Bürgergeld: Hohe Kontaktdichte mit Jobcentern für mehr Sanktionen

Die Umgestaltung des Bürgergeldes zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ sorgt für weiter für berechtigte Unruhe. Die neue Ausrichtung heißt: weg von Vertrauen und Qualifizierung, hin zu engerer Steuerung, Vorgaben und mehr Sanktionen.

Vom Bürgergeld zur „neuen Grundsicherung“

Anders als in der Bürgergeldlogik, in der mit der Abschaffung des generellen Vermittlungsvorrangs und mit Qualifizierung ein Integrationsweg ermöglicht wurde, soll nun wieder Leistungsbeziehende “auf Teufel komm raus” in jeder Stelle vermittelt werden.

Ersttermin mit Rechtsfolgen: Früh startender Druck

Neu ist der Ton bereits beim Einstieg in das Verfahren. Künftig soll die erste Einladung nach Antragstellung ausdrücklich mit Rechtsfolgenbelehrung versehen sein.

Damit verschiebt sich der Charakter des Erstgesprächs deutlich. Was bisher als potenzialorientierter Auftakt ohne Sanktionsdruck gedacht war, wird zu einem rechtlich gerahmten Pflichttermin.

Die Praxisrelevanz ist erheblich: Fällt schon der erste Kontakt unter sanktionsbewehrte Mitwirkungspflichten, steigt die Bedeutung formaler Einladungen, Erreichbarkeiten und Nachweise. Für Leistungsberechtigte wird es damit wichtiger denn je, Fristen, Wegezeiten, Krankheit und Hindernisgründe lückenlos zu dokumentieren.

Kooperationsplan oder Verwaltungsakt: Rückkehr der Eingriffslogik

Der Kooperationsplan war im Bürgergeld als „weiches“ Instrument gedacht: gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe, rechtlich unverbindlich, dafür flexibel.

Das neue Konzept sieht vor, dass, wenn ein Kooperationsplan nicht zustande kommt, die Jobcenter die Pflichten per Verwaltungsakt festsetzen – inklusive Rechtsmittel- und Rechtsfolgenbelehrung. Damit wird aus einem Kommunikationsinstrument ein regelhartes Zwangsinstrument

Praktisch bedeutet das eine Rückkehr zu Mustern, die man aus früheren Eingliederungsvereinbarungen kennt: Pflichten können einseitig auferlegt werden, Widerspruchs- und Klageverfahren werden wahrscheinlicher.

Sozialrechtlich ist wichtig, ob der Übergang vom unverbindlichen Plan zum verbindlichen Verwaltungsakt tragfähig konstruiert wird. Inhalt, Bestimmtheit und Zumutbarkeit der auferlegten Pflichten werden zur Streitfrage. Für die Jobcenter steigt der Begründungsaufwand, für Betroffene die Notwendigkeit, jeden Punkt sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls fristgerecht anzugreifen.

Sanktionen und Leistungseinstellungen: harte Kante statt Stufenmodell

Besonders umstritten ist die geplante Abkehr vom erst jüngst eingeführten Stufenmodell bei Sanktionen. Künftig sollen bei Meldeversäumnissen nach dem zweiten verpassten Termin unmittelbar 30 Prozent vom Regelbedarf einbehalten werden.

Bleibt auch ein dritter Termin ungenutzt, soll die Geldleistung vollständig entfallen; im Folgemonat droht – bei weiterem Ausbleiben – die komplette Einstellung sämtlicher Leistungen, einschließlich der Kosten der Unterkunft.

Bei „Pflichtverletzungen“ außerhalb von Meldefällen ist ebenfalls direkt eine Minderung um 30 Prozent vorgesehen. Wer eine Arbeitsaufnahme verweigert, muss mit einer Streichung der Geldleistung rechnen; die Kosten der Unterkunft sollen direkt an Vermieter gezahlt werden.

Diese Linie stellt das Verhältnis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erneut auf die Probe. Das Gericht hatte 2019 Sanktionen grundsätzlich auf 30 Prozent begrenzt und vollständige Entzüge nur in eng auszulegenden Ausnahmekonstellationen offengelassen.

Entscheidend wird sein, ob die konkrete Ausgestaltung Härtefälle, Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit hinreichend berücksichtigt und ob die Verwaltungspraxis die verfassungsrechtlichen Leitlinien wahrt.

Schon kleine Formfehler können in einem strikt sanktionsorientierten System erhebliche Folgen haben – für Behörden und Betroffene gleichermaßen.

Erwerbsfähigkeit mit unklarer Definition

Die Ankündigung, den Erwerbsfähigkeitsbegriff „realitätsnäher“ zu definieren, ist schlagwortstark, aber inhaltlich vage. Gemeint sein könnte eine schärfere Abgrenzung zwischen SGB II und anderen Sicherungssystemen, etwa der Erwerbsminderungsrente oder Hilfen nach dem SGB XII.

Ebenso denkbar ist eine differenziertere Bewertung psychischer und physischer Einschränkungen im Hinblick auf zeitliche Belastbarkeit, Tätigkeitsprofile und Integrationsperspektiven.

