Beim Bürgergeld und zuvor bei Hartz IV kommen regelmäßig Sozialexperimente in die Medien, in denen Journalisten und andere regulär nicht von Sozialleistungen Betroffenen, eine Zeit vom Regelsatz leben und darüber berichten, wie es ihnen damit erging.
Ein Interview mit Monika Gründel (30), ihrem Mann (33) und ihren beiden Kindern im Grundschulalter wurde im Fokus Magazin veröffentlicht und zeigt exemplarisch die Lücken solcher Experimente.
„Wir hatten kein schlechtes Leben“
Gründel kam nach fünf Monaten zu dem Fazit: „Aber wir hatten kein schlechtes Leben deswegen. Gar nicht. Nehmen wir den Faktor Lebensmittel. Interessanterweise ist das ein Posten, bei dem wir unterm Strich gar nicht so viel weniger ausgegeben haben als sonst. (…)
Regional und saisonal, das hat Prio eins. Ich bin zum Beispiel Stammkundin bei einem Kartoffelhäuschen. (…) Ich habe den Eindruck, viele Leute wissen das gar nicht, denen fehlt dieses grundlegende Wann, Wie, Wo, das man für ein gutes Wirtschaften braucht. Gerade Spontankäufe gehen unheimlich ins Geld.“
Wo sind die Lücken?
Ein Kernproblem dieser subjektiven Darstellung ist, dass Gründels Erfahrung die Lebensrealität unzähliger Menschen, die Bürgergeld erhalten, nicht spiegelt, sondern im Gegenteil die Verantwortung auf das „richtige Kaufverhalten“ der Betroffenen verlagert. Dass ein „grundlegendes Wann, Wie, Wo“ durchgehend möglich wäre, hat mit der Wirklichkeit vieler vom Regelbedarf Abhängiger nur sehr wenig zu tun.
Um zum Beispiel gesundes Nahrung zuzubereiten, muss das entsprechende Equipment in der Küche erst einmal vorhanden sein, was es bei denjenigen, die das Experiment durchführen, auch ist, da sie nicht bereits vorher am Existenzminimum lebten.
Sasa Zatata schreibt: “Der Mensch oder die Familie, die ein solches Sozialexperiment macht, haben in der Regel ein sonst deutlich monatliches höheres Einkommen zur Verfügung als Menschen im Sozialleistungsbezug. (…) Daraus folgt, dass zu Beginn des Experiments zumeist auf einen vollen und funktionstüchtigen Haushalt und Vorräte (auch Putz- und Hygieneprodukte) zurückgegriffen werden kann. Eine Grundausstattung an Lebensmitteln ist vorhanden, wie z.B. Gewürze und Öle.”
Wenige Monate haben kaum Aussagekraft
Zatata erörtert zudem, dass die Dauer dieser Sozialexperimente von wenigen Monaten zu kurz ist. Wer, so Zatata, seit Jahren von Sozialleistungen lebt und „und nicht mehr aus besseren Zeiten zehren“ könne, habe eine andere Realität als im Sozialexperiment.
Was passiert, so Zatata, zum Beispiel, wenn Kühlschrank oder Waschmaschine kaputt gehen, die Stromrechnung mit massiv gestiegenen Preisen kommt oder medizinische Leistungen anstehen, die die Krankenkasse nicht übernimmt. Auch Steuern und Versicherungen würden (meist) nicht gerade in den Monaten des Experimentes anfallen.
Falsche Kalkulationen
Monika Gründel und ihr Ehemann sind Anfang 30, und, offensichtlich, wie ihre Kinder, im Vollbesitz der körperlichen Kräfte. Sehr viele Menschen, die von Sozialleistungen leben müssen, sind dies jedoch nicht. Wer auf Dauer, so Zatata, vom Bürgergeld eine besondere Ernährung bestreiten müsse, weil er oder sie krank sei, Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien habe, der oder die müsse anderes kalkullieren.
Auch die Kosten für die Mobilität bei gehbehinderten Menschen würden in solchen Sozialexperimenten nicht mitgedacht, und bei Pflegebedürftigen sähen die Probleme noch ganz anders aus.