Ein Geldgeschenk gerade zu Weihnachten soll eigentlich einen Moment der Entlastung schaffen, gerade in einer Zeit, in der die Mittel knapp sind. Im Bürgergeld-System kann genau so eine Zuwendung jedoch schnell eine unerwartete Folge haben: Das Jobcenter behandelt die Überweisung nicht als freundliche Geste, sondern als Einkommen. Dann sinkt der Leistungsanspruch, obwohl die Schenkenden ausdrücklich etwas „extra“ ermöglichen wollten.
Ein Fall aus Schleswig-Holstein zeigt, wie konfliktträchtig diese Einordnung ist – und dass Gerichte Grenzen ziehen, wenn der Sinn des Geschenks durch die Anrechnung leerläuft.
400 Euro „für Weihnachten“ – und dann die Kürzung
Im Dezember 2021 überwiesen die Eltern einer Leistungsberechtigten 400 Euro auf deren Konto. Die Frau lebte mit ihrem Partner in einer Bedarfsgemeinschaft. In der Überweisung stand als Verwendungszweck „FUER WEIHNACHTEN“.
Das Jobcenter wertete die Zahlung trotzdem als anrechenbares Einkommen. Praktisch bedeutete das: Die Zuwendung minderte die Leistungen der Bedarfsgemeinschaft. Weil das Paar gemeinsam wirtschaftete, wurde der Betrag rechnerisch so verteilt, dass sich die Anrechnung auf beide auswirkte.
Der Streit verschärfte sich, weil das Jobcenter nach einer vorläufigen Bewilligung später abschließend festsetzte und zugleich Erstattung verlangte.
Zunächst wurde der Betrag dem Zuflussmonat Dezember zugeordnet, später nahm das Jobcenter eine Änderung vor und berücksichtigte die 400 Euro im Folgemonat Januar. Am Ergebnis änderte das nichts: Die Zuwendung sollte den Leistungsanspruch reduzieren. Der betroffene Partner akzeptierte das nicht, legte Widerspruch ein und klagte schließlich vor dem Sozialgericht Kiel.
Warum Jobcenter bei Geldgeschenken so genau hinschauen
Die Logik des Bürgergeldes ist schnell beschrieben, auch wenn die Details kompliziert sind. Leistungen nach dem SGB II sind nachrangig. Wer Einkommen hat, soll dieses zuerst einsetzen, bevor öffentliche Mittel greifen.
Deshalb prüfen Jobcenter sehr strikt, ob Geldzuflüsse den Bedarf mindern. Dabei reicht bereits eine einmalige Überweisung, denn im System zählt grundsätzlich, was im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließt.
Für Betroffene fühlt sich das bei Geschenken häufig wie eine Entwertung an. Was als private Unterstützung gedacht ist, wird faktisch teilweise vom Staat „abgeschöpft“, weil die Leistung sinkt. Genau an diesem Punkt beginnt die juristische Abwägung: Handelt es sich wirklich um Einkommen, das zur Existenzsicherung gedacht ist, oder um eine Zuwendung, die aus sozialen Gründen gerade nicht in die Grundsicherungslogik gepresst werden soll?
Die juristische Leitplanke: Zuwendungen können anrechnungsfrei bleiben
Das SGB II kennt für solche Fälle eine Schutzvorschrift. § 11a Absatz 5 SGB II regelt Zuwendungen, die ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung erbracht werden.
Solche Zahlungen sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn die Anrechnung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder wenn die Zuwendung die Lage nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nicht mehr gerechtfertigt wären.
Die Begriffe wirken sperrig, sind aber alltagsnah. Gemeint ist eine Prüfung, die nicht nur auf den Betrag starrt, sondern auf Sinn, Anlass und gesellschaftliche Üblichkeit.
Ein Weihnachtsgeschenk ist typischerweise keine Zahlung, die den Lebensunterhalt dauerhaft trägt. Es soll vielmehr eine besondere Situation im Jahr markieren, oft verbunden mit dem Wunsch, sich etwas leisten zu können, das außerhalb der knappen Regelsatzrealität liegt.
Sozialgericht Kiel: Weihnachtsgeld ist nicht dafür da, das Existenzminimum zu ersetzen
Das Sozialgericht Kiel gab dem Kläger recht und stoppte die Anrechnung. Nach Auffassung des Gerichts lag eine Zuwendung ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung vor. Entscheidend war für das Gericht, was ein Weihnachtsgeschenk üblicherweise bedeutet und wofür es gedacht ist.
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenDer Zweck bestehe regelmäßig nicht darin, das physische Existenzminimum zu decken, sondern einen Wunsch „abseits“ der Grundsicherung zu ermöglichen. Würde man das Geld als Einkommen anrechnen, würde genau dieser Zweck verfehlt.
Das Gericht betonte zudem die soziale Wirklichkeit: Menschen im Leistungsbezug verfügen über sehr geringe Spielräume. Wenn ein Weihnachtsgeschenk in dieser Situation unmittelbar die Leistungen mindert, bleibt vom Geschenk in der Lebensrealität wenig übrig. In den Entscheidungsgründen findet sich deshalb auch der Hinweis auf die weiterhin große Bedeutung des Weihnachtsfestes und darauf, dass eine Anrechnung in dieser Konstellation grob unbillig sei.