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Gerade hier lauern Konflikte. Gesundheitsdaten sind besonders sensibel; ihre Erhebung, Verarbeitung und Bewertung erfordern klare rechtliche Grundlagen, qualifiziertes Fachpersonal und wirksame Datenschutzvorkehrungen.

Wenn Jobcenter-Mitarbeiter „im Umgang mit psychischen Erkrankungen“ geschult werden, kann das Brücken bauen – oder neue Kontrollfantasien befeuern. Vertrauen entsteht nicht durch Diagnostik light, sondern durch verlässliche Schnittstellen zu Medizin und Rehabilitation sowie durch das Prinzip „so viel Hilfe wie nötig, so wenig Zwang wie möglich“.

Höhere Kontaktdichte für mehr Sanktionen

Für Langzeitarbeitslose ist eine „deutlich höhere Kontaktdichte“ geplant. Dahinter steckt die Idee, mit engmaschiger Betreuung und konkreten Angeboten den Wiedereinstieg zu beschleunigen. Ob dieses Versprechen eingelöst werden kann, hängt an zwei Bedingungen: an verfügbaren, passenden Integrationsangeboten und an ausreichenden Personalkapazitäten in den Jobcenter.

Da beides illosorisch ist, wird aus der “hohen Kontaktdichte” ein Mittel zur schnellen Sanktion. Um so mehr Termine vergeben werden, um so mehr Sanktionen und Einsparungen die Folge.

Clustering nach Arbeitsmarktnähe

Leistungsbeziehende sollen stärker nach Arbeitsmarktnähe „geclustert“ werden, um die Intensität der Betreuung auszurichten. Solche Segmentierungen existieren faktisch schon lange.

Neu ist der Anspruch, daraus eine systematische Steuerungslogik abzuleiten.

Wer wie und warum in ein Cluster fällt, muss nachvollziehbar sein, und es braucht realistische Wechselpfade zwischen den Gruppen. Es werden sich Etiketten verfestigen , die mehr über Verwaltungslogik als über individuelle Chancen aussagen.

Eltern mit Kindern unter drei Jahren: Pflicht zur Beratung, Pflicht zur Integration?

Mütter und Väter kleiner Kinder sollen bereits ab dem ersten Geburtstag zur einer Beratung verpflichtend eingeladen werden. Tun sie das nicht, drohen Sanktionen.

Alleinstehende: Vollzeit als neuer Standard

Besonders aufmerksam macht die Ankündigung, alleinstehende Leistungsberechtigte stärker in Vollzeitbeschäftigung zu lenken. Vollzeit als Standard passt nicht für alle Lebenslagen. Gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Mobilität, regionale Arbeitsmärkte und die Qualität der angebotenen Jobs spielen eine Rolle. Integration um jeden Preis birgt das Risiko instabiler Erwerbsbiografien mit schnellen Rückfällen in den Leistungsbezug.

Vermittlungsvorrang „altersdifferenziert“

Der Vermittlungsvorrang soll zurückkehren, aber altersdifferenziert gelten. Unter 30-Jährige sollen vorrangig qualifiziert werden, wenn dies für eine nachhaltige Integration erfolgversprechend erscheint.

Hohe Wohnkosten und „unbürokratische Lösungen“: Risiko Obdachlosigkeit

Besonders sensibel ist die Ankündigung, bei unverhältnismäßig hohen Unterkunftskosten die Karenzzeit entfallen zu lassen und „unbürokratische Lösungen“ zu finden.

In der Praxis entscheidet die Abgrenzung zwischen noch akzeptabler Miete und „unverhältnismäßig“ über existentielle Fragen. Unbürokratisch darf nicht heißen, dass ohne belastbaren Einzelfallmaßstab Leistungen gekürzt werden.

Korrekte Angemessenheitsgrenzen, Übergangsfristen, aktive Umzugshilfen und Schutz vor Wohnungslosigkeit sind aber unverzichtbar, ansonsten ist dies nicht verfassungskonform.

Mehr Kontrolle, mehr Datenaustausch

Verschärfte Maßnahmen gegen Schwarzarbeit, eine stärkere Arbeitgeberhaftung, eine klarere Fassung des Arbeitnehmerbegriffs im Kontext der Freizügigkeit und erweiterter Datenaustausch – die Missbrauchsbekämpfung wird ausgebaut. Legitimation und Verhältnismäßigkeit hängen hier an der Fehlerquote..

Pauschale Verdachtslogiken fördern Stigmatisierung und erzeugen Kollateralschäden bei korrekt handelnden Leistungsbeziehenden und Unternehmen.

Temporäre Bedarfsgemeinschaften: Entlastung oder neue Schieflage?

Die Abschaffung temporärer Bedarfsgemeinschaften soll Bürokratie reduzieren. Künftig erhält der hauptsächlich betreuende Elternteil den vollen Regelbedarf, für den umgangsberechtigten Elternteil ist ein pauschalierter Mehrbedarf vorgesehen.