Erwerbsminderung: Keine Arbeitsmarktrente bei leidensgerechter Teilzeitarbeit

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Wer eine teilweise Erwerbsminderungsrente bezieht, kann eine volle Rente erhalten, wenn dem oder der Betroffenen der Arbeitsmarkt nachweislich verschlossen ist.

Diese Sonderregelung wird als Arbeitsmarktrente bezeichnet und soll verhindern, dass die Erwerbsgeminderten in eine finanzielle Notlage geraten. Ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zeigt allerdings, dass die Kriterien für eine solche Sonderrente strikt sind. (L 9 R 2846/21)

Vielfältige gesundheitliche Probleme

Die Betroffene arbeitete als Polsterin und Näherin von 1991 bis 2021, zuletzt an drei Tagen pro Woche jeweils acht Stunden. 2019 nahm sie an einer Reha-Maßnahme teil und hatte bereits 2013 eine solche durchlaufen.

Im Entlassungsbericht wurden zahlreiche Leiden diagnostiziert: Rezidivierendes Cervikolumbalsyndrom bei myofascialer Symptomatik der Schultergürtel- und lumboglutealen Muskulatur, chronischer Schmerz, Polyarthrose, Impingement-Syndrom der rechten Schulter, Adipositas und benigne essentielle Hypertonie.

Für leichte bis mittelschwere Arbeiten wurde bei ihr ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden pro Tag festgestellt. Ihre Tätigkeit als Polsterin konnte sie laut Gutachten nur noch weniger als drei Stunden pro Tag ausüben.

Sie erhält eine Berufsunfähigkeitsrente

Die Krankenversicherung bewilligte ihr eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Diese bekommen bis 1960 Geborene , wenn Sie zwar auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr pro Tag tätig sein können, aber in ihrem erlernten Beruf voll erwerbsgemindert sind.

Antrag auf volle Erwerbsminderung

Die Betroffene beantragte jedoch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ein neues Gutachten kam zu dem Schluss, dass sie auf ihrer Stelle als Polsterin nur unter drei Stunden pro Tag arbeiten könne, auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt wegen einer Verschlechterung ihres Zustands nur noch drei bis unter sechs Stunden.

Deshalb wandelte die Rentenversicherung die Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine direkte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung um. An den Konditionen und der Höhe der Rente änderte sich dabei nichts.

Klage vor dem Sozialgericht

Die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht Reutlingen, um ihren Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente durchzusetzen. Das Sozialgericht entschied zu ihren Gunsten. Das gericht begründete dies folgendermaßen:

Auch wenn die Klägerin lediglich teilweise erwerbsgemindert sei, habe sie einen Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Eine volle Erwerbsminderungsrente sei zu gewähren, wenn der Rentenberechtigte zwar noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne, er jedoch keinen entsprechenden Arbeitsplatz innehabe und der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen sei.“

Im dem Zeitraum, der Gegenstand des Verfahrens war, hätte sie keinen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz gehabt.

Berufung vor dem Landessozialgericht

Die Krankenversicherung legte Berufung vor dem Landessozialgericht ein und bekam Recht. Die Richter begründeten die Ablehnung der Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente wie folgt: „Dass die Klägerin bei einer Beschäftigung an drei Tagen/Woche zu je 8,25 Stunden, was auf eine Fünf-Tagewoche gerechnet einer arbeitstäglichen Zeit von 4,95 Stunden entspricht, bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb in der Lage war, 85,5 Überstunden anzusammeln, legt nicht nahe, dass die Teilzeittätigkeit zu Lasten der Restgesundheit ging.

Auch im Übrigen ist der Arbeitsgeberauskunft mit Blick auf das beigefügte Arbeitszeugnis und das Tätigkeitsprofil nicht zu entnehmen, dass die ausgeübte Tätigkeit nicht mit den qualitativen Einschränkungen vereinbar gewesen wäre, wie sich zuletzt aus dem Gutachten des Allgemeinmediziners D1 ergeben.“

Keine Arbeitsmarktrente bei ausgeübter Teilzeitarbeit

Es sei, so das Gericht, nicht nachgewiesen, dass die Tätigkeit als Polsterin auf Kosten der Restgesundheit ausgeübt worden sei. Eine Arbeitsmarktrente sei ausgeschlossen: „Aus den genannten Gründen ist von der Ausübung einer leidensgerechten Teilzeittätigkeit (…) auszugehen, weshalb schon aus diesem Grund für diese Zeit eine Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes und die Gewährung einer arbeitsmarktbedingten Rente wegen voller Erwerbsminderung zu verneinen ist.“