Schwerbehinderung: Kündigung nach GdB-Senkung – Diesen Fehler darf niemand machen

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„Sinkt durch einen rechtskräftigen Bescheid des Versorgungsamtes der Grad der Behinderung (GdB) auf unter 30, ist der behinderte Mensch verpflichtet, dies der Bundesagentur für Arbeit mitzuteilen.“
Diesen Leitsatz stellte das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach in seinem Urteil vom 17. Juli 2014 (AN 6 K 13.01955) auf – und entschied damit gegen einen Arbeitnehmer, der die Herabsetzung seines GdB verschwiegen hatte.

Seit vielen Jahren gleichgestellt

Der Kläger war seit Jahren einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Eine solche Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 i. V. m. § 151 Abs. 2 SGB IX) kann die Bundesagentur für Arbeit (BA) ab einem GdB von mindestens 30 aussprechen, wenn ohne Nachteilsausgleiche der Arbeitsplatz gefährdet oder die Stellensuche erheblich erschwert wäre.

Grad der Behinderung gesenkt

Bei einer Nachprüfung stellte das Versorgungsamt den GdB nur noch mit 20 fest. Damit fehlte die materielle Voraussetzung für eine Gleichstellung. Gleichwohl unterblieb die Meldung an die BA, obwohl der ursprüngliche Bescheid ausdrücklich zu „unverzüglicher Mitteilung jeder Änderung“ verpflichtet hatte – und selbst ohne diesen Hinweis gilt die allgemeine Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I.

Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung

Sieben Jahre später beantragte der Arbeitgeber beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen sexueller Übergriffe. Da der Kläger im System noch als gleichgestellt geführt wurde, bat der Arbeitgeber zunächst um ein Negativattest („Kein besonderer Kündigungsschutz“). Grundlage dafür ist heute § 173 Abs. 3 SGB IX; früher hieß die Vorschrift § 90 Abs. 2 a SGB IX.

Zustimmung nach Widerspruch

Das Integrationsamt erteilte erst ein Negativattest, änderte seine Entscheidung jedoch nach Widerspruch des Arbeitgebers und stimmte der fristlosen Kündigung zu.

Es geht vor das Verwaltungsgericht

Vor dem VG Ansbach verteidigte sich der Kläger mit § 199 Abs. 3 SGB IX (vormals § 116 SGB IX a. F.): Bis zur Beendigung der Anwendung der besonderen Regelungen könne er weiterhin als Pflichtarbeitsplatz angerechnet werden. Die Richter werteten dieses Berufungs­verhalten als Rechtsmissbrauch: Durch das Verschweigen der GdB-Herabsetzung habe der Kläger verhindert, dass die BA die Gleichstellung widerrufen oder zurücknehmen konnte.

Kein besonderer Kündigungsschutz

Formell besteht eine Gleichstellung zwar bis zum Widerruf oder zur Rücknahme weiter (§ 199 Abs. 2 SGB IX). Der Widerruf wird aber erst nach drei Kalendermonaten wirksam – eine Schonfrist, die im Streitfall längst abgelaufen war. Ohne wirksame Gleichstellung greift der besondere Kündigungsschutz (§ 168 SGB IX) nicht; der Arbeitgeber müsste das Integrationsamt eigentlich nicht mehr beteiligen.

Ende der Gleichstellung

§ 199 SGB IX regelt heute abschließend:

  1. Schwerbehinderte Menschen verlieren den Schutz drei Monate nach unanfechtbarer GdB-Herabsetzung auf unter 50.
  2. Gleichgestellte behinderte Menschen verlieren ihn, sobald die BA die Gleichstellung widerruft oder zurücknimmt – auch hier gilt die dreimonatige Übergangsfrist zur Rechtskraft.

Was aus dem Fall folgt

Mitteilungspflicht ernst nehmen: Wer eine Gleichstellung hat, muss jede GdB-Änderung unverzüglich der BA melden (§ 60 SGB I).
Formaler vs. materieller Status: Die Gleichstellung wirkt zunächst weiter, bis die BA sie widerruft – sie ist aber materiell entfallen und kann nicht mehr für Kündigungsschutz oder Anrechnung reklamiert werden.
Dreimonatige Schonfrist beachten: Nach Wegfall der Voraussetzungen laufen noch drei Monate, in denen der Schutz fortwirkt.
Aktuelle Paragrafen nennen: Seit dem 1. Jan 2018 heißen die einschlägigen Vorschriften §§ 151, 168, 173, 199 SGB IX.