Das Sozialgericht Hannover schรคtzte das mit Verhaltensproblemen verbundene psychische Leid einer jungen Frau als deutlich schwerer ein als die zustรคndige Behรถrde es getan hatte. Auch entgegen einem zusรคtzlichen รคrztlichen Gutachten stellten die Richter eine Schwerbehinderung fest – mit einem Grad der Behinderung von 50 (S 41 SB 153/22).
Was wurde verhandelt?
Die Einschrรคnkungen der 27 Jahre alten Frau sind komplex. Zum einen leidet sie durch Bronchialasthma an einer Funktionsstรถrung der Lungen- und Atemwege. Diese bewertete die zustรคndige Behรถrde mit einem Einzelgrad der Behinderung von 30.
Zum anderen weist sie eine psychische Besonderheit im Autismus-Spektrum auf, das Asperger-Syndrom. Durch dieses bedingt zeigt die Betroffene Verhaltensauffรคlligkeiten, die sie zusรคtzlich an der gesellschaftlichen Teilhabe einschrรคnken. Fรผr diese stellte das Versorgungsamt einen Einzelgrad der Behinderung von 20 fest.
Betroffene hรคlt Grad der Behinderung fรผr zu niedrig
Insgesamt sah die Behรถrde einen Grad der Behinderung von 40 und teilte diesen der Frau per Bescheid mit. Sie akzeptierte diese Feststellung nicht, sondern schรคtzte die Einschrรคnkungen in Verbindung mit ihrem Asperger-Syndrom als deutlich schwerer ein.
Deshalb legte sie Widerspruch ein, und die Behรถrde wies diesen zurรผck. Zusammen mit dem DGB-Rechtsschutz klagte die Frau vor dem Sozialgericht Hannover, um einen hรถheren Grad der Behinderung durchzusetzen โ und damit eine Schwerbehinderung (sowie die mit dieser verbundenen Nachteilsausgleiche).
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Gutachter sieht keinen hรถheren Grad der Behinderung
Die Richter holten zuerst einmal die Befundberichte der vorhandenen รrzte ein. Dann beauftragten sie auรerdem einen Facharzt fรผr Orthopรคdie und Sozialmedizin mit einem zusรคtzlichen Gutachten.
Dieser stufte die psychischen Beschwerden zwar im Unterschied zum Versorgungsamt nicht als leichtere, sondern stรคrker behindernde Stรถrung ein. Trotzdem blieb er am Ende wie die Behรถrde bei einem Grad der Behinderung von 40.
Zweifel an Qualifikation des Gutachters
Der DGB-Rechtsschutz sah das ganz anders. Das Asperger-Syndrom der Frau -verbunden mit einer schweren depressiven Episode- wรผrde allein einen Einzelgrad der Behinderung von 40 bedeuten. Zudem stellte der Rechtsschutz in Frage, ob der Gutachter qualifiziert sei, das Ausmaร der psychischen Erkrankung zu beurteilen. Es handelte sich bei diesem nรคmlich nicht um einen Spezialisten fรผr die Auswirkungen des Autismus-Spektrums.
Richter erkennen Schwerbehinderung
Die Richter folgten der Einschรคtzung des DGB-Rechtsschutzes und stellten sich gegen die Einschรคtzung des Gutachters. Das seelische Leiden in Zusammenhang mit den Verhaltensstรถrungen rechtfertige einen Einzelgrad der Behinderung von 40. Insgesamt liege ein Grad der Behinderung von 50 vor, und damit eine Schwerbehinderung.
Fragwรผrdiges Gutachten
Sowohl die Beurteilung des Asperger-Syndroms durch die zustรคndigen Behรถrde mit einem Einzelgrad von 20 wie auch die Einschรคtzung des Orthopรคden mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 sind nicht durch die rechtlichen Grundlagen gedeckt.
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Eine tief gehende Entwicklungsstรถrung
Denn in der Versorgungsmedizin-Verordnung gilt das Asperger-Syndrom als โtief greifende Entwicklungsstรถrungโ, und dabei richtet sich der festgestellte Grad der Behinderung nach der Grad der sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Bereits leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten bedeuten bei diesem Syndrom bereist einen Grad der Behinderung von 30-40.
Keine leichte Stรถrung
Der Gutachter, der einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 feststellte, erkannte aber sogar eine stรคrker behindernde psychische Stรถrung. Selbst mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten werden jedoch bei Apsper bereits mit einem Einzelgrad der Behinderung von 50-70 bewertet.
Richter nehmen Betroffene ernst
Die Richter hรถrten der Betroffenen in der mรผndlichen Verhandlung zu. Sie erklรคrten, sie habe glaubhaft und sichtlich bewegt dargelegt, dass โsie in ihrer Freizeit nicht viel unternehme, die meiste Zeit zu Hause sei und zu ihrer Familie keinen Kontakt habe.โ
Zudem hรคtte sie aufgrund ihrer Erkrankung deutliche Probleme in der Arbeitswelt. Die psychische Besonderheit behindere sie im Berufsleben und hรคtte nachweislich Schwierigkeiten mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber verursacht. Deshalb sei das Asperger-Syndrom mit einem Einzelgrad der Behinderung von 40 zu bewerten.