Kein Fahrverbot bei zu hoher Geschwindigkeit wegen Schwerbehinderung? – Urteil

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Das Amtsgericht Wesel beschรคftigte sich mit der heiklen Frage, ob ein hohes Busgeld und ein Fahrverbot wegen erhรถhter Geschwindigkeit auch dann rechtmรครŸig sind, wenn der Betroffene vorbringt, wegen einer Schwerbehinderung auf das Auto angewiesen zu sein, zum Beispiel wegen regelmรครŸiger Arztbesuche. (Az.: 9 OWi 292/23).

Der Tatbestand

Der Betroffene war in eine StraรŸe eingefahren, die nur Anlieger nutzen dรผrfen. Dabei fuhr er mindestens 94 km/h und an einer Stelle sogar 102 km/h. Erlaubt waren aber nur 70 km/h.

BuรŸgeld und Fahrverbot

Dafรผr sollte er ein BuรŸgeld von 445 Euro zahlen und einen Monat seinen Fรผhrerschein abgeben. Die BuรŸgeldzahlung akzeptierte er, doch gegen das Fahrverbot ging er gerichtlich vor. Er argumentierte, er mรผsse wegen seiner Schwerbehinderung notwendige Arztbesuche erledigen, und fรผr diese sei er auf das Auto angewiesen.

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Verkehrssicherheit geht vor

Das Gericht รผberzeugte diese Begrรผndung nicht, und die Richter erklรคrten das Fahrverbot fรผr gerechtfertigt. Eine solche Einwirkung auf den Fahrer sei notwendig, um die Verkehrssicherheit zu gewรคhrleisten, denn die VerstรถรŸe seien erheblich.

Alternative Planung ist mรถglich

Auch die Argumentation, dass der Betroffene fรผr seine Arztbesuche notwendig auf das Auto angewiesen sei, lieรŸen die Richter nicht gelten. So hรคtte er eine viermonatige Abgabefrist, innerhalb derer er sich aussuchen kรถnne, wann er fรผr einen Monat seinen Fรผhrerschein abgibt.

Das sei ausreichend Zeit, um seine Termine so zu planen, dass er diese einhalten kรถnne, ohne selbst zu fahren. Er kรถnnte erstens Arzttermine auรŸerhalb der Zeit des Fahrverbots setzen und zweitens รถffentliche Verkehrsmittel oder Taxis nutzen.

Einschrรคnkungen sind keine Narrenfreiheit

Das Gericht wog ab, ob das Fahrverbot auch bei einer gesundheitlichen Einschrรคnkung verhรคltnismรครŸig ist und beantwortete diese Frage mit einem klaren Ja. Auch eine Schwerbehinderung nimmt den Betroffenen nicht aus der Verantwortung, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten.

Gericht stellt VerhรคltnismรครŸigkeit in den Fokus

Mehrere Urteile entschieden, ob es im konkreten Fall wegen einer Behinderung verhรคltnismรครŸig ist, ein Fahrverbot auszusprechen. So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt, dass bei einer alleinlebenden Frau mit Querschnittslรคhmung auch dann von einem Fahrverbot abzusehen ist, wenn sie die Geschwindigkeit innerorts um 53 km/h รผberschritten hatte. (2 Ws (B) 57/95 OWiG).

Das Oberlandesgericht Brandenburg entschied, dass ein Fahrverbot nicht verhรคngt werden dรผrfe, wenn es fรผr den Betroffenen eine โ€žschwere, nahezu unertrรคgliche Hรคrteโ€œ bedeute, und dazu kรถnnten auch schwere kรถrperliche Behinderungen zรคhlen. (1 Ss (OWi) 37 B/04)

Das Oberlandesgericht Hamm urteilte, dass auch bei einem Betroffenen, der zu 50 Prozent gehbehindert war, ein Regelfahrverbot ebenso verhรคngt werden dรผrfte wie bei Anderen. Dass er seit 37 Jahren Auto fahre und seine Wohnung 500 Meter auf einem Berg liege, stellten in seinem Fall keine besondere Hรคrte dar. (2 Ss OWi 687/06)

Fazit

Ein Gericht muss bei einer gesundheitlichen Einschrรคnkung zwar prรผfen, ob dies eine besondere Hรคrte darstellt, wegen der kein Fahrverbot erteilt werden darf, wie es im Fall der querschnittsgelรคhmten und alleinlebenden Frau der Fall war.

Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass jeder Mensch mit einer Behinderung, der die erlaubte Geschwindigkeit weit รผberschreitet, damit rechnen darf, seinen Fรผhrerschein nicht fรผr einen Monat abgeben zu mรผssen.

Erstens kommt es auf die Schwere des Vergehens an und zweitens darauf, ob Alternativen zu den Autofahrten fรผr die Zeit des Fahrverbots vorhanden sind.