Millionen Riester-Vertrรคge laufen noch, aber die staatliche Fรถrderung kommt bei vielen Sparern nur zur Hรคlfte an. Eine neue Sonderauswertung der Deutschen Rentenversicherung zeigt: Nur ein Teil der Riester-Sparer erfรผllt die Bedingungen fรผr die volle Zulage, der Rest verzichtet โ oft unbemerkt โ auf bares Geld.
Schon ein zu niedrig eingestellter Monatsbeitrag oder ein nicht aktualisierter Dauerzulagenantrag reicht, damit aus โstaatlich gefรถrdertโ ein schlecht genutztes Sparprodukt wird.
DRV-Auswertung: Nur jeder zweite Vertrag nutzt die volle Grundzulage
Fรผr das Beitragsjahr 2022 wurden knapp 9,8 Millionen Personen mit gefรถrdertem Riester-Vertrag erfasst. Die Vertragslandschaft ist insgesamt deutlich geschrumpft: Offiziell existieren zwar noch knapp 15 Millionen Vertrรคge, doch ein erheblicher Teil davon ruht ohne laufende Beitrรคge. Gefรถrdert wird nur, wo auch tatsรคchlich eingezahlt wird.
Von diesen 9,8 Millionen Zulagenempfรคngern erhielt lediglich gut die Hรคlfte die volle Grundzulage von 175 Euro. Rund 4,8 Millionen Sparende bekamen weniger, hรคufig deutlich weniger.
Im Durchschnitt lag die ausgezahlte Grundzulage bei nur rund 131 Euro. Pro Vertrag bleiben damit knapp 44 Euro pro Jahr an Grundzulage ungenutzt โ unabhรคngig von zusรคtzlichen Kinderzulagen.
Die aktuelle Statistik bestรคtigt einen Trend, der sich bereits vor Jahren abzeichnete. Schon zu Beginn der 2010er-Jahre zeigte sich, dass nur gut die Hรคlfte der Riester-Sparer die volle Grundzulage ausschรถpft. Heute ist die Situation eher schlechter als besser: Die Zahl der Vertrรคge sinkt, und der Anteil derer, die die Fรถrderung vollstรคndig abrufen, nimmt zusรคtzlich ab.
Was hinter dem Mindesteigenbeitrag steckt
Der Kern des Problems liegt in einer einzigen Regel, an der die komplette Fรถrderung hรคngt. Wer die volle Riester-Zulage erhalten will, muss jedes Jahr einen bestimmten Mindesteigenbeitrag leisten. Die Formel lautet: vier Prozent des rentenversicherungspflichtigen Vorjahreseinkommens, hรถchstens 2.100 Euro pro Jahr, abzรผglich der zustehenden Zulagen.
Die Grundzulage von 175 Euro ist dabei nur ein Teil der Fรถrderung. Hinzu kommen Kinderzulagen, die den eigenen Beitrag deutlich senken kรถnnen. Genau diese Mischung aus Prozentrechnung, Einkommensgrenze, Kinderzahl und Zulagen macht das System fรผr viele unรผbersichtlich. Die Folge: Beitrรคge werden irgendwann einmal festgelegt, danach selten oder gar nicht mehr angepasst โ obwohl sich Einkommen, Kinderzahl oder Erwerbssituation lรคngst verรคndert haben.
Besonders tรผckisch ist der Dauerzulagenantrag. Er soll eigentlich entlasten, indem die Zulagen automatisch Jahr fรผr Jahr beantragt werden. Er รคndert aber nichts daran, dass der Sparbeitrag immer wieder an neue Lebensumstรคnde angepasst werden muss. Wer das vergisst, erfรผllt die Fรถrdervoraussetzungen nicht mehr vollstรคndig und verliert einen Teil der Zulagen, ohne dass dies sofort auffรคllt.
Rechenbeispiel: Wie schnell dreistellige Betrรคge verloren gehen
Ein einfaches Beispiel zeigt, wie viel Geld in einem einzelnen Vertrag liegenbleiben kann.
