Schwerbehinderung: Keine Merkzeichen, weil andere sich gestört fühlen

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Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Nachteilsausgleiche. Diese helfen den Betroffenen, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Inklusion bedeutet nicht nur Akzeptanz der Betroffenen durch Menschen ohne Behinderung, sondern auch eine Gestaltung der gesellschaftlichen Umwelt und Infrastruktur, in der die Betroffenen zurechtkommen.

Das Merkzeichen RF

Merkzeichen im Behindertenausweis verweisen auf spezielle Einschränkungen, die wiederum zu spezifischen Ansprüchen berechtigen.So berechtigt das Merkzeichen RF zur Befreiung oder Minderung vom Rundfunkbeitrag.

Das Landesgericht Baden-Würtemberg setzte sich 2021 mit einem kniffligen Fall auseinander, in dem es genau um die Fragen Merkzeichen RF und Inklusion ging. Hat Inklusion auch Vorrang vor dem Willen Betroffener? (L 6 SB 3623/20)

Der Fall

Die Betroffene war 48 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei Töchter. Seit einem Schlaganfall 2016 saß sie im Rollstuhl mit einem Grad der Behinderung von 100. Zusätzlich beantragte sie Merkzeichen RF, um Ermäßigung beim Rundfunkbeitrag zu bekommen.

Für wen gilt die Rundfunkermäßigung?

Dieses Merkzeichen gilt erstens für Blinde und wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 oder mehr wegen ihrer Sehschwäche.

Es gilt zweitens für Gehörlose und schwer Hörgeschädigte. Drittens gilt es für Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80, die an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Wie begründete die Betroffene ihren Anspruch auf das Merkzeichen?

In diesem Fall machte die Frau den dritten Punkt des Merkzeichens geltend. Sie könne keine öffentlichen Theater oder Kinos mehr besuchen.

Der Grund dafür sei, dass sie sich seit ihrem Schlaganfall mit den Schauspielern und Akteurinnen derart identifiziere, dass sie durch aggressives Verhalten und laute Rufe auffalle. Sie würde diese Veranstaltungen meiden, da sie ihren Mitmenschen dieses Verhalten nicht zumuten wolle.

Der Weg durch die Instanzen blieb erfolglos

Sowohl die Behörde, die für das Festsetzen der Merkzeichen verantwortlich war, wie auch das Sozialgericht lehnten ihren Anspruch auf Minderung der Rundfunkgebühren ab. Sie legte Berufung beim Landessozialgericht ein, und dieses wies die Berufung zurück.

Können, aber nicht wollen

Das Gericht skizzierte ausführlich die Enscheidung. So sei der Betroffenen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durchaus möglich. ZU diesen zählten nicht nur Theater, Oper, Kino oder Konzerte, sondern auch Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Zoos und botanische Gärten und auch alle öffentlichen Gerichtsverhandlungen.

Die beim Merkzeichen RF geforderte Unmöglichkeit, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, läge nicht vor.

Inkusion, nicht Exklusion

Die wesentliche Begründung der Ablehnung des Merkzeichens lag für das Gericht in der Bedeutung der Inklusion als Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit ein Merkzeichen auszustellen, stünde im Widerspruch zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Das Gericht führte aus: „Der auf die gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck des Merkzeichens „RF“ würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn es mit dem Ziel zuerkannt werden könnte, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen und damit Behinderte quasi wegzuschließen.“

Empfinden anderer steht nicht im Vordergrund

Es dürfe gerade nicht den Ausschlag geben, ob Teilnehmer öffentlicher Veranstaltungen sich durch Menschen mit Behinderungen gestört fühlten. So verstanden würde die Regelung einer Ausgrenzung und Diskriminierung schwerbehinderter Menschen entgegenstehen.

Körperliche Fähigkeit entscheidet

Um das Merkzeichen RF anzuerkennen sei entscheidend, dass der betroffene Mensch körperlich nicht an entsprechenden Veranstaltungen teilnehmen könne. Die Betroffene könne dies jedoch mit Rollstuhl und Begleitperson ohne Probleme. Damit entfalle ein Anspruch auf das Merkzeichen RF.