungen; Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach sich für eine Überführung in das niedrigere Asylbewerberleistungsniveau aus.
Parallel arbeitet das Bundesarbeitsministerium an einem Gesetzentwurf, wonach Ukrainer, die ab dem 1. April 2025 einreisen, zunächst Asylbewerberleistungen statt Bürgergeld erhalten; für bereits hier lebende Menschen ist eine Übergangsregel vorgesehen.
Auch die Kommunikation zieht nach: Die Bundesagentur für Arbeit will Informationsangebote in Fremdsprachen ab 2026 überwiegend einstellen und künftig primär auf Deutsch kommunizieren.
Der Koalitionsvertrag formulierte den Anspruch, Anreize zur Einwanderung in die Sozialsysteme zu reduzieren und Migration stärker zu ordnen und zu steuern. In diese Gemengelage reiht sich nun die Kreditidee ein.
BAföG als Blaupause?
Der Vergleich mit dem BAföG trägt nur begrenzt. Zwar kennt auch das Ausbildungsförderungsrecht die Mischung aus Zuschuss und Darlehen; es richtet sich aber an eine klar definierte, befristete Lebensphase mit erwartbarer Einkommensperspektive und umfangreichen Erlass- und Freistellungsregeln. Existenzsicherung für Erwerbsfähige und Schutzbedürftige folgt anderen Prämissen.
Die Gefahr, dass ein Darlehensmechanismus strukturell an Menschen mit geringen Chancen „hängenbleibt“, ist im Grundsicherungssystem wesentlich größer. Das gilt umso mehr, als Integration nicht allein eine Frage individueller Anstrengung ist, sondern auch von Kursangeboten, Anerkennungsverfahren und regionalen Arbeitsmärkten abhängt.