Bürgergeld: Fehlende Mitwirkung rechtfertigt keinen unbefristeten Leistungsentzug

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Das Landessozialgericht Bayern gab einer Klägerin Recht, die sich gegen eine Leistungsversagung des zuständigen Jobcenters wegen mangelnder Mitwirkung gerichtet hatte. Denn, so das Gericht, das Jobcenter haben seine pflichtgemäße Ermessensausübung überschritten. (L 16 AS 382/22)

Von welche Leitsätzen ging das Gericht aus?

Das Gericht führte aus, dass eine dauerhafte Versagung wegen mangelnder Mitwirkung nicht gerechtfertigt sei. Ein Versagungsbescheid müsse klarstellen, dass eine Leistung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt werde.

Zweitens sei eine Versagungsentscheidung nur rechtmäßig, wenn der Leistungsträger die Grenzen des Ermessensspielraums eingehalten und die Entscheidung hinreichend begründet hätte.

Eine Bürgergeld-Leistung drittens ganz zu versagen, ohne Ermessen abzuwägen, sei ein Nichtgebrauch des Ermessens.

Viertens müsste ein vollständiges Entziehen der Regelleistungen des Bürgergelds besonders begründet werden, Dies gelte vor allem bei der Frage, ob Leistungsberehctigte unter SGB II (Bürgergeld) oder SGB XII (Sozialhilfe) fallen.

Zum Tatbestand

Strittig ist zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigter das Versagen von Bürgergeld in einem Zeitraum des Jahres 2021.

2021 verlangte das Jobcenter eine Klärung ihrer Erwerbsfähigkeit in einem Schreiben mit Titel “Aufforderung zur Mitwirkung”. Darin enthalten war ein Hinweis, dass Leistungen versagt werden können, bis die Mitwirkung nachgeholt sei, der entsprechende Termin nicht eingehalten werde oder angeforderte Unterlagen nicht geliefert würden. Die Klägerin legte die Unterlagen nicht vor.

Kompletter Leistungsentzug

Ihr wurden ab Mai 2021 die Leistungen komplett entzogen. In dem Bescheid dazu schrieb das Jobcenter “die Klägerin sei (…) aufgefordert worden, fehlende Unterlagen einzureichen, um ihre Erwerbsfähigkeit zu klären. Sie sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, da sie den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen und die unterschriebenen Schweigepflichtentbindungserklärungen nicht vorgelegt habe.”

Hilfebedürftigkeit könne nicht geprüft werden, es sei Gebrauch von dem eingeräumten Ermessen gemacht worden: “Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt werden könnten.”

Einen Widerspruch der Klägerin wies das Jobcenter zurück, und ihre Klage vor dem Sozialgericht Augsburg wies dieses ab. Das Gericht begründete die Entscheidung folgendermaßen: “Der Versagungsbescheid (des Jobcenters) sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin gebe immer wieder gegenüber dem Beklagten an, dass sie nur unter drei Stunden täglich erwerbsfähig sei. (…) Einerseits trage sie vor, weniger als drei Stunden täglich arbeiten zu können, andererseits berufe sie sich auf die gutachterliche Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit aus dem Jahr 2017, wonach keine Vermittlungshemmnisse bestünden.”

Für die Bewilligung von Leistungen sei es zwingend geboten, die Erwerbsfähigkeit der Betroffenen zu klären. Diese Aufklärung würde durch ihre fehlende Mitwirkung erschwert, und ohne ihre Mitwirkung ließe sich die Frage nicht klären.

Berufung ist erfolgreich

Die Klägerin legte erfolgreich Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht ein. Dieses urteilte, dass das Sozialgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hätte und der Widerspruchsbescheid des Jobcenters rechtswidrig gewesen sei.

Richtig sei zwar, dass die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten nicht vollständig genügt habe, und ihre Erwerbsfähigkeit hätte nicht aktuell geklärt werden können. Es hätte in der Amtsermittlungspflicht das Jobcenters gelegen, Ermittlungen zur Klärung der Erwerbsfähigkeit einzuleiten.

Ermessen überschritten

Dies sei aber insofern nicht der wesentliche Punkt, weil das Jobcenters das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe. Der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Der Widerspruchsbescheid und der Gerichtsbeschceid des Sozialgerichtes seien deshalb aufzuheben.

Warum handelte das Jobcenter rechtswidrig?

Laut dem Landessozialgericht ist eine Versagungsentscheidung ist nur dann rechtmäßig, “sofern der Leistungsträger sein Entscheidungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessensspielraumes eingehalten und seine Entscheidung hinreichend begründet hat.”

Einen möglichen Endzeitpunkt des Leistungsentzugs hätte das Jobcenter nicht genannt. Eine
Versagung “auf Dauer” sei nicht gedeckt vom § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I.

Das Jobcenter habe der Betroffenen die Leistungen des Bürgergeldes unbefristet und vollumfänglich versagt. Damit sei das gesetzlich erlaubte Ermessen überschritten worden, denn die Leistung dürfe nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt werden.

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