Eine Angestellte hatte im Vorjahr ein rentenversicherungspflichtiges Einkommen von 35.000 Euro brutto. Vier Prozent davon ergeben 1.400 Euro. Fรผr die volle Fรถrderung mรผssen diese 1.400 Euro in den Vertrag flieรen โ bestehend aus eigener Einzahlung plus Grundzulage.
Die Grundzulage betrรคgt 175 Euro. Der notwendige Mindesteigenbeitrag liegt damit bei 1.225 Euro pro Jahr. Umgerechnet sind das rund 102 Euro im Monat. Zahlt die Angestellte tatsรคchlich 102 Euro pro Monat ein, wird die volle Grundzulage gutgeschrieben.
Stellt sie den Beitrag aber beispielsweise nur auf 60 Euro im Monat ein, summiert sich ihr Eigenbeitrag im Jahr auf 720 Euro. Das sind rund 59 Prozent des erforderlichen Mindesteigenbeitrags von 1.225 Euro. Genau in diesem Verhรคltnis wird die Grundzulage gekรผrzt. Statt 175 Euro landen nur etwa 103 Euro auf dem Riester-Konto.
Jedes Jahr gehen rund 72 Euro Grundzulage verloren โ zusรคtzlich zur geringeren eigenen Sparleistung. รber zehn Jahre hinweg sind das bereits รผber 700 Euro allein an nicht genutzten staatlichen Zuschรผssen, ohne Zins- und Zinseszinseffekte mitzuberechnen.
Kinderzulage: Besonders bitter, wenn der Eigenbeitrag nicht stimmt
Noch gravierender werden die Verluste, sobald Kinderzulagen hinzukommen. Fรผr Kinder, die vor 2008 geboren sind, betrรคgt die Zulage 185 Euro pro Jahr. Fรผr Kinder ab Geburtsjahr 2008 sind es 300 Euro pro Jahr. Diese Betrรคge zรคhlen mit zur Riester-Fรถrderung und reduzieren den notwendigen Eigenbeitrag.
Ein Beispiel: Ein Versicherter hat 28.000 Euro Vorjahreseinkommen und zwei Kinder, die nach 2008 geboren sind. Vier Prozent von 28.000 Euro ergeben 1.120 Euro. Ihm stehen 175 Euro Grundzulage und zweimal 300 Euro Kinderzulage zu, also zusammen 775 Euro.
Damit bleibt ein Mindesteigenbeitrag von 345 Euro pro Jahr, umgerechnet rund 29 Euro im Monat. Zahlt er diese knapp 29 Euro, erhรคlt er die vollen Zulagen: 175 Euro Grundzulage plus insgesamt 600 Euro Kinderzulage. Der Staat รผberweist damit mehr als doppelt so viel wie der eigene Beitrag.
Setzt derselbe Sparer den Beitrag allerdings nur auf 15 Euro im Monat fest, kommt er im Jahr auf 180 Euro. Das sind gut 52 Prozent der erforderlichen 345 Euro. Die Folge: Sowohl Grund- als auch Kinderzulagen werden proportional gekรผrzt. Statt 175 Euro Grundzulage landen nur gut 90 Euro auf dem Vertrag, jede Kinderzulage sinkt von 300 auf knapp รผber 150 Euro. Pro Jahr gehen damit rund 370 Euro an Fรถrderung verloren. รber mehrere Jahre summieren sich solche Lรผcken schnell zu vierstelligen Betrรคgen, die im Alter in der Auszahlphase schlicht fehlen.
Ruhende Vertrรคge und Mini-Beitrรคge: Wenn aus Fรถrderung ein Sparbuch ohne Zinsen wird
Ein weiteres Problem sind ruhende Vertrรคge oder symbolische Mini-Beitrรคge. Das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass gut ein Fรผnftel bis knapp ein Viertel aller Riester-Vertrรคge ohne laufende Beitragszahlung gefรผhrt werden. Die Vertrรคge existieren formal weiter, es wird aber nichts mehr eingezahlt. Zulagen flieรen in dieser Zeit nicht.
