Hartz IV: Oberservationen rechtens zur Verwertung

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Überwachung von Hartz IV Beziehern

Laut eines Urteils des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist die Verwertung von Ermittlungsergebnissen aus einem Prüf- und Außendienstprotokoll zur Prüfung der Bedürftigkeit und Nutzung zur Wohnung ist zulässig.

24.06.2011

Damit widersprach das Landessozialgericht der Ansicht des Thüringer Oberverwaltungsgerichts. Demnach ist eine Verwertung der Ermittlungsergebnisse zu Beweiszwecken ist entgegen des Urteils des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (AZ: 3 KO 527/08 -) zulässig , gefolgt wird in weiten Teilen den Ausführungen des Bayrischen Landessozialgerichts (Urteil vom 25 Jan. 2008 – L 7 AS 72/07).

Das Bayrische LSG (a.a.O. juris-Ausdruck, Rz. 45 – 47) führt hierzu Folgendes aus:
"Zunächst ist es zwar die Ausnahme, jedoch kein Novum, dass Eingriffe in Grundrechte ohne ausdrückliche, spezielle Befugnisnorm für eine Übergangszeit hingenommen werden. Hier sei auf die Regelung der sog. besonderen Gewaltverhältnisse verwiesen; dort sind bis zum Erlass der verfassungsrechtlich gebotenen gesetzlichen Bestimmungen Eingriffe in Grundrechte der "Anstaltsbenutzer" (vor allem Schüler, Strafgefangene) auch auf der Grundlage von "Anstaltsordnungen" akzeptiert worden (BVerwGE 56, 155 m.w.N.). Des Weiteren hat man sich im Bereich der Strafverfolgung über einen sehr langen Zeitraum hinweg damit begnügt, Observationen auf die allgemeinen Aufgabenzuweisungsnormen zu stützen. Dazu hat der Bundesgerichtshof ausgeführt (BGH, NJW 1998, S. 2561), teilweise sei in der Literatur die Zulässigkeit von Observationen aus den §§ 161, 163 Abs. 1 StPO hergeleitet worden; diese Vorschriften erlaubten seit jeher Maßnahmen ohne Zwang. Nach anderer Auffassung ließen sich den §§ 161, 163 Abs. 1 StPO dagegen Befugnisse für strafprozessuale Eingriffe nicht entnehmen; danach sei die Durchführung einer – zumal längerfristigen – Observation erst nach Einführung einer entsprechenden Erlaubnisnorm in die Strafprozessordnung zulässig. Zu seiner eigenen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof Folgendes berichtet: In der Entscheidung NJW 1991, S. 2561, habe er für eine insgesamt fünfmonatige tägliche Videoüberwachung eines Verdächtigen im Hinblick auf das "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts Zweifel daran geäußert, ob die §§ 160, 161, 163 StPO – oder auch die allgemeine polizeirechtliche Aufgabenklausel – eine derartige Maßnahme abdecken könnten.

In dem aktuell der Entscheidung NJW 1998, S. 1237, zugrunde liegenden Fall hat der Bundesgerichtshof einerseits danach differenziert, ob die Observation den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG berührt oder nicht. Weiter hat er in einer Videoüberwachung ein erschwerendes Moment erblickt: Darin liege ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Denn angesichts der wochenlangen und ununterbrochenen Observation des seinerzeitigen Angeklagten beim Betreten und Verlassen seines Grundstücks hätte es sich um eine erhebliche Ermittlungsmaßnahme gehandelt. Dafür spreche zudem, dass eine Videokamera im Unterschied zum menschlichen Beobachter, der der üblicherweise in Bezug auf seine Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit Beeinträchtigungen unterliegen könne, ein von solchen Einschränkungen freies Bild der aufgenommenen Person erstelle und die gemachten Aufzeichnungen zeitlich nahezu unbegrenzt aufbewahrt werden könnten. Daher sei für die durchgeführte Ermittlungsmaßnahme eine spezielle strafprozessuale Rechtsgrundlage erforderlich.

Zieht man aus der Entscheidung BGH NJW 1998, S. 1237, Schlüsse für den vorliegenden Fall, müsse man zu dem Ergebnis kommen, ein besonders intensiver und sensibler Eingriff sei nicht gegeben. Denn weder ist der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG betroffen noch sind Videoaufnahmen gemacht worden. In eine andere Richtung weist jedoch der schon erwähnte Umstand, dass mit Wirkung vom 01 November 2000 § 163 f. in die Strafprozessordnung eingefügt worden ist. Auch die im vorliegenden Fall von der Beklagten durchgeführte Beobachtung wäre als längerfristige Observation i.S.v. § 163 f. Abs. 1 Satz 1 StPO zu beurteilen (planmäßig angelegte Beobachtung, an mehr als zwei Tagen). Auch wenn das Pönalisierungselement im vorliegenden Fall fehlt, so macht doch nachdenklich, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit einer solchen Observation an relativ strenge Voraussetzungen geknüpft hat.

Von größter Bedeutung sind Reichweite und Intensität des mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es insoweit maßgeblich auf die Art der Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an. Insofern kann auch von Belang sein, ob die betroffenen Personen für die Maßnahme einen Anlass geben und wie dieser beschaffen ist (vgl. BVerfGE 100, 313; 107, 299; 109, 279; und BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 -, NJW 2006, S. 1939). Verdachtslose Eingriffe mit großer Streubreite, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf (vgl. BVerfGE 100, 313, 107, 299; 109, 279; 113, 348; BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 -, NJW 2006, S. 1939). Die hier vorliegende Observation erfolgte zielgerecht und punktgenau. Sie wies keine Streubreite auf. Die Privatsphären des X. und der Klägerin zu 1) wurden zeitlich (täglich nur eine Stunde), räumlich (nur die Hauseingänge) und gegenständlich (wo hat X. übernachtet)) nur äußerst begrenzt ausgeforscht. Spezielle Grundrechte (Art. 10, 13 GG) wurden nicht berührt, Bildaufnahmen nicht erstellt." Das Urteil kann gelinde gesagt als ein Skandalurteil bewertet werden. Aktenzeichen: L 12 AS 201/11 B ER