Wenn zwei Personen unter einem Dach leben und Bürgergeld beziehen, gehen Jobcenter oft davon aus, dass eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt. Diese Annahme kann jedoch falsch sein und entspricht nicht immer den gesetzlichen Bestimmungen.
Das Sozialgericht Cottbus hat in einem Urteil (Az. S 10 AS 283/21) klargestellt, dass mehr als nur eine gemeinsame Wohnadresse notwendig ist, um als Bedarfsgemeinschaft eingestuft zu werden.
Inhaltsverzeichnis
Der Fall vor dem Sozialgericht Cottbus
Am 21. Oktober 2020 stellten eine Frau und ein Mann jeweils einen Antrag auf Bürgergeld, damals noch unter der Bezeichnung Hartz IV. Beide gaben irrtümlich an, mit einem eingetragenen Lebenspartner zusammenzuleben.
Das Jobcenter wertete diese Angaben so, dass das Einkommen des Mannes auf die Leistungen der Frau angerechnet wurde. In der Folge erhielt die Frau zwischen dem 1. Dezember 2020 und dem 31. Mai 2021 weniger finanzielle Unterstützung, als ihr zugestanden hätte. Nach Widersprüchen und Ablehnungen landete der Fall schließlich vor dem Sozialgericht.
Kriterien für eine Bedarfsgemeinschaft
Das Gericht musste klären, ob zwischen den beiden Antragstellern tatsächlich eine Bedarfsgemeinschaft bestand. Dabei wurden zwei entscheidende Merkmale betrachtet: das Führen eines gemeinsamen Haushalts und der sogenannte Einstandswille.
Gemeinsamer Haushalt
Ein gemeinsamer Haushalt bedeutet, dass beide Personen unter derselben Adresse wohnen. Allerdings reicht das allein nicht aus, um von einer Bedarfsgemeinschaft zu sprechen. Der Bundesgerichtshof definiert das Getrenntleben als eine “Trennung von Tisch und Bett”.
Diese Trennung kann auch innerhalb einer gemeinsamen Wohnung stattfinden. Im vorliegenden Fall hatte der Außendienst des Jobcenters nicht überprüft, wie die Wohnsituation genau aussah, sodass keine klaren Aussagen über das Zusammenleben getroffen werden konnten.
Ist ein Einstandswille vorhanden?
Der Einstandswille ist ein zentrales Kriterium und beschreibt den gegenseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und finanziell füreinander einzustehen. Laut § 7 Abs. 3a SGB II ist dieser Wille durch bestimmte Voraussetzungen gekennzeichnet:
- Dauer des Zusammenlebens: Die Personen leben länger als ein Jahr zusammen.
- Gemeinsame Kinder: Es gibt ein gemeinsames Kind, mit dem beide zusammenleben.
- Versorgung von Angehörigen: Die Partner kümmern sich gemeinsam um Kinder oder Angehörige im Haushalt.
- Verfügungsbefugnis über Einkommen oder Vermögen: Beide haben das Recht, über das Einkommen oder Vermögen des jeweils anderen zu verfügen.
Entscheidungsgründe des Gerichts
Im konkreten Fall konnte kein Einstandswille nachgewiesen werden. Die Frau hatte zwar bei der Pflege der Großmutter des Mannes geholfen, doch sah das Gericht darin keine ausreichende Grundlage für einen gegenseitigen Verantwortungswillen.
Zudem bezahlte die Mutter der Frau die Strom- und Gaskosten, was ebenfalls gegen eine finanzielle Verflechtung der beiden sprach.
Es gab keine Hinweise darauf, dass die beiden bereits vor dem Antrag zusammengelebt hatten. Dass sie im Antrag angegeben hatten, eingetragene Lebenspartner zu sein, wurde als offensichtlicher Irrtum gewertet.
Nach sechs Monaten zog die Frau aus der gemeinsamen Wohnung aus, was gegen eine langfristige Beziehung sprach. Insgesamt erkannte das Gericht keine Anhaltspunkte für eine Bedarfsgemeinschaft.
Auswirkungen auf die Bürgergeld-Leistungen
Die fehlerhafte Einstufung als Bedarfsgemeinschaft hatte finanzielle Konsequenzen für die Frau. Ihr wurden Leistungen gekürzt, da das Einkommen des Mannes angerechnet wurde.
Da das Gericht jedoch feststellte, dass keine Bedarfsgemeinschaft bestand, hatte sie Anspruch auf den vollen Regelsatz für Alleinstehende.
Unterschiedliche Regelsätze und Mietobergrenzen
Wenn eine Bedarfsgemeinschaft anerkannt wird, reduziert sich der Regelsatz pro Person. Für eine alleinstehende Person beträgt der Regelsatz aktuell 563 Euro. In einer Bedarfsgemeinschaft mit zwei Personen sinkt dieser Betrag auf 506 Euro pro Person. Auch bei den Unterkunftskosten gibt es Unterschiede:
Bedarfsgemeinschaft: Es gilt die Mietobergrenze für zwei Personen.
Keine Bedarfsgemeinschaft: Jede Person hat Anspruch auf die Mietobergrenze für eine Einzelperson, auch wenn sie zusammenwohnen.
Die Praxis der Jobcenter
Jobcenter neigen dazu, Mitbewohner als Partner in einer Bedarfsgemeinschaft zu betrachten, um Leistungen zu kürzen. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht immer rechtmäßig. Es ist wichtig, dass Betroffene ihre Bescheide genau prüfen und gegebenenfalls Widerspruch einlegen.
Rechtliche Grundlagen
Die rechtlichen Bestimmungen zur Bedarfsgemeinschaft sind im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) verankert. Insbesondere § 7 Abs. 3a SGB II definiert die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft.
Das Urteil des Sozialgerichts Cottbus zeigt, dass die Gerichte die Kriterien streng auslegen und nicht allein auf die Angaben im Antrag vertrauen.
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.