Hier verschenken die Betroffenen die komplette Fรถrderlogik des Produkts. Statt einer staatlich subventionierten Altersvorsorge halten sie de facto ein altes Sparbuch, dessen Restguthaben nur noch verwaltet wird. Oft wird der Vertrag nicht bewusst โabgeschaltetโ, sondern schlicht ignoriert, weil das Einkommen gesunken ist, ein Jobwechsel ansteht oder sich die persรถnliche Lebenssituation geรคndert hat.
Auch bei sehr niedrigen Einzahlungen entsteht dieses Problem. Wer monatlich nur kleine Betrรคge auf den Riester-Vertrag รผberweist und damit deutlich unter dem Mindesteigenbeitrag bleibt, erfรผllt zwar die Form, nutzt aber den Fรถrdermechanismus nicht wirklich. Die staatlichen Zuschรผsse werden auf ein Niveau gekรผrzt, das den Aufwand kaum rechtfertigt.
Typische Fehler, die Riester-Sparer teuer bezahlen
In vielen Fรคllen lassen sich die Fรถrderverluste auf immer wiederkehrende Fehlerkonstellationen zurรผckfรผhren. Hรคufig wird der Beitrag einmal beim Vertragsabschluss festgelegt und dann jahrelang nicht mehr รผberprรผft. Steigt das Einkommen, mรผssten auch die vier Prozent angepasst werden, damit die Fรถrderung vollstรคndig bleibt. Geschieht das nicht, rutscht der Sparbeitrag unbemerkt unter die Grenze fรผr die volle Zulage.
Ein zweiter Klassiker sind Verรคnderungen in der Familie. Wenn ein Kind dazukommt, sinkt der notwendige Eigenbeitrag, weil zusรคtzliche Kinderzulagen flieรen. Wird ein Kind รคlter und die Kinderzulage endet, mรผsste der eigene Beitrag steigen. Wer diese รbergรคnge nicht im Blick hat, verliert Geld โ oft, ohne es zu merken, weil die jรคhrliche Zulagenmitteilung nicht im Detail geprรผft wird.
Ein dritter Fehlerbereich sind Phasen ohne Pflichtbeitrรคge: Wechsel in die Selbststรคndigkeit ohne gesetzliche Rentenversicherung, lรคngere Auslandsaufenthalte oder Zeiten ohne Beschรคftigung. Je nachdem, wie der Riester-Vertrag konstruiert ist, verรคndert sich in solchen Phasen auch die Fรถrderfรคhigkeit. Wer hier nicht nachfragt oder die Situation mit der Rentenversicherung und dem Anbieter klรคrt, riskiert Lรผcken bei Zulagen und spรคteren Rentenansprรผchen.
Schlieรlich spielen auch ganz banale Fristversรคumnisse eine Rolle. Der Zulagenantrag kann zwei Jahre rรผckwirkend gestellt werden, danach ist die Fรถrderung fรผr das betreffende Jahr verloren. Fehler im Dauerzulagenantrag oder verspรคtet mitgeteilte รnderungen bleiben dann oft endgรผltig ohne Korrekturmรถglichkeit.
Warum das Problem politisch brisant ist
Die Zahlen der Rentenversicherung zeigen, dass Riester nicht nur unter hohen Kosten und teils intransparenten Produkten leidet, sondern auch an seiner komplizierten Fรถrderarchitektur. Ein System, in dem nur rund die Hรคlfte der Sparer die volle Zulage erhรคlt, kann seinen Zweck, breite Bevรถlkerungsschichten verlรคsslich bei der Altersvorsorge zu unterstรผtzen, kaum erfรผllen.
Gleichzeitig wird รผber neue staatlich gefรถrderte Vorsorgeprodukte diskutiert, die Riester teilweise ersetzen oder ablรถsen sollen. Geplant sind standardisierte, kostengรผnstigere Angebote, die stรคrker auf Aktienfonds setzen und weniger starre Garantien enthalten. Solche Reformen lรถsen allerdings keine einzige der praktischen Fragen, wenn erneut ein Fรถrdermechanismus geschaffen wird, den viele Menschen im Alltag nicht verstehen.
Fรผr die Betroffenen ist entscheidend, dass die Regeln einfach genug sind, um ohne Steuerberater, Versicherungsberater oder stรคndige Online-Rechner bedient zu werden. Solange das nicht der Fall ist, werden Zulagen und Steuervorteile weiterhin an denen vorbeilaufen, die sie am dringendsten benรถtigen.
Was Betroffene jetzt konkret tun kรถnnen
Wer einen Riester-Vertrag besitzt, sollte nicht warten, bis eine mรถgliche Reform kommt, sondern die eigene Fรถrderung jetzt prรผfen. Ausgangspunkt ist der Blick auf die letzte Zulagenmitteilung und die Hรถhe der tatsรคchlich gezahlten Zulagen. Fรคllt die Grundzulage niedriger aus als 175 Euro oder sind Kinderzulagen nicht in voller Hรถhe erkennbar, ist das ein Warnsignal.
Im nรคchsten Schritt lohnt es sich, das eigene Vorjahreseinkommen und die aktuelle Beitragshรถhe nebeneinanderzulegen. Mit dem Riester-Rechner der Deutschen Rentenversicherung lรคsst sich der notwendige Mindesteigenbeitrag relativ schnell ermitteln.
Wichtig ist, diese Rechnung jedes Jahr neu vorzunehmen und bei Einkommenserhรถhungen, Teilzeitphasen oder Elternzeit nicht einfach den alten Beitrag fortzufรผhren.
Ruhende Vertrรคge sollten bewusst รผberprรผft werden. Wer dauerhaft nichts mehr einzahlt und keine Aussicht auf nennenswerte Zulagen hat, muss prรผfen, ob der Vertrag noch sinnvoll ist oder ob eine andere Form der Altersvorsorge besser passt. Entscheidend ist, dass solche Entscheidungen aktiv getroffen werden โ und nicht aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit.
Am Ende entscheidet nicht die Existenz eines Riester-Vertrags darรผber, ob sich die staatliche Fรถrderung lohnt, sondern die Frage, ob der Mindesteigenbeitrag tatsรคchlich erreicht wird. Wer diese eine Stellschraube ignoriert, spart schnell am falschen Ende โ und verschenkt Jahr fรผr Jahr Geld, das eigentlich fรผr die eigene Rente gedacht war.
FAQ zur Riester-Fรถrderung
Warum erhalte ich nicht die volle Riester-Zulage?
Meist liegt der Monatsbeitrag unter dem Mindesteigenbeitrag. Dieser muss vier Prozent des rentenversicherungspflichtigen Vorjahreseinkommens erreichen, abzรผglich der zustehenden Zulagen.
Wie erkenne ich, ob meine Zulage gekรผrzt wurde?
Die jรคhrliche Zulagenmitteilung zeigt die tatsรคchlich รผberwiesenen Betrรคge. Liegt die Grundzulage unter 175 Euro, wurde sie anteilig gekรผrzt.
Was passiert, wenn sich mein Einkommen รคndert?
Bei Gehaltssteigerungen steigt auch der Mindesteigenbeitrag. Wer den Beitrag nicht anpasst, verliert automatisch einen Teil der Zulage.
Welche Rolle spielen Kinderzulagen?
Kinderzulagen senken den eigenen Mindestbeitrag. Endet eine Kinderzulage, muss der Beitrag steigen โ sonst wird die Fรถrderung gekรผrzt.
Kann ich Zulagen nachtrรคglich beantragen?
Ja, aber nur innerhalb von zwei Jahren. Danach verfรคllt die Zulage endgรผltig.
Was bedeuten ruhende Vertrรคge?
Bei fehlenden Einzahlungen gibt es keine Zulagen mehr. Der Vertrag verliert seinen Fรถrdervorteil und spart kaum noch wirksam fรผrs Alter.
Wie kann ich meinen Mindesteigenbeitrag prรผfen?
Mit dem Riester-Rechner der Deutschen Rentenversicherung lรคsst sich der Jahresbeitrag schnell berechnen.




