Schwerbehinderung: Anspruch auf eine größere Wohnung mit Merkzeichen aG

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Schon der erste Blick auf den Schwerbehindertenausweis kann in Wohnungsfragen entscheidend sein. Trägt er das Merkzeichen aG („außergewöhnliche Gehbehinderung“), müssen die Jobcenter und Sozialämter bei der Prüfung der Angemessenheit bis zu 15 Quadratmeter über die lokal üblichen Höchstwerte hinausgehen.

Die zusätzliche Fläche soll Rollstuhlnutzer einen ausreichenden Wendekreis, Platz für Hilfsmittel, Pflegebetten oder barrierefreie Sanitärzellen sichern.

Mehr noch: Ist eine entsprechend große, stufenlose Wohnung auf dem örtlichen Markt knapp, können die Behörden verpflichtet sein, auch eine Miete oberhalb der allgemeinen Obergrenze zu akzeptieren.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied im Oktober 2023, dass ein Jobcenter die Kosten einer barrierefreien Sechszimmerwohnung übernehmen musste, weil der in den Rollstuhl gebundene Sohn andernfalls nicht selbstständig hätte wohnen können.

Wie beeinflusst das Merkzeichen die finanzielle Belastung durch Miete?

Erhöhte Quadratmeterzahlen bedeuten meist höhere Kaltmieten. Das Recht spricht deshalb von einem „Mehrbedarf für Unterkunft“.

Jobcenter und Sozialämter müssen nicht nur die größere Wohnfläche tolerieren, sondern auch den daraus resultierenden Mehrpreis schultern, solange keine gleichwertige billigere Wohnung verfügbar ist – ein Punkt, der vor allem in angespannten Wohnungsmärkten praktisch wichtig wird.

Scheitert die Suche nach einer günstigeren Alternative nachweislich, entfällt die Pflicht, Kosten zu senken; eine behinderungsbedingte „Unvermeidbarkeit“ genügt.

Welche zusätzlichen Geldleistungen bringt das aG-Merkzeichen?

Parallel zum Mietthema erhöht das Merkzeichen die monatlichen Regelsätze. Im Bürgergeld (§ 21 Abs. 4 SGB II) und in der Sozialhilfe (§ 30 SGB XII) löst es einen Mobilitäts-Mehrbedarf aus, der derzeit 17 Prozent des persönlichen Regelbedarfs beträgt.

Wer an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilnimmt, kann zeitweise 35 Prozent erhalten. Somit fließen bei einer alleinstehenden Person aktuell rund 100 Euro pro Monat extra in den Haushalt.

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Wie sieht die steuerliche Entlastung aus?

Das aG-Merkzeichen verschafft eine vollständige Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer, sofern das Fahrzeug überwiegend von der oder für die behinderte Person genutzt wird.

Bei der Einkommensteuer erlaubt der Behinderten-Pauschbetrag die pauschale Anrechnung behinderungsbedingter Fahrt- und Gesundheitskosten; mit aG steigt er auf derzeit 4 500 Euro jährlich. Wer seine tatsächlichen Ausgaben belegen kann, darf alternativ die höhere Einzelfallabrechnung wählen.

Welche Rolle spielt das Wohngeld?

Haushalte außerhalb von Bürgergeld oder Sozialhilfe profitieren von einem Freibetrag in Höhe von 1 800 Euro, der beim Wohngeld vom Jahreseinkommen abgezogen wird. Vor allem Rentner*innen mit aG-Merkzeichen können dadurch die Einkommensschwelle unterschreiten, ab der ein Wohngeldanspruch entsteht – oft macht erst dieser Freibetrag die Förderung möglich.

Wie gelingt die größere Wohnung in der Praxis?

Nach Feststellung des Merkzeichens aG sollten Betroffene den Ergebnisbescheid umgehend beim Wohnungsamt, Jobcenter oder Sozialamt vorlegen und schriftlich zusichern lassen, dass zusätzliche Quadratmeter und höhere Mietkosten als angemessen anerkannt werden.

Kommt es dennoch zu Ablehnungen, empfiehlt sich binnen eines Monats Widerspruch; bleibt dieser erfolglos, steht der Klageweg zum Sozialgericht offen.

Die Verfahren sind gerichtskostenfrei, und bereits im Eilverfahren lassen sich Zusicherungen für eine konkrete Wohnung erstreiten – das LSG-Urteil von 2023 zeigt, dass die Gerichte die Belange außergewöhnlich Gehbehinderter sehr ernst nehmen.

Wo wird der Antrag gestellt?

Der Antrag auf das Merkzeichen aG wird nicht separat, sondern im Rahmen des allgemeinen Feststellungsverfahrens für den Schwerbehindertenausweis beim zuständigen Versorgungsamt bzw. Landesamt für Soziales des Bundeslandes (in Bayern z. B. Zentrum Bayern Familie & Soziales, in NRW das LVR- oder LWL-Inklusionsamt) gestellt; die Formulare sind online abrufbar oder können schriftlich angefordert werden und müssen zusammen mit aktuellen ärztlichen Befunden oder Entlassungsberichten eingereicht werden.

Wenn die Behörde ablehnt

Lehnt die Behörde das Merkzeichen ab, haben Betroffene einen Monat Zeit, schriftlich Widerspruch einzulegen, woraufhin der Bescheid intern noch einmal geprüft und gegebenenfalls ein weiteres Gutachten veranlasst wird; bleibt der Widerspruch erfolglos, kann ohne Gerichtskosten und ohne Anwaltszwang Klage beim örtlich zuständigen Sozialgericht erhoben werden, wobei in dringenden Fällen (etwa drohendem Wohnungsverlust) zusätzlich ein einstweiliger Rechtsschutz beantragt werden kann, um die begehrten Nachteilsausgleiche bis zur endgültigen Entscheidung vorläufig nutzen zu dürfen.

Welche Rechtsquellen stützen den Anspruch auf Zusatzfläche?

Die Grundlage liegt im Sozialrecht: § 22 SGB II und § 35 SGB XII verpflichten Leistungsträger, „angemessene“ Unterkunftskosten zu decken. Was als angemessen gilt, wird durch kommunale Richtwerte konkretisiert. Für Menschen mit aG-Merkzeichen ordnen Verwaltungsvorschriften und ständige Rechtsprechung jedoch eine Erweiterung dieser Werte an.

Die Praxis orientiert sich an DIN 18040-2 (barrierefreies Bauen) sowie an Empfehlungen der Konferenz der Sozialminister*innen, die einen Aufschlag von etwa 15 Quadratmetern pro betroffenem Haushaltsmitglied für angemessen hält.

Fazit

Das Merkzeichen aG ist weit mehr als eine medizinische Kategorie: Es öffnet Türen – buchstäblich – zu größerem, barrierefreiem Wohnraum und trägt die Mehrkosten.

Gleichzeitig sorgt es für höhere Sozialleistungen und spürbare steuerliche Entlastungen. Wer Anspruchsvoraussetzungen und Rechtswege kennt, kombiniert damit bauliche Freiheit und finanziellen Spielraum zu einem wirkungsvollen Instrument gegen Wohnungsnot und ökonomische Belastung.