Bürgergeld oder Elternunterhalt: Kinder haften für ihre Eltern

Lesedauer 4 Minuten

Bei vielen Antragstellern über 50 stellt das Jobcenter regelmäßig die Frage, ob erwachsene Kinder statt des Staates für den Lebensunterhalt der Eltern einstehen müssen.

Die Unsicherheit ist groß, denn Unterhaltspflichten existieren im deutschen Zivilrecht – doch gelten diese beim Bürgergeld überhaupt?

Kein Bürgergeld-Ausschluss wegen theoretischem Elternunterhalt

Jobcenter dürfen nur tatsächliche Zuflüsse anrechnen. Das bedeutet:
Ein bloßer Anspruch der Eltern auf Unterhalt reicht nicht aus, um Bürgergeld zu verweigern oder zu kürzen. Erst wenn die Zahlung wirklich erfolgt, wirkt sie sich auf den Bürgergeld-Anspruch aus.

Beispiel:
Eine 62-jährige Bürgergeld-Bezieherin hätte aus Sicht des BGB möglicherweise einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Sohn. Der Sohn zahlt aber nicht. Das Jobcenter darf deshalb keine „fiktiven“ Unterhaltszahlungen anrechnen. Bürgergeld steht ungekürzt zu.

Wann Kinder Elternunterhalt schulden – die BGB-Regeln im Kern

Unterhaltspflichten ergeben sich aus §§ 1601–1615n BGB. Entscheidend sind drei Voraussetzungen, die alle gleichzeitig vorliegen müssen:

Ein Verwandtschaftsverhältnis in gerader Linie besteht nur zwischen leiblichen und adoptierten Kindern und ihren Eltern. Stiefkinder sind von der Unterhaltspflicht ausgenommen. Die Eltern müssen bedürftig sein, also ihren Lebensunterhalt nicht selbst decken können.

Und das Kind muss leistungsfähig sein, also genügend Mittel haben, um den eigenen Bedarf und den der Eltern zu finanzieren.

Die tatsächliche Leistungsfähigkeit wird durch eine starre Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro brutto definiert. Erst ab diesem Einkommen besteht überhaupt eine Pflicht, Elternunterhalt zu leisten. Berücksichtigt werden neben Löhnen auch Einkünfte aus Vermietung, Verpachtung, Boni und Sonderzahlungen.

Beispiel:
Eine Tochter verdient 88.000 Euro brutto jährlich und erhält zusätzlich 5.000 Euro Vermietungseinnahmen. Zusammen ergibt das 93.000 Euro. Sie liegt unter 100.000 Euro und ist nicht unterhaltspflichtig.

Sonderfall: Gemeinsam wohnen = Bedarfsgemeinschaft

Leben Kinder mit ihren hilfebedürftigen Eltern zusammen, kann das Jobcenter eine Bedarfsgemeinschaft annehmen. Dann geht es nicht mehr um zivilrechtlichen Elternunterhalt, sondern um die Frage, wie Einkommen im gemeinsamen Haushalt verteilt wird.

In einer Bedarfsgemeinschaft darf das Jobcenter Einkommen des Kindes teilweise auf den Bedarf der Eltern anrechnen, auch wenn das Jahreseinkommen deutlich unter 100.000 Euro liegt.

Beispiel:
Ein Sohn lebt mit seiner Mutter zusammen und verdient 1.800 Euro netto. Die Mutter beantragt Bürgergeld. Das Jobcenter prüft die Bedarfsgemeinschaft und rechnet einen Teil des Einkommens des Sohnes auf den Bedarf der Mutter an. Das ist kein Elternunterhalt, sondern eine Folge der speziellen Regeln für die Bedarfsgemeinschaft.

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Bürgergeld: Kein Rückgriff auf Kinder möglich

Das SGB II kennt keinen Unterhaltsrückgriff gegen leistungsfähige Kinder. Selbst wenn ein Kind 200.000 Euro im Jahr verdient, darf das Jobcenter kein Geld bei ihm einfordern, nur weil die Eltern Bürgergeld beziehen.

Entscheidend ist ausschließlich, ob die Eltern die Voraussetzungen für Bürgergeld erfüllen. Ob theoretisch ein Anspruch auf Elternunterhalt gegen erwachsene Kinder bestünde, ist für das Jobcenter unerheblich, solange keine tatsächlichen Zahlungen fließen.

Sozialhilfe im Alter: Hier kann es teuer werden

Sobald die Eltern die Regelaltersgrenze erreichen und statt Bürgergeld Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beziehen, verschiebt sich das Risiko. Die Grundsicherung im Alter erlaubt einen Rückgriff auf Kinder mit hohem Einkommen.

