Urteil: Krankenkasse muss mobiles Vorlesegerät für Blinde zahlen

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Sehbehinderte Menschen haben grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu hochwertigen assistiven Technologien wie einem mobilen elektronischen Vorlesegerät. Dies hat das Sozialgericht Berlin in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 4. April 2023 entschieden und einer nahezu blinden Frau das mobile Vorlesesystem OrCam MyEye 2.0 als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich zugesprochen (Az.: S 210 KR 1573/21).

Klägerin fast blind

Die Klägerin ist fast blind und nutzte bisher eine elektronisch vergrößernde Lupe, um Texte lesen zu können. Da die Lupe für sie inzwischen unbrauchbar geworden war und sie auch damit nichts mehr erkennen konnte, beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für das Hilfsmittel OrCam MyEye 2.0 in Höhe von 4.815 Euro.

Dabei handelt es sich um ein mobiles elektronisches Lesegerät. Es enthält eine Minikamera und einen Minicomputer und wird an der Brille befestigt. Mit seiner Sprachausgabe kann es gedruckte Texte in Echtzeit vorlesen. Eine Gesichtserkennung ist ebenfalls möglich. Gesteuert wird das Gerät über Gesten, Sprachbefehle oder das Berühren einer Touchbar. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab.

Sozialgericht Berlin: Gebrauchsvorteile im Einzelfall entscheidend

Die Klägerin habe aber Anspruch auf das Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich, urteilte nun das Sozialgericht. Ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich sei von der Krankenkasse zu gewähren, wenn es den behinderten Menschen in seinen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens unterstützt und deutliche Gebrauchsvorteile bietet.

Ein Grundbedürfnis sei dabei die „Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums“, so das Sozialgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel. Dazu gehöre auch die Aufnahme von Informationen. Dieses Grundbedürfnis und das Grundbedürfnis „Sehen“ seien bei der Klägerin betroffen.

Zwar hätten behinderte Menschen im Einzelfall nur Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung und nicht auf eine optimale Versorgung. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention habe sich Deutschland aber auch verpflichtet, einen erleichterten Zugang zu qualitativ hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten und assistierenden Technologien sicherzustellen.

Anspruch auf Vorlesegerät für Blinde von der Krankenkasse

Dazu gehöre auch das Vorlesesystem. Dieses habe gegenüber der elektronischen Lupe erhebliche Nutzungsvorteile. Texte könnten erkannt und vorgelesen werden. Das System sei ständig einsatzbereit.

Das Einkaufen oder die Orientierung auf der Straße, etwa durch das Vorlesen von Straßennamen, werde deutlich erleichtert. Schließlich verfüge das Hilfsmittel auch über eine Gesichtserkennung. Da die Klägerin auch in der Lage sei, das System zu bedienen, müsse die Krankenkasse das Hilfsmittel gewähren. fle/mwo

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