Schwerbehinderung: „Zu spät“ heißt bewilligt – Genehmigungsfiktion bei Hilfsmitteln

Wenn die Krankenkasse bei einem Hilfsmittel­antrag trödelt, kann das handfeste Folgen haben – zugunsten der Versicherten. Greift die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V und meldet sich die Kasse nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß, gilt der Antrag als genehmigt.

Das nennt sich Genehmigungsfiktion. Wichtig: Wer sich das Hilfsmittel nach Fristablauf selbst beschafft, kann die vollen Kosten erstattet bekommen.

Worum geht es rechtlich?

Die Regeln sind klar: Innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang muss die Krankenkasse entscheiden. Holt sie eine gutachtliche Stellungnahme – in der Praxis meist vom Medizinischen Dienst (MD) – ein, verlängert sich die Gesamtfrist auf fünf Wochen.

Diese Verlängerung ist aber nur wirksam, wenn die Kasse spätestens bis zum Ablauf der 3-Wochen-Frist mitteilt, dass ein Gutachten notwendig ist. Bleibt diese Nachricht aus oder ist sie nicht ausreichend begründet, läuft die 5-Wochen-Schiene nicht – und die Genehmigungsfiktion greift bereits nach drei Wochen.

Kommt keine fristgerechte Entscheidung oder keine ordnungsgemäße Fristverlängerung, gilt die Leistung mit Fristablauf als bewilligt (§ 13 Abs. 3a S. 6 SGB V). Das ist nicht bloß eine nette Fiktion, sondern ein anspruchsbegründender Verwaltungsakt:

Die Kasse darf eine so fingierte Bewilligung nicht beliebig „zurücknehmen“; dafür gelten die strengen Voraussetzungen der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) ausdrücklich festgehalten.

Selbstbeschaffung: Wann gibt es Geld zurück?

Wer nach Ablauf der maßgeblichen Frist das beantragte Hilfsmittel selbst beschafft, kann Kostenerstattung verlangen (§ 13 Abs. 3a S. 7 SGB V). Entscheidend ist, dass die Selbstbeschaffung erst nach Fristende erfolgt.

Besorgt man sich das Hilfsmittel vorher „auf Verdacht“, fehlt die rechtliche Grundlage für die Erstattung. Auch das hat das BSG klargestellt.

Gilt das wirklich für Hilfsmittel?

Ja – aber mit juristischen Nuancen. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass die Genehmigungsfiktion grundsätzlich auch in der Hilfsmittelversorgung greift. Umstritten war zeitweise, ob Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich als „Leistungen der medizinischen Rehabilitation“ vom Anwendungsbereich ausgenommen sind.

Die Rechtsprechung der letzten Jahre zeigt jedoch: Fristversäumnisse der Kassen werden auch in Hilfsmittelfällen sanktioniert, bis hin zur Anerkennung eines Elektrorollstuhls über die Genehmigungsfiktion. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls – insbesondere, ob die Kasse sauber über den MD-Einsatz informiert und die Fristen eingehalten hat.

So läuft die Uhr – und das sind die Folgen

Frist / Schritt Rechtsfolge
Antragseingang bei der Kasse Start der 3-Wochen-Frist.
Kasse braucht MD-Gutachten Pflichtmitteilung an Versicherte bis Fristende (3. Woche), sonst keine Verlängerung.
Entscheidung mit MD-Gutachten Gesamtfrist 5 Wochen ab Antragseingang.
Keine Entscheidung + keine wirksame Verlängerung Genehmigungsfiktion: Antrag gilt als bewilligt.
Selbstbeschaffung nach Fristablauf Kostenerstattung in tatsächlicher Höhe, wenn das Hilfsmittel erforderlich war.
Spätere „Rücknahme“ der fingierten Genehmigung Nur unter strengen Voraussetzungen möglich; pauschales Kippen unzulässig.

Was heißt das für Betroffene konkret?

Notieren Sie von Beginn an alle Fristen und lassen Sie sich den Eingang Ihres Hilfsmittelantrags schriftlich bestätigen – etwa per E-Mail, Faxjournal oder Einschreiben. Nur wer den Zugang belegen kann, berechnet die Fristen sicher.

Achten Sie zudem darauf, ob die Krankenkasse bis zum Ende der dritten Woche einen Hinweis auf ein MD-Gutachten schickt; bleibt dieser aus, startet keine 5-Wochen-Frist und die Genehmigungsfiktion greift bereits mit Ablauf der dritten Woche.

Beschaffen Sie das Hilfsmittel rechtssicher erst nach Fristablauf und dokumentieren Sie die medizinische Erforderlichkeit, zum Beispiel durch ärztliche Verordnung oder Therapieberichte – dann stehen die Chancen auf Kostenerstattung gut. Lassen Sie sich schließlich nicht „abwimmeln“:

Telefonische „Wir brauchen noch Zeit“-Ansagen reichen nicht; ohne formgerechte, begründete Mitteilung entsteht die Fiktion.

Einordnung: Sanktionsinstrument gegen Bummel-Kassen

Die Genehmigungsfiktion ist kein Schlupfloch, sondern vom Gesetzgeber gewollte Sanktion gegen Verzögerungen. Sie beschleunigt Verfahren, schützt Versicherte vor Hängepartien und gibt im Zweifel Planungssicherheit.

Kassen, die Fristen reißen, riskieren bindende Leistungsansprüche – und bei Selbstbeschaffung Kosten in voller Höhe. So schafft das Sozialrecht den Ausgleich zwischen notwendiger Prüfung und dem Grundsatz: Wer zu spät kommt, genehmigt automatisch.