Diese Änderungen für Menschen mit Schwerbehinderung haben es in sich

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Als CDU, CSU und SPD am 9. April 2025 ihren 162‑Seiten‑Vertrag unterzeichneten, betonten sie gleich zu Beginn ihre Orientierung an der UN‑Behindertenrechtskonvention und kündigten „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe“ an.

Schon in den Verhandlungen galt das Kapitel Inklusion als eines der wenigen, auf das sich die Partner rasch einigen konnten. Der Vertrag enthält deshalb ungewöhnlich viele Passagen, die sich ausdrücklich an rund 13 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland richten.

Dr. Utz Anhalt: Welche Verbesserungen sollen kommen?

Wie verbindlich ist das Ziel einer barrierefreien Bundesarchitektur?

Ein zentraler Satz findet sich in Zeile 644 ff. des Vertrags: Alle öffentlich zugänglichen Gebäude des Bundes sollen bis 2035 barrierefrei sein.

Damit rücken Aufzüge, Leitsysteme, kontrastreiche Beschilderung und taktile Orientierungshilfen von einer bloßen Empfehlung zu einem politisch fixierten Zeithorizont auf. Bau‑ und Liegenschaftsverwaltung des Bundes erhalten damit einen klaren Auftrag – doch solange keine Etappenziele und keine Sanktionen bei Verzug definiert sind, bleibt offen, ob aus dem Versprechen ein verbindlicher Umsetzungsplan wird.

Bundeskompetenzzentrum für Leichte Sprache und Gebärdensprache

Barrieren entstehen nicht nur aus Stufen und schmalen Türen, sondern ebenso aus komplexer Verwaltungssprache. Ein neues Kompetenzzentrum soll künftig Fachwissen bündeln, Standards entwickeln und Behörden wie Unternehmen beraten.

Die Initiative greift eine langjährige Forderung von Behindertenverbänden auf, die weiter kritisieren, deutsche Gesetze würden zwar Übersetzungen in Leichte Sprache zulassen, doch nur selten tatsächlich liefern. Mit einem zentralen Ansprechpartner könnte die Qualitätssicherung erstmals institutionell verankert werden.

Welche Chancen eröffnen die Reformpläne für Werkstätten und den allgemeinen Arbeitsmarkt?

Weniger als ein Prozent der Beschäftigten in Werkstätten schafft heute den Sprung in reguläre Jobs. Die Koalition will hier einen doppelten Hebel ansetzen: Sie will Arbeitgeber‑Anlaufstellen, Berufsrehabilitation und Arbeitsagentur eng vernetzen – und zugleich das Werkstattentgelt erhöhen, finanziert aus der Ausgleichsabgabe.

Das klingt nach einem Fortschritt, doch ohne verbindliche Quoten oder Budgets steht zu befürchten, dass die Versprechen zu Förderprogrammen ohne Reichweite verkommen.

Die Koalition bekennt sich außerdem ausdrücklich zum Bestand der Werkstätten; Kritiker fürchten, dass dieser Passus den nötigen Druck zur Öffnung des ersten Arbeitsmarktes mindern könnte.

Neue digitale Barrierefreiheit

Drei Ziele nennt das Regierungsbündnis: rascher Abbau digitaler Barrieren in Bund, Ländern und Kommunen, Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen im Umgang mit digitalen Werkzeugen und der frühzeitige Einbau inklusiver Kriterien in alle KI‑Initiativen.

Besonders sichtbar wird das Vorhaben am Projekt eines digitalen Schwerbehindertenausweises, der künftig in einer EU‑weit kompatiblen Wallet liegen soll.

Die fachliche Herausforderung liegt darin, vom barrierefreien Frontend bis zur barrierefreien Amtssignatur den gesamten Prozess durchzudeklinieren.

Weniger Bürokratie und mehr Teilhabe

Die Zusammenführung von Eingliederungshilfe und Pflegeleistungen „aus einer Hand“ verspricht weniger Anträge, weniger Gutachten und schnellere Bewilligungen. In der Praxis müssen jedoch 17 Länder und 401 Kreise ihre Zuständigkeiten sortieren.

Ob die Koalition hier ein echtes Durchgriffsrecht erhält oder an die Kooperationsbereitschaft der Länder appelliert, bleibt unklar. Immerhin kündigt das Papier eine Evaluation der Bundesteilhabegesetze an – ein Punkt, der den Weg zu verbindlicheren Regelungen ebnen könnte.​

Geplante Verschärfung des Strafrechts zum Schutz vor Gewalt

Künftig soll Mord an Menschen mit Behinderung ausdrücklich als strafverschärfendes Merkmal gelten. Für schwere Körperverletzung und Raub ist eine entsprechende Anpassung in Prüfung. Fachjuristen begrüßen das Signal, verweisen jedoch darauf, dass personelle Ausstattung von Polizei und Justiz sowie barrierefreie Zeugenvernehmungen mindestens ebenso wichtig sind, um Betroffene überhaupt zu einer Anzeige zu ermutigen.

Was bleibt zu tun?

Ein Koalitionsvertrag ist eine politische Selbstverpflichtung, kein Gesetzestext. Ob die Ampel‑Nachfolgerin der „Großen Koalition 2025“ ihre großen Worte mit kleingedruckten Haushaltsansätzen unterfüttert, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Behindertenverbände kündigen bereits an, jede Haushaltsberatung und jedes Gesetzgebungsverfahren kritisch zu begleiten.

Genau daran knüpft Dr. Zanalt in seinem Video an: Er fordert die Öffentlichkeit auf, der Regierung genau auf die Finger zu schauen – denn nur couragierter Druck von außen macht Absichtserklärungen zu echten Fortschritten.

Die kommenden Monate werden erweisen, ob die neuen Vorhaben mehr sind als wohlformulierter Optimismus. Der Koalitionsvertrag setzt einen Rahmen, doch Wirklichkeit wird Inklusion erst, wenn der barrierefreie Eingang nicht nur gebaut, sondern am Ende auch von allen genutzt wird.