Das Sozialamt darf Kinder zur Zahlung heranziehen, wenn deren Jahresbruttoeinkommen über 100.000 Euro liegt. In solchen Fällen kann die Behörde Auskunft über Einkommen verlangen und auf dieser Grundlage Elternunterhalt festsetzen.

Beispiel:
Der Vater erhält ab 67 Jahren Grundsicherung im Alter. Die Tochter verdient 120.000 Euro brutto im Jahr. Das Sozialamt darf von ihr Auskunft über die Einkommensverhältnisse verlangen und sie grundsätzlich zu Unterhaltszahlungen heranziehen.

Übersicht: Bürgergeld, Sozialhilfe und Unterhaltspflicht im Vergleich

Konstellation Rechtsfolge / Zahlen
Eltern unter Regelaltersgrenze, beziehen (oder beantragen) Bürgergeld Kein Unterhaltsrückgriff gegen Kinder möglich, unabhängig vom Einkommen der Kinder
Eltern unter Regelaltersgrenze, theoretischer BGB-Unterhaltsanspruch Reiner Anspruch reicht nicht, es zählt nur tatsächlicher Zufluss; kein fiktiver Unterhalt beim Bürgergeld
Eltern erhalten Bürgergeld, Kind verdient 60.000 € brutto Keine Unterhaltspflicht nach BGB, kein Rückgriff, Bürgergeld bleibt unberührt
Eltern erhalten Bürgergeld, Kind verdient 120.000 € brutto Bürgergeld trotzdem ohne Rückgriff; hohe Einkommen der Kinder spielen im SGB II keine Rolle
Eltern leben im gleichen Haushalt, Kind verdient 1.800 € netto Mögliche Bedarfsgemeinschaft; Einkommen kann anteilig auf den Bedarf der Eltern angerechnet werden
Eltern haben Regelaltersgrenze erreicht, beziehen Grundsicherung (SGB XII) Unterhaltsrückgriff möglich, wenn Jahresbrutto des Kindes über 100.000 € liegt
Kind mit 95.000 € Jahresbrutto, Eltern beziehen Grundsicherung im Alter Unter Einkommensgrenze, daher keine Heranziehung zum Elternunterhalt
Kind mit 130.000 € Jahresbrutto, Eltern beziehen Grundsicherung im Alter Oberhalb 100.000 €; Sozialamt kann Auskunft verlangen und Elternunterhalt geltend machen
Eltern verzichten freiwillig auf Unterhaltsforderung, beziehen Bürgergeld Bürgergeld-Anspruch bleibt bestehen; Jobcenter darf Unterhalt nicht fingieren
Eltern verzichten auf Unterhaltsforderung, beziehen Grundsicherung im Alter Sozialamt kann trotzdem eigenständig Elternunterhalt gegen das Kind geltend machen

Bürgergeld statt Elternunterhalt: rechtlich unproblematisch

Eltern, die noch unterhalb der Regelaltersgrenze sind und Bürgergeld beziehen, belasten ihre Kinder nicht finanziell. Ihre Kinder müssen keinen Unterhalt zahlen, werden vom Jobcenter nicht in Anspruch genommen und müssen ihr Einkommen grundsätzlich nicht offenlegen.

Relevanz bekommt das Einkommen erst bei Sozialhilfe im Alter und nur dann, wenn die 100.000-Euro-Grenze überschritten wird.

FAQ zum Elternunterhalt

Müssen Kinder zahlen, wenn die Eltern Bürgergeld beziehen?
Nein. Beim Bürgergeld gibt es keinen Unterhaltsrückgriff auf Kinder.

Darf das Jobcenter Unterhalt anrechnen, der nur auf dem Papier besteht?
Nein. Anrechenbar sind nur tatsächlich gezahlte Unterhaltsbeträge.

Wann gilt die 100.000-Euro-Grenze beim Elternunterhalt?
Sie spielt praktisch nur bei Sozialhilfe im Alter nach SGB XII eine Rolle, nicht beim Bürgergeld.

Was ändert sich, wenn Eltern statt Bürgergeld Grundsicherung im Alter erhalten?
Dann kann das Sozialamt Kinder mit mehr als 100.000 Euro Jahresbrutto zu Elternunterhalt heranziehen.

Welche Rolle spielt das Zusammenwohnen mit den Eltern?
Beim gemeinsamen Haushalt kann eine Bedarfsgemeinschaft vorliegen; dann wird Einkommen innerhalb des Haushalts verteilt, ohne dass es sich um klassischen Elternunterhalt handelt.