Bürgergeld: Gericht kritisiert schlampige Aktenführung des Jobcenters: Ortsabwesenheit war rechtens

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Begleitet eine leistungsbeziehende Mutter nach dem SGB II (Bürgergeld) nach ärztlicher Anordnung ihren behinderten, minderjährigen Sohn zur stationären Kinderrehabilitation, stellt dies einen wichtigen Grund im Sinne der Ortsabwesenheit dar und das Jobcenter muss in so einem Fall die Zustimmung zur Ortsabwesenheit erteilen.

Rechtswidrige Versagung/Entziehung von Bürgergeld

Eine Alleinerziehende Hilfebedürftige wendet sich im einstweiligem Rechtsschutz gegen die vorläufige Zahlungseinstellung des Jobcenters, denn die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses aufgrund von Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II in Verbindung mit den Regelungen der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) seien vorliegend nicht gegeben.

Mit wegweisendem Beschluus gibt das Landessozialgericht Sachsen – Anhalt ( Az. L 5 AS 378/10 B ER ) der Bezieherin von SGB 2 – Leistungen recht, denn

Wichtiger Grund – Begleitung zur stationären Kinderrehabilitation

Die Begleitung des minderjährigen Sohnes zur stationären Kinderrehabilitation ist ein wichtiger Grund für eine Ortsabwesenheit der Leistungsempfängerin, der die Zumutbarkeit des Aufenthalts im ortsnahen Bereich iS von § 10 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB 2 entfallen lässt.

Vielmehr hätte das Jobcenter bei sachgerechter Bearbeitung des Leistungsfalls auf die Anzeige der Antragstellerin seine Zustimmung zur Ortsabwesenheit geben müssen.

Kurzbegründung

Nach Auffassung des Gerichts ist die Begleitung des Sohnes bei der Rehabilitation einer Rehabilitationsmaßnahme der Antragstellerin selbst gleichzusetzen. Sie stellt einen wichtigen Grund für die Ortsabwesenheit dar, durch die die berufliche Integration der Antragstellerin nicht beeinträchtigt wurde.

Damit ist ein Grund gegeben, der die Zumutbarkeit des Aufenthalts im ortsnahen Bereich für die Zeitdauer der Rehabilitation iSv § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB II entfallen ließ.

Mithin war das Jobcenter aus Rechtsgründen die Aufhebung der Leistungsbewilligung unter Berufung auf die Vorschriften der Erreichbarkeitsanordnung nach § 7 Abs. 4a SGB II nicht möglich.

Das Gericht betont weiter- Zitat

“Die Regelungen der EAO im Bereich des SGB II sind auf Ortsabwesenheiten aus wichtigem Grund allenfalls eingeschränkt übertragbar. Je gewichtiger der Grund einer Ortsabwesenheit ist, desto höhere Anforderungen sind an ein der Zustimmung entgegenstehendes Eingliederungserfordernis zu stellen.”

Die Mutter hatte einen wichtigen Grund für ihre Ortsabwesenheit

Vorliegend hatte die Mutter aber einen wichtigen Grund für ihre Ortsabwesenheit. Die Begleitung ihres zum damaligen Zeitpunkt siebenjährigen Sohns zu dessen Kinderrehabilitation war ärztlich angeordnet. Es erfolgte eine Mitaufnahme der Mutter als Begleitperson, weil die aktive Begleitung des Erziehungsberechtigten Therapiebestandteil war, wie sich aus dem von der Antragstellerin nachgereichten Schreiben der Rehabilitationseinrichtung ergibt.

Fazit

Die Begleitung des minderjährigen Sohnes zur stationären Kinderrehabilitation, welche ärztlich angeordnet war, ist ein wichtiger Grund für eine Ortsabwesenheit der Leistungsempfängerin, der die Zumutbarkeit des Aufenthalts im ortsnahen Bereich iS von § 10 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB 2 entfallen lässt.

Anmerkung Sozialrechtsexperte von Tacheles e. V.

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 166/11 R – ausgeführt, die “Erreichbarkeit” sei für den Leistungsanspruch im SGB II nicht leistungsbegründend. Insoweit unterscheide sich die Regelung des SGB II von der des SGB III.

Sie sei eingebettet in die Regelung der Zumutbarkeit des § 10 SGB II. Das Begehren eines Leistungsberechtigten, von der Verpflichtung zur Ortsanwesenheit freigestellt zu werden, diene dazu, dem Eintritt eines Leistungsausschlussgrundes vorzubeugen.

Denn nach den Regelungen der EAO sind grundsätzlich nur bis zu dreiwöchige Aufenthalte außerhalb des Nahbereichs zulässig. Durch die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II solle die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen vermieden werden. Dazu solle eine Ortsabwesenheit ohne wichtigen Grund, der sog. Urlaub, auf drei Wochen begrenzt werden.

Die Regelungen der EAO im Bereich des SGB II sind daher auf Ortsabwesenheiten aus wichtigem Grund allenfalls eingeschränkt übertragbar. Je gewichtiger der Grund einer Ortsabwesenheit ist, desto höhere Anforderungen sind an ein der Zustimmung entgegenstehendes Eingliederungserfordernis zu stellen.