Rente: Drohen jetzt Fahrverbote für Rentner?

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Die Diskussion flammt jedes Mal neu auf, wenn Brüssel an der EU-Führerscheinrichtlinie schraubt: Sind Rentner künftig verpflichtet, ihren Führerschein nach Erreichen eines bestimmten Alters abzugeben oder regelmäßig zu erneuern?

Warum ist das Thema gerade jetzt wieder auf der politischen Agenda?

Im März 2025 haben Unterhändler des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten eine vorläufige Einigung („Trilog-Deal“) über die vierte Führerscheinrichtlinie erzielt.

Das Kernziel bleibt die „Vision Zero“ – also keine Verkehrstoten mehr bis 2050. Neu sind vor allem ein europaweit digitaler Führerschein, eine zweijährige Probezeit für Fahranfänger und die Möglichkeit für Mitgliedstaaten, die Gültigkeitsdauer von Führerscheinen ab 65 Jahren zu verkürzen.

Verbindliche altersbezogene Gesundheitschecks wurden dagegen nicht ins Paket aufgenommen; stattdessen können Staaten zwischen ärztlichen Untersuchungen, Eigenerklärungen oder anderen Modellen wählen.

Dr. Utz Anhalt: Drohen jetzt für Rentner Fahrverbote?

Bedeutet das automatische Medizinchecks ab 75 – oder gar ein Fahrverbot?

Nein. Die Richtlinie lässt ausdrücklich Spielraum: Sie verpflichtet kein Land, ab einem bestimmten Geburtstag zwingend eine ärztliche Untersuchung anzuordnen.

Vielmehr dürfen die Staaten selbst entscheiden, ob sie die Laufzeit des Dokuments auf fünf, drei oder – wie bisher in Deutschland – 15 Jahre belassen.

Ein Alterslimit, das zum Entzug der Fahrerlaubnis führt, widerspräche zudem europäischen Diskriminierungsgrundsätzen. Kritiker wie das Netzwerk „AGE Platform“ warnen gleichwohl, dass eine optionale Verkürzung der Gültigkeit ab 65 Jahre einer Altersdiskriminierung gleichkommen könne, wenn sie pauschal angewandt würