Studie: Sanktionen im Bürgergeld sinnlos

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Die Auseinandersetzung darüber, wie viele Bürgergeldbeziehende sich beharrlich weigern, eine vom Jobcenter vermittelte Beschäftigung aufzunehmen, wird seit Monaten mit großer Vehemenz geführt.

Eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: Totale Verweigerung ist demnach ein absolutes Randphänomen.

Aus den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit leiten die Forschenden ab, dass zwischen April 2024 und Juni 2025 deutlich weniger als 100 Personen von den härtesten Sanktionen der Jobcenter betroffen waren.

Ins Verhältnis gesetzt mit den mehr als fünf Millionen Menschen, die im Laufe des Jahres 2024 zumindest zeitweise zu den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zählten, ist das verschwindend gering. Die Debatte entzündet sich damit offenkundig an einem Ausnahmefall, nicht am Regelfall.

Gesetzliche Verschärfung ohne verhaltenslenkende Wirkung

Im Fokus der IAB-Analyse steht eine Gesetzesänderung, die auf den damaligen Arbeitsminister Hubertus Heil zurückgeht. Sie erlaubt Jobcentern, den Regelsatz für zwei Monate vollständig zu streichen, wenn Leistungsberechtigte die Aufnahme einer Arbeit, Ausbildung oder eines geförderten Beschäftigungsverhältnisses verweigern und bereits im Vorjahr deshalb sanktioniert wurden.

Die Erwartung dahinter war eine “verhaltenslenkende Wirkung”: Strengere Sanktionen sollten zu mehr Arbeitsaufnahmen führen. Diese These bestätigt sich laut IAB nicht.

Die Regelung „dürfte kaum eine verhaltenslenkende Wirkung haben, die zu deutlich mehr Arbeitsaufnahmen führt“, heißt es in der Bewertung. Härte allein ist demnach kein wirksames Steuerungsinstrument – zumal es sich, gemessen am Gesamtbestand, um extrem wenige Fälle handelt.

Populismus statt Hilfe

Trotz der Evidenz zielt die aktuelle Regierungsagenda laut Koalitionsvertrag weiterhin auf härtere „Mitwirkungspflichten und Sanktionen“. Geplant ist auch die Möglichkeit eines vollständigen Leistungsentzugs.

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Die IAB-Fachleute raten davon ab. Ihr Befund ist nüchtern: Wo die schärfste Sanktion kaum angewandt wird und nachweislich keinen messbaren Effekt auf Arbeitsaufnahmen hat, droht Symbolpolitik. Wer dennoch anzieht, riskiert Nebenwirkungen – von Verschuldung bis Wohnungsverlust –, ohne das erklärte Ziel schnellerer Integration in Arbeit zuverlässig zu erreichen.

Strukturelle Baustellen: Leistungen erreichen zu oft nicht die Richtigen

Während die Sanktionsfrage die Schlagzeilen dominiert, verweist die Diakonie Deutschland auf ein tiefer liegendes Problem: Viele anspruchsberechtigte Menschen erhalten nicht alle Leistungen, die ihnen zustehen. Besonders Familien verlieren im Dschungel aus Kinderzuschlag, Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, Kindergeld und Bürgergeld den Überblick.

Nicht genutzte Ansprüche und formale Fehler führen zu Rückforderungen, verfestigen Unsicherheit und tragen zu einer anhaltend hohen Kinderarmut bei. Der Verweis markiert einen Perspektivwechsel: Nicht Missbrauch ist der Regelfall, sondern Nichtinanspruchnahme.

Helena Steinhaus vom Verein „Sanktionsfrei“ spricht von einer Debatte, in der Armut immer wieder stigmatisiert werde. Der Blick auf vermeintliche Großzügigkeit des Sozialstaats verstelle den Blick auf die Probleme von Erwerbsarmut, Qualifikationsdefiziten, gesundheitlichen Belastungen und fehlender Kinderbetreuung.

Dass das Bürgergeld vielfach als zu niedrig kritisiert wird, gehört zu den weiteren Wahrheiten. Wer Verhaltensänderungen will, muss Voraussetzungen schaffen: verlässliche Beratung, erreichbare Qualifizierung, flexible Betreuung und eine Arbeitsnachfrage, die zu Profilen und Lebenslagen passt.

Evidenz vor Populismus

Das Ergebnis der IAB-Analyse ist entwaffnend simpel: Totalsanktionen treffen extrem wenige Menschen und entfalten keine nachweisbare Lenkungswirkung. Politisch bleibt die Versuchung groß, Härte zu zeigen, weil sie kommunikativ einfach ist.

Erfolg in der Arbeitsmarktintegration entsteht im mühsamen Detail: beim Abbau bürokratischer Hürden, bei passgenauer Förderung, in verlässlicher Begleitung und durch eine Verwaltung, die Komplexität nicht an die Betroffenen auslagert.