Hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Abgeltung von Urlaubstagen, obwohl er zuvor รผber Jahre hinweg arbeitsunfรคhig war und eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezog? Mit dieser Frage beschรคftigte sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz und entschied fรผr den Arbeitnehmer. (5 Sa 212/23).
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Teamleiter erkrankt
Der Betroffene hatte als Teamleiter Finanzen in einem Unternehmen gearbeitet. Er erkrankte schwer, erhielt eine anerkannte Schwerbehinderung und wurde voll erwerbsgemindert. Er bezog eine volle und befristete Erwerbsminderungsrente.
Er war lange krank und bezog die Rente, trotzdem bestand sein Arbeitsverhรคltnis formal weiter.
Nachdem er mehrere Jahre arbeitsunfรคhig gewesen war, kรผndigte er eigenstรคndig. Danach forderte er von seinem Arbeitgeber die Auszahlung seiner angesammelten Urlaubsansprรผche.
Insgesamt handelte es sich um 79 Urlaubstage, die er zuvor nicht in Anspruch genommen hatte. Die beanspruchte Summe belief sich auf 20.900,00 Euro.
Arbeitgeber weigert sich
Der Arbeitgeber lehnte es ab, Urlaubsansprรผche fรผr die Zeit der Erwerbsminderung auszuzahlen. Bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung laufe der Sinn des Urlaubs ins Leere. Dieser diene dazu, sich von der Arbeit zu erholen. Er kรถnne also keinen Urlaub ansammeln, wenn er arbeitsfรคhig sei.
Der Betroffene ging vor das Arbeitsgericht, um seinen Anspruch durchzusetzen. Hier argumentierte der Arbeitgeber zunรคchst weiterhin, es kรถnne รผberhaupt keinen Urlaubsanspruch geben.
Selbst wenn jedoch formal ein Anspruch bestehe, handle es sich um Rechtsmissbrauch. Denn der Arbeitnehmer habe nur gekรผndigt, um sich die Urlaubstage auszahlen zu lassen.
Urlaub ist laut Arbeitgeber verfallen
Der gesetzliche Mindesturlaub sei verfallen, da der Arbeitgeber wegen der Arbeitsunfรคhigkeit nicht zur Urlaubsnahme hรคtte bewegen kรถnnen. Der zusรคtzliche vertragliche Urlaub sei verfallen, weil der Betroffene diesen nicht wie vorgeschrieben bis zum 31. Mรคrz des Folgejahres genommen habe.
Der gesetzliche Mehrurlaub fรผr Menschen mit Schwerbehinderung sei fรผr 2020 verfallen, weil das Unternehmen erst verspรคtet von der Schwerbehinderung erfahren habe.
Arbeitsgericht gibt zum Groรteil dem Arbeitnehmer Recht
Das Arbeitsgericht Mainz bestรคtigte in weiten Teilen den Arbeitnehmer. Allerdings billigte es ihm nur eine Auszahlung von 16.407,51 Euro zu. Denn der vertragliche Mehrurlaub fรผr 2020 und 2021 sei tatsรคchlich am 31. Mรคrz des Folgejahres verfallen.
Arbeitgeber legt Berufung ein
Der Arbeitgeber legte Berufung vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz ein und bestand darauf, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die Auszahlung des Urlaubs habe. Die Berufung scheiterte.
Es kommt nur auf das Arbeitsverhรคltnis an
Die Richter am Landesarbeitsgericht stellten klar, dass es fรผr einen Anspruch auf Urlaub nur darauf ankomme, ob das Arbeitsverhรคltnis bestehe, nicht aber auf die tatsรคchliche Arbeitsfรคhigkeit. Dabei verwiesen die Richter auf mehrere einschlรคgige Urteile des Europรคischen Gerichtshofes.
Urlaubsanspruch gilt auch fรผr Langzeiterkrankte
Der Urlaubsanspruch gelte also ausdrรผcklich auch fรผr Langzeiterkrankte. Der Zweck des Urlaubs, sich von der Arbeit zu erholen, stehe dem nicht entgegen. Eine Eigenkรผndigung sei zudem kein Rechtsmissbrauch. Ansprรผche wahrzunehmen, die sich aus dem Urlaubsrecht ergeben, stelle keinen Missbrauch dar, und das gelte auch, wenn das Motiv die finanzielle Entschรคdigung sei.
Zusatzurlaub fรผr schwerbehinderte Menschen ist nicht verfallen
Die Richter erkannten ebenso wie die Vorinstanz an, dass der Anspruch fรผr den vertraglichen Zusatzurlaub fรผr 2020 und 2021 verfallen war. Beim Zusatzurlaub fรผr schwerbehinderte Menschen wiesen sie den Arbeitgeber zurecht.
Der Arbeitnehmer hรคtte diesen, ihm zustehen Urlaub, nicht nehmen kรถnnen, da dies objektiv wegen Arbeitsunfรคhigkeit unmรถglich war. Das Unternehmen kรถnne sich also nicht auf fehlende Information berufen, denn diese spiele nur dann eine Rolle, wenn es den Urlaub hรคtte ermรถglichen kรถnnen.
Da das Landesarbeitsgericht mehr Urlaubstage als nicht abgelaufen sah als die Vorinstanz, sprach es dem Arbeitnehmer 16.199,82 Euro zu, die der Arbeitgeber ihm zahlen musste.