Arbeitgeber darf auch während einer Krankheit kündigen

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Noch immer hält sich die Vorstellung, während einer Arbeitsunfähigkeit dürfe nicht gekündigt werden. Sie ist falsch. Eine Krankheit führt nicht automatisch zum Sonderkündigungsschutz. Arbeitgeber dürfen grundsätzlich auch während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit kündigen.

Ob eine Kündigung dann tatsächlich wirksam ist, ist eine zweite – sehr viel komplexere – Frage. Entscheidend ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen eingehalten sind und ob die Kündigung im Streitfall vor Gericht Bestand hätte. Das sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover.

Eine krankheitsbedingte Kündigung wird als Unterfall der personenbedingten Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz gesehen. Dieses greift in der Regel erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und der Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Dann muss der Arbeitgeber die soziale Rechtfertigung der Kündigung darlegen und beweisen.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat hierfür einen dreistufigen Prüfungsmaßstab entwickelt: eine negative Gesundheitsprognose, eine daraus folgende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und eine Interessenabwägung einschließlich der Prüfung milderer Mittel.

Erst wenn alle drei Stufen erfüllt sind, kann eine krankheitsbedingte Kündigung wirksam sein.

Was eine negative Gesundheitsprognose bedeutet

Der Arbeitgeber kennt im Regelfall weder Diagnose noch Details der Erkrankung – und er hat darauf auch keinen Anspruch. Er darf aber auf Basis der Vergangenheit in die Zukunft schauen: Häufen sich Fehlzeiten erheblich oder besteht eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, kann er prognostizieren, dass die Arbeitsfähigkeit auch künftig beeinträchtigt sein wird.

Eine solche Prognose ist kein Bauchgefühl, sondern muss sich auf belastbare Tatsachen stützen, typischerweise dokumentierte Fehlzeiten über einen längeren Zeitraum.

Beschäftigte sind dieser Prognose nicht ausgeliefert. Sie können sie erschüttern, indem sie konkrete Umstände darlegen, die eine baldige oder dauerhafte Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit erwarten lassen.

In der Praxis geschieht das häufig durch ärztliche Bescheinigungen, Reha-Berichte oder die Entbindung behandelnder Ärztinnen und Ärzte von der Schweigepflicht für eine Aussage im Prozess.

Entscheidend ist, ob aus heutiger Sicht nachvollziehbar erscheint, dass künftig keine erheblichen krankheitsbedingten Ausfälle mehr auftreten.

Typischer Fall in der Praxis

Bei einer Dauererkrankung liegt die Sache scheinbar klarer: Fällt etwa ein Bauarbeiter nach einem Unfall dauerhaft aus und kann den bisherigen Beruf absehbar nicht mehr ausüben, spricht viel für eine negative Prognose.

Dennoch ist auch hier nicht automatisch „alles entschieden“: Es kommt darauf an, ob es leidensgerechte Beschäftigungsalternativen im Betrieb gibt und ob diese zumutbar wären.

Weit verbreitet sind häufige Kurzerkrankungen. Immer wiederkehrende Ausfälle über das Jahr hinweg belasten Abläufe und verursachen Entgeltfortzahlungskosten. Die Rechtsprechung akzeptiert eine negative Prognose vor allem dann, wenn sich ein Muster über mehrere Jahre zeigt, in denen Beschäftigte jeweils länger als sechs Wochen pro Jahr arbeitsunfähig waren. Auch hier gilt: Wer nachweisen kann, dass die Ursachen überwunden sind – etwa nach einer erfolgreichen Operation – kann die Prognose entkräften.

Bei Langzeiterkrankungen geht es weniger um wechselnde Fehlzeiten als um eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit über Monate oder gar Jahre. Nach sechs Wochen endet die Entgeltfortzahlung, dennoch bleibt die betriebliche Planungsunsicherheit erheblich. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit, bisherigem Gesundheitsverlauf und absehbarer Genesungschance kann eine Kündigung schwerer oder leichter zu rechtfertigen sein.

