Schwerbehinderung: Erwerbsminderungsrente abgelehnt – so streng prüfen Gerichte

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Ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg rüttelt psychisch Erkrankte wach. Trotz Depression, Angststörung und Migräne erhält eine 52-Jährige keine Erwerbsminderungsrente. Die Richter sehen volle Leistungsfähigkeit für leichte Arbeit ab sechs Stunden täglich. Das Signal: Freizeitaktivitäten und seltene Migräneattacken können den Rentenanspruch zerstören.

Das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart bestätigte das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn: Die 52-Jährige könne leichten Tätigkeiten weiterhin mindestens sechs Stunden täglich nachgehen und sei deshalb nicht erwerbsgemindert. Aktenzeichen (L 2 R 3251/21).

Entscheidung im Überblick

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Auch im zweiten Rechtszug erkannte das Gericht kein rentenrelevantes Leistungsdefizit. Außergerichtliche Kosten erhält die Klägerin nicht erstattet.

Warum das Gericht so urteilte

Die Richter stützten sich hauptsächlich auf drei medizinische Gutachten. Alle kamen zum gleichen Ergebnis: Eine voll oder teilzeitbeschränkte Erwerbsminderung liegt nicht vor. Die Frau darf körperlich leichte Arbeiten ohne Schichtdienst und ohne starke Stressoren ausüben. Kopfschmerzen und Migräneanfälle treten laut neurologischem Zusatzgutachten nur episodisch auf und beeinflussen die Tagesarbeitszeit nicht dauerhaft.

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Der lange Weg zur Entscheidung

2018: Klinik Reha bescheinigt volles Leistungsvermögen für leichte Jobs.
2019: Erster Antrag auf Teilhabeleistungen scheitert.
2020: Antrag auf Erwerbsminderungsrente, Ablehnung durch die Deutsche Rentenversicherung; Klage beim Sozialgericht.
2021: SG Heilbronn lehnt die Klage ab; Berufung vor dem LSG.
2023/2024: Weitere Sachverständige bestätigen die Aussage, dass die Antragstellerin noch mindestens sechs Stunden arbeiten kann.

Kernargumente der Klägerin

Die Frau berief sich auf rezidivierende Depressionen, Angststörungen und ausgeprägte Migräneattacken. Sie hielt sich höchstens drei Stunden pro Tag für belastbar und kritisierte, dass die Gutachter ihre psychische Situation unterschätzt hätten.

Warum das nicht überzeugte

Das LSG bewertete den Alltag der Klägerin als Beleg für vorhandene Restarbeitsfähigkeit. Sie erledigt den Haushalt, unternimmt Radtouren, trifft Freunde und habe Urlaub gemacht. Diese Beobachtungen passten nicht zu einer massiven Einschränkung der Stresstoleranz. Zudem ergaben die psychologischen Tests keine tiefgreifende Antriebs- oder Konzentrationsstörung. Migräneattacken ein- bis dreimal im Monat gelten als episodisch und rechtfertigen laut Rechtsprechung keine Rente.

Rechtlicher Hintergrund

Nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) muss eine volle Erwerbsminderung vorliegen, wenn Betroffene weniger als drei Stunden täglich arbeiten können. Zwischen drei und unter sechs Stunden liegt eine teilweise Erwerbsminderung vor.

Wer sechs Stunden oder mehr leisten kann, erhält grundsätzlich keine Rente – unabhängig von der Arbeitsmarktlage. Erst wenn zusätzliche gravierende Leistungseinschränkungen den Zugang zu jeglicher Beschäftigung faktisch versperren, kann eine Ausnahme greifen. Das war hier nicht der Fall.

Was bedeutet das Urteil für Betroffene?

  1. Strenge Maßstäbe: Gerichte verlangen eindeutige, objektive Befunde. Subjektives Empfinden reicht nicht.
  2. Qualitative Einschränkungen reichen selten: Fehlt eine quantitative Begrenzung unter sechs Stunden, scheitert der Rentenantrag meist.
  3. Lückenlose Dokumentation: Regelmäßige Arztbesuche, Therapieberichte und Tagebuchaufzeichnungen können entscheidend sein.

So verbessern Sie Ihre Chancen auf eine EM-Rente

Führen Sie Beschwerde-Tagebücher, sammeln Sie Arbeitgeber-Berichte und lassen Sie sich von Fachärzten behandeln, die Erfahrung mit sozialmedizinischen Gutachten haben. Klären Sie früh, ob Sie Reha-Leistungen zumutbar absolvieren können. Lehnen Sie empfohlene Rehas ohne triftigen Grund ab, droht eine Sperre.

Einordnung für die Leser

Das Urteil zeigt, wie hoch die Hürden für psychisch Erkrankte bleiben. Wer „nur“ Depressionen, Angststörungen und Migräne nachweist, erhält ohne deutliche Stundenbegrenzung kaum eine Rente. Gleichzeitig macht das Verfahren deutlich, dass Gerichte Freizeitaktivitäten als Hinweis auf Arbeitsfähigkeit deuten.

Wer arbeitsunfähig ist, sollte deshalb sehr genau dokumentieren, warum kurze Ausflüge nicht mit einer regelmäßigen Berufstätigkeit vergleichbar sind.