Das solltest du zu Erwerbsminderungsrente bei Depression wissen – EM-Rente

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In Deutschland ist die Erwerbsminderungsrente längst kein Randphänomen mehr. Mehr als zwei Fünftel aller Neurenten werden inzwischen aufgrund psychischer Leiden bewilligt, allen voran Depressionen.

Nach aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung entfielen im Jahr 2023 bereits 41,8 Prozent der erstmals bewilligten Erwerbsminderungsrenten auf seelische Erkrankungen – ein Anteil, der sich seit der Jahrtausendwende nahezu verdoppelt hat.

Hinter diesen nüchternen Statistiken stehen zehntausende Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigener Arbeit zu bestreiten: 2023 waren es rund 73 000 Erst­rentnerinnen und -rentner mit einem psychischen Hauptleidensdruck.

Gesetzlicher Rahmen: Was unter Erwerbsminderung verstanden wird

Sozialrechtlich unterscheidet die Rentenversicherung zwischen teilweiser und voller Erwerbsminderung.

Teilweise erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründen täglich weniger als sechs, aber noch mindestens drei Stunden unter üblichen Arbeitsmarktbedingungen arbeiten kann.

Volle Erwerbsminderung liegt erst dann vor, wenn selbst eine dreistündige Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Entscheidend ist stets die Leistungsfähigkeit in allen denkbaren Berufen, nicht in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit.

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Viele Hürden

Neben den medizinischen Kriterien müssen Antragstellende versicherungsrechtliche Fristen erfüllen: Mindestens fünf Jahre müssen seit der ersten Pflichtbeitragszahlung vergangen sein, die sogenannte allgemeine Wartezeit.

Außerdem müssen innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge liegen. Wer Kinder erzogen, Angehörige gepflegt oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet hat, erfüllt diese Vorgabe ebenso wie regulär Beschäftigte.

Für Betroffene, die schon in jungen Jahren voll erwerbsgemindert wurden, sieht das Gesetz eine Sonderregel mit einer auf 20 Jahre verlängerten Wartezeit vor.

Sonderfälle und Arbeitsmarktrente

Besondere Regeln gelten für vor dem 2. Januar 1961 Geborene: Für sie kann noch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Betracht kommen, wenn der erlernte Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann.

Eine weitere Besonderheit ist die sogenannte Arbeitsmarktrente. Findet sich innerhalb eines Jahres nach Antragstellung trotz teilweiser Erwerbsfähigkeit kein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz, wird aus der an sich halben Rente automatisch eine volle Leistung

Depressionen als Hauptursache – doch der Nachweis bleibt schwierig

Leichte Depressionen reichen nach der Erfahrung von Medizinern und Juristen allein selten für eine Rente. Selbst bei mittelschweren Episoden muss eine erhebliche Einschränkung der Gesamt­leistungs­fähigkeit vorliegen.

Erst eine chronisch schwere depressive Störung erfüllt in der Praxis regelmäßig die medizinische Voraussetzung, und auch dann ist ungewiss, ob die Rentenkasse die Einschränkung als dauerhaft anerkennt. Depressionen lassen sich weder röntgen noch im Labor messen. Ärztinnen und Ärzte sind auf Schilderungen der Patientinnen und Patienten angewiesen, während die Versicherung äußerlich erkennbare Befunde verlangt.

Tücken der Begutachtung

Kommt es zum Gutachten, entscheidet meist der erste Eindruck. Ratsam ist es, sämtliche Arzt-, Reha- und Klinikberichte in Kopie mitzubringen, um dem Gutachter ein konsistentes Bild zu liefern. Eine chronologische Notiz über Krankheitsverlauf, Therapieversuche und Alltagseinschränkungen hilft, spontane Nachfragen präzise zu beantworten.

Viele Gutachter testen gezielt auf Widersprüche oder vermeintliche Übertreibungen, etwa durch unterschiedlich formulierte Doppel­fragen. Wer seine seltenen oder untypischen Symptome vorab mit dem behandelnden Facharzt durchspricht, kann diese Besonderheiten schriftlich dokumentieren lassen. So zieht ein Ja-Kreuz an unerwarteter Stelle später nicht automatisch den Verdacht der Simulation nach sich.

Ebenso wichtig ist Authentizität: Wer beim Termin bewusst ungepflegt erscheint oder sich künstlich zusammennimmt, riskiert Fehlinterpretationen. Ein authentisches Auftreten – so gut oder schlecht es an diesem Tag eben geht – ist die beste Strategie, den Verdacht gezielter Selbstdarstellung zu entkräften.

Wenn der Bescheid negativ ausfällt

Eine Ablehnung ist kein Endpunkt. Innerhalb eines Monats kann Widerspruch eingelegt werden; bleibt dieser erfolglos, folgt die Klage vor dem Sozialgericht. Gut vorbereitete medizinische Gegengutachten sind hier oft ausschlaggebend.

Für viele Betroffene lohnt sich der Weg, denn fast jede dritte Entscheidung wird in einem der beiden Rechtszüge ganz oder teilweise korrigiert.

Alternativen bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit

Wer trotz eingeschränkter Leistung kein Rentenrecht durchsetzen kann, fällt nicht zwangsläufig ins Nichts. Nach Auslaufen von Krankengeld oder Arbeitslosengeld sichern zunächst Bürgergeldleistungen den Lebensunterhalt.

Menschen mit dauerhafter Erwerbsunfähigkeit haben darüber hinaus Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch. In Fällen kurzfristiger Hilfebedürftigkeit springt die Hilfe zum Lebensunterhalt ein.

Reformen 2024/2025: Höhere Zuschläge und mehr Hinzuverdienst

Der Gesetzgeber hat die Lage der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner zuletzt spürbar verbessert. Seit Juli 2024 erhalten Bestandsrenten einen pauschalen Zuschlag, der ab Dezember 2025 anhand der individuellen Entgeltpunkte neu berechnet und dauerhaft in die laufende Zahlung integriert wird.

Parallel stiegen zum 1. Januar 2025 die Hinzuverdienstgrenzen deutlich: Bei voller Erwerbsminderung dürfen künftig rund 19 661 Euro im Jahr hinzuverdient werden, bei teilweiser Erwerbsminderung sogar rund 39 322 Euro. Damit wird die Brücke zwischen begrenzter Erwerbsfähigkeit und finanzieller Teilhabe breiter.

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Fazit

Depressionen zählen zu den großen Volkskrankheiten unserer Zeit und prägen längst auch das Rentensystem. Die hohe Erfolgsquote psychisch bedingter Rentenbewilligungen zeigt, dass Anträge keineswegs aussichtslos sind.

Doch je weniger „sichtbar“ das Leiden, desto wichtiger sind lückenlose Dokumentation, fachkundige Begleitung und ein realistisches Selbstbild. Wer sich diesen Herausforderungen stellt, hat gute Chancen, die notwendige finanzielle Sicherheit zu erhalten.

Und wer zunächst scheitert, sollte die Rechtsmittel nutzen: Das System ist kompliziert, aber es bietet Wege. In diesem Sinne bleibt der wohl wichtigste Rat: dranbleiben – für die eigene Gesundheit und für eine gerechte Leistungsbewilligung.