Beeinträchtigung betrieblicher Interessen

Selbst eine negative Prognose genügt nicht. Der Arbeitgeber muss darlegen, dass die Erkrankung die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt. Das kann sich in Kosten – etwa wiederholter Entgeltfortzahlung – niederschlagen, aber auch in organisatorischen Problemen: ständiges Umdisponieren, Qualitäts- oder Kapazitätseinbußen, zusätzlicher Einarbeitungsaufwand für Vertretungen, gebundene Ressourcen durch eine dauerhaft freizuhaltende Stelle. Reine Unannehmlichkeiten reichen nicht aus; die Belastung muss spürbar und plausibel sein.

Vor jeder Beendigung steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Kündigung ist nur das letzte Mittel. Arbeitgeber müssen prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung unter geänderten Bedingungen möglich ist: ein anderer Arbeitsplatz, angepasste Tätigkeiten, technische Hilfsmittel oder eine stufenweise Wiedereingliederung nach dem sogenannten Hamburger Modell.

Wichtig hierbei ist das betriebliche Eingliederungsmanagement. Wer innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, hat Anspruch auf ein strukturiertes BEM-Verfahren.

Es dient dazu, Ursachen zu klären, Belastungen zu reduzieren und Wege zurück in den Arbeitsplatz zu öffnen. Unterbleibt ein ernsthaftes BEM, verschlechtert das die Karten des Arbeitgebers im Prozess erheblich, weil naheliegt, dass mildere Mittel nicht ausgeschöpft wurden.

Die abschließende Interessenabwägung

Am Ende blickt das Gericht auf das Ganze: die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter und die sozialen Folgen der Kündigung, den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses, die Chancen auf Genesung, die Größe des Betriebs und die betroffenen Abläufe. Ein langjährig beanstandungsfrei beschäftigter Mitarbeiter genießt hier regelmäßig ein stärkeres Gewicht als eine erst kurz beschäftigte Person mit massiven, noch ungeklärten Fehlzeiten.

Ebenso fließen Besonderheiten ein, etwa ob eine schwere körperliche Tätigkeit altersbedingt kaum noch leistbar ist oder ob der Arbeitgeber zumutbare Umsetzungen ungenutzt ließ.

Häufige Missverständnisse und klare Grenzen

Eine Kündigung „wegen Krankheit“ ist nicht mit einer Kündigung „während der Krankheit“ gleichzusetzen. Letztere ist formell zulässig, aber nur wirksam, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein Attest verhindert die Zustellung der Kündigung nicht; die Kündigungsfrist läuft weiter.

Besondere Schutzregeln bleiben unberührt: Für Schwangere, Elternzeitnehmende oder schwerbehinderte Menschen gelten zusätzliche Anforderungen; in einigen Konstellationen ist vor einer Kündigung eine behördliche Zustimmung einzuholen.

Außerdem ist zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung zu unterscheiden – krankheitsbedingte Kündigungen sind in aller Regel ordentlich, mit Frist.

Was Beschäftigte jetzt konkret tun können

Wer eine Kündigung erhält, hat wenig Zeit. Gegen eine arbeitgeberseitige Kündigung kann regelmäßig innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erhoben werden; verstreicht die Frist, gilt die Kündigung oft als wirksam.

Sinnvoll ist es, die Fehlzeiten und deren Ursachen sorgfältig zu dokumentieren, ärztliche Unterlagen zur Genesungsperspektive zu sichern und zu prüfen, ob ein BEM angeboten und ernsthaft durchgeführt wurde.

Wer realistische Chancen auf Stabilisierung der Gesundheit hat, sollte diese Chancen belegbar machen. Auch eine einvernehmliche Lösung mit einer Abfindung kann – je nach Lage – im Raum stehen; sie ersetzt aber keine nüchterne Prüfung der Erfolgsaussichten.