Die 10-Prozent-Diskussion: Warum eine Grenze nicht alles entscheidet
In Verfahren dieser Art taucht häufig eine Faustformel auf, die auch das Jobcenter im Widerspruchsbescheid heranzog: Zuwendungen seien regelmäßig unproblematisch, wenn sie 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs nicht überschreiten. Liegt der Betrag darüber, werde schneller eine Anrechnung angenommen. Diese Überlegung stammt aus der Rechtsprechung zur Frage, wann die Nachrangigkeit der Grundsicherung trotz Zuwendung noch gewahrt bleibt, und sie findet sich auch in Verwaltungshinweisen wieder.
Das Sozialgericht Kiel hat sich mit dieser Argumentation auseinandergesetzt, sie aber nicht als starres Ausschlusskriterium behandelt. Es verwies darauf, dass die 10-Prozent-Überlegung aus einer anderen Konstellation stammte und dass eine typisierende Grenze angesichts der Vielfalt möglicher Zuwendungen nicht jeden Einzelfall abdecken kann.
Beim Weihnachtsgeschenk komme hinzu, dass es gerade keine monatlich wiederkehrende Einnahme sei, sondern eine einmalige Zuwendung im Jahr, die zudem einem erkennbaren Anlass folgt. Genau dieser Anlass und die dahinterstehende soziale Funktion seien in der Unbilligkeitsprüfung stark zu gewichten.
Einordnung in die Rechtsprechung: vom Trinkgeld bis zur zweckgebundenen Familienhilfe
Die Entscheidung aus Kiel steht nicht im luftleeren Raum. Das Bundessozialgericht hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit Zuwendungen befasst, die nicht aus Erwerb stammen. Bekannt ist insbesondere die Entscheidung zum Trinkgeld: Dort ging es darum, wann Trinkgeld im SGB II überhaupt anrechenbar ist und welche Rolle dabei § 11a Absatz 5 SGB II spielt. Aus dieser Linie stammt auch die Diskussion um typisierte Grenzen.
Daneben gibt es Rechtsprechung zu familiären Geldzuwendungen, die an einen bestimmten Zweck gekoppelt sind, etwa wenn Angehörige eine besondere Ausgabe ermöglichen sollen, die nicht einfach „Lebensunterhalt“ ist.
Solche Fälle zeigen, dass Gerichte immer wieder danach fragen, ob die Anrechnung den Sinn der Zuwendung konterkariert und ob die Zahlung die Hilfebedürftigkeit tatsächlich in einer Weise verändert, die den Leistungsanspruch entfallen lassen müsste. Genau in dieser Denkrichtung liegt auch der Kieler Ansatz: Das Weihnachtsgeschenk soll gerade nicht zum Ersatz für Regelleistung werden.
Was Betroffene aus dem Urteil ableiten können
Auch wenn Entscheidungen eines Sozialgerichts keine automatische Wirkung für alle haben, liefert das Urteil Argumentationsmaterial, das in ähnlichen Konstellationen hilfreich sein kann. Wer eine Anrechnung von Geschenken erlebt, sollte den Anlass und den Zweck der Zuwendung nachvollziehbar dokumentieren.
Ein klarer Verwendungszweck bei einer Überweisung kann dabei unterstützen, weil er die Einordnung als Geschenk zu einem bestimmten Anlass stützt. Ebenso wichtig ist der Gesamtzusammenhang: Ein einmaliges Weihnachtsgeschenk unterscheidet sich deutlich von regelmäßigen Zahlungen, die das Jobcenter eher als dauerhafte Unterstützung und damit als einkommensähnlich werten kann.
In der Praxis hängt viel davon ab, wie die Behörde den Einzelfall liest und wie sauber der Vorgang begründet wird. Das Urteil macht deutlich, dass es sich lohnen kann, eine Anrechnung nicht vorschnell hinzunehmen, wenn ein objektivierbarer Zweck erkennbar ist und die Zuwendung sozial üblich bleibt. Ebenso deutlich ist aber auch: Je höher die Beträge sind und je häufiger Zahlungen erfolgen, desto eher wächst das Risiko, dass eine Behörde die Nachrangigkeit der Leistungen als beeinträchtigt ansieht.
Grenzen der Entscheidung: Erfolg vor Gericht heißt nicht automatische Anrechnungsfreiheit
Das Sozialgericht Kiel hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das zeigt, dass die Frage über den Einzelfall hinausweist. Zugleich bleibt festzuhalten, dass nicht jede Zuwendung automatisch geschützt ist. § 11a Absatz 5 SGB II ist keine pauschale Geschenk-Freistellung, sondern eine Abwägungsnorm. Sie verlangt eine Betrachtung der Umstände, des Zwecks und der Auswirkungen auf die Bedarfslage. Das Kieler Urteil stärkt die Position von Betroffenen, aber es ersetzt nicht die Einzelfallprüfung.
Wer die Entscheidung als Orientierung nutzt, sollte sie deshalb als das lesen, was sie ist: eine sorgfältig begründete Korrektur einer behördlichen Praxis in einem konkreten Sachverhalt. In vergleichbaren Fällen kann diese Begründung überzeugen – vor allem dort, wo das Geschenk Anlass-bezogen ist, nicht regelmäßig wiederkehrt und erkennbar nicht die Rolle eines Ersatz-Einkommens übernehmen soll.
Quellen
Sozialgericht Kiel, Urteil vom 23.09.2024, Az. S 34 AS 10/23.




