Bürgergeld: Jobcenter-Pannen führen zu hohen Fehlerquoten – Betroffene sollen Bescheide prüfen

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Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage legt offen, dass die internen Prüfroutinen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gravierende Schwächen aufweisen. In den Stichproben der BA‐Revision wurde 2023 bei fast vierzig Prozent der untersuchten Fälle zur Identitätsfeststellung ein Fehler festgestellt; im ersten Halbjahr 2024 lag die Quote immer noch bei 32 Prozent.

Das bedeutet: In rund jedem dritten neu bewilligten Bürgergeldfall ist nicht lückenlos dokumentiert, wer eigentlich Geld erhält.

Nach Angaben des Ministeriums beruhen die meisten Mängel nicht auf falschen Entscheidungen, sondern auf fehlenden Nachweisen in der elektronischen Akte. Die Identität wird zwar überprüft, das Ergebnis landet jedoch nur im internen IT‑System VerBIS – nicht in der e‑Akte, die im Widerspruchs‑ oder Gerichtsverfahren herangezogen wird.

Fehlt die Dokumentation dort, kann selbst ein rechtmäßiger Bescheid aufgehoben werden. Die Auszahlung stoppt, bis das Jobcenter nachliefert – ein Vorgang, der für Betroffene Wochen oder gar Monate dauern kann.

Fehler bei Einkommens‑ und Vermögensprüfung

Auch die Berechnung des anrechenbaren Einkommens bereitet Schwierigkeiten. 2023 lag die Fehlerquote hier bei neun Prozent; im ersten Halbjahr 2024 bei sieben Prozent. Für die Vermögensprüfung schwanken die Werte seit 2019 zwischen null und zehn Prozent je Halbjahr.

Welche Summen falsch berechnet wurden und ob dies eher zu Über‑ oder Unterzahlungen führte, kann die BA nicht sagen – sie erfasst die Richtung der Fehler ebenso wenig wie deren finanzielle Größenordnung.

Direkte Folgen für Leistungsberechtigte

Werden Einkommen oder Vermögen zu hoch angesetzt, sinkt das Bürgergeld – oft mit drastischen Folgen für das Haushaltsbudget. Umgekehrt drohen Rückforderungen, wenn das Jobcenter zu niedrige Werte angenommen hat. Diese werden in der Regel mit laufenden Leistungen verrechnet und können zusätzlich verzinst werden.

In gravierenden Fällen leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Leistungsbetrugs ein, obwohl der Ursprung des Fehlers beim Amt liegt. Die Betroffenen geraten damit in eine Doppelbelastung aus finanziellem Druck und rechtlicher Unsicherheit.

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Kommunale Jobcenter bleiben im toten Winkel

Rund 20 Prozent aller Leistungsfälle werden von reinen kommunalen Jobcentern betreut. Diese Einrichtungen unterliegen nicht der BA‑Revision und tauchen daher in der Fehlerstatistik gar nicht auf.

Wie verlässlich die Bescheide dort sind, weiß niemand – ein blinder Fleck, der sowohl für Steuerzahler als auch für Hilfeempfänger erhebliche Risiken birgt.

Keine Großprüfung in Sicht

Trotz der anhaltend hohen Fehlerquoten ist eine breit angelegte Sonderprüfung nicht geplant. Die BA will stattdessen „technische Unterstützung“ bereitstellen, um Dokumentationslücken zu schließen, und verweist auf bestehende Prozesse des operativen Risikomanagements.

Kritiker wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt bemängeln, dass “damit weder der Umfang möglicher Fehlbeträge beziffert noch das strukturelle Problem zeitnah behoben wird.”

Was Betroffene jetzt tun können

Leistungsbeziehende haben nur eine verlässliche Schutzstrategie: genau hinschauen. Wer einen neuen Bescheid erhält, sollte sämtliche Berechnungswege und Nachweise sofort prüfen und bei Unklarheiten binnen eines Monats Widerspruch einlegen; die Zahlungen laufen währenddessen weiter.

Auch nach Fristablauf lässt sich per Überprüfungsantrag eine Korrektur erzwingen. Treffen doch einmal Rückforderungen ein, lohnt es sich, frühzeitig Ratenzahlung oder Stundung zu vereinbaren, um zusätzliche Zinsen zu vermeiden.

Tipp: Der Bescheid kann auch kostenfrei überprüft werden lassen. Dies kann man auch online tun. Wie das geht, haben wir hier geschrieben.

BA System mit Vertrauenslücke

Das Bürgergeld ist auf Vertrauen angewiesen: Die Gesellschaft muss sicher sein, dass nur Berechtigte Unterstützung erhalten, während Hilfebedürftige darauf bauen, dass der Staat richtig rechnet.

Die vorliegenden Zahlen zeigen jedoch eine anhaltende Qualitätslücke, die dieses Vertrauen untergräbt.

Solange Fehlbeträge nicht systematisch erfasst, kommunale Jobcenter nicht einbezogen und Dokumentationsfehler nicht konsequent abgestellt werden, bleibt Wachsamkeit für Bürgergeld‑Empfänger unverzichtbar – und der Reformbedarf im System offenkundig.