Ein breites Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden und Organisationen wirft der Bundesregierung vor, mit der geplanten Bürgergeld-Reform zentrale Prinzipien des Sozialstaats auszuhöhlen. Die sogenannte neue Grundsicherung für Arbeitssuchende bedeutet demnach einen Frontalangriff auf die Säulen des Sozialstaats.
Inhaltsverzeichnis
Was kritisiert das Bündnis?
Die Initiative Gesundheit Unteilbar, getragen unter anderem von Diakonie, AWO und DGB, sieht in den Neuregelungen einen Rückbau sozialer Sicherung. Die Kritiker erkennen eine gefährliche Ungleichbehandlung, und diese schwäche den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Verschärfungen gegen die am stärksten Gefährdeten
Die schwarz-rote Bundesregierung setze “ausgerechnet in einer Phase wachsender sozialer Ungleichheit auf Kürzungspolitik und systematische Abschreckung. Verschärfungen würden tief in die Lebensrealitäten von Millionen Menschen eingreifen – und besonders diejenigen treffen, die ohnehin am stärksten gefährdet sind.”
Reform schärfer als alte Hartz-IV-Praxis
Aus Sicht der Erwerbsloseninitiative Tacheles e.V. plant die Bundesregierung Eingriffe, die teilweise strenger ausfallen würden als die Hartz-IV-Sanktionen vor dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Daher sei zu befürchten, dass die Neuregelungen gegen die Verfassung verstoßen.
Der Verein betont, die vorgesehene Logik der „Nicht-Erreichbarkeit“ – nach drei verpassten Meldeterminen entfällt der gesamte Leistungsanspruch inklusive Unterkunftskosten und Krankenversicherung – überschreite die verfassungsrechtlichen Grenzen deutlich. Der Tacheles-Vorsitzende Harald Thomé bewertet dies als Schritt, der sowohl sozialpolitisch als auch rechtlich kaum haltbar wäre.
Härtere Strafen statt Förderung: „Repressive Abschreckung“
Extrem vulnerable Gruppen wie wohnungslose oder psychisch erkrankte Menschen wären laut Tacheles von den verschärften Regeln besonders betroffen. Schon nach dem ersten verpassten Termin soll ein sogenannter Verpflichtungsverwaltungsakt greifen. Wird die darin festgelegte Pflicht nicht erfüllt, folgt automatisch eine dreimonatige Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent.
Starre Strafen statt Ansporn zur Verhaltensänderung
Thomé hebt hervor, die Sanktionen zielten damit nicht mehr auf Verhaltensänderungen ab, sondern wirkten wie starre Strafmechanismen, die primär auf Abschreckung setzten – eine politische Linie, wie sie seit Jahren aus dem konservativen Lager gefordert werde und die klar im Konflikt mit dem Verfassungsgerichtsurteil stehe.
Neue Pflichten für Vermieter: Risiko für einkommensarme Haushalte
Heftige Kritik löst auch die geplante Auskunfts- und Mitwirkungspflicht für Vermieterinnen und Vermieter aus. Künftig sollen sie umfangreiche Informationen bereitstellen und bürokratische Vorgaben erfüllen müssen – bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 5.000 Euro.
Tacheles warnt, dies stelle Vermieter pauschal unter Verdacht und senke ihre Bereitschaft, Wohnungen an Bürgergeld- oder Sozialhilfebezieher zu vermieten. Dies verschärfe die ohnehin angespannte Lage auf dem unteren Wohnungsmarkt weiter.
Enorme zusätzliche Hürden für Leistungsbezieher
Die geplante Reform bringe aus Sicht des Vereins ein ganzes Bündel existenzbedrohender Neuerungen mit sich: zusätzliche bürokratische Pflichten, starre Sanktionsmechanismen, eine Deckelung der Unterkunftskosten auf das 1,5-Fache der lokalen Mietobergrenze, eine bußgeldbewehrte Auskunftspflicht für Vermieter und eine deutliche Absenkung des Schonvermögens, die die private Altersvorsorge vieler Menschen massiv einschränken würde.
„Gefährlicher Schritt gegen soziale und demokratische Grundprinzipien“
Nach Einschätzung von Tacheles bedeutet die Reform einen tiefen Eingriff in die Lebensgrundlagen von Leistungsberechtigten.
Die Politik riskiere, reale Lebenssituationen zu ignorieren, grundlegende Rechte auszuhöhlen und eine weitere Spaltung der Gesellschaft in Kauf zu nehmen. Die Folge wäre ein wachsender Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und demokratische Verfahren.
Verfassungswidrige Pläne: Erneuter Gang vor Gericht angekündigt
Tacheles war bereits 2019 maßgeblich an dem Verfahren beteiligt, das zur Festlegung verfassungsrechtlicher Grenzen bei Sanktionen führte. Aus Sicht des Vereins würde die Bundesregierung diese Vorgaben mit den neuen 100-Prozent-Kürzungen klar überschreiten. Thomé kündigt an, dass Gerichte die Regelungen erneut kassieren würden, falls die Politik nicht nachbessere. Der Verein werde den rechtlichen Weg konsequent begleiten.
FAQ: Die fünf wichtigsten Kritikpunkte an der Bürgergeld-Reform
1. Warum sehen Verbände einen Rückbau sozialer Sicherung?
Weil zentrale Leistungen gekürzt oder erschwert werden und soziale Ungleichheit verschärft werde, statt sie zu reduzieren.
2. Was ist das Hauptproblem bei den Sanktionen?
Sie würden nach Einschätzung von Tacheles strenger als frühere Hartz-IV-Regeln und verfassungswidrig sein – inklusive kompletter Leistungsstreichung.
3. Wen treffen die neuen Regeln besonders hart?
Vor allem vulnerable Gruppen wie Wohnungslose, psychisch Erkrankte oder Menschen mit instabilen Lebensumständen.
4. Welche Rolle spielen Vermieter in der Reform?
Sie sollen neue Auskunfts- und Mitwirkungspflichten erfüllen; bei Fehlern drohen hohe Bußgelder. Verbände erwarten dadurch weniger Vermietungsbereitschaft.
5. Warum ist die Reform eine Bedrohung von Rechtsstaat und Demokratie?
Weil Sanktionen, Bürokratie und Vermögensregeln aus Sicht des Vereins existenzielle Risiken bergen und das Vertrauen in Staat und Recht beschädigen könnten.
Sozialpolitischer Dammbruch
Wenn die Bundesregierung diese Reform unverändert durchsetzt, wird sie nicht einfach Regeln verschärfen – sie wird Schutzmechanismen außer Kraft setzen, auf die Menschen angewiesen sind, die bereits mit dem Rücken zur Wand stehen. Wer Bürgergeld bezieht, wird künftig stärker kontrolliert, schneller sanktioniert und härter bestraft als je zuvor im modernen Sozialstaat.
Verfassungsbruch bei “Neuer Grundsicherung”
“Die Bundesregierung tritt nach unten gegen Hilfebedürftige statt von Reichen und Superreichen einen solidarischen Beitrag für die Gesellschaft zu fordern”, sagt auch Sebastian Bertram von “Gegen-Hartz”. “Extreme Härte gegen die Schwächsten bedeutet einen Anschlag auf unser Grundgesetz – durchgeführt von einer Bundesregierung.”
Wird dieser Kurs Realität, bedeutet er ein Bruch mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag sozialer Sicherheit. Die Verantwortung dafür liegt bei der Politik – und sie wird sich erklären müssen, ethisch wie juristisch, so Bertram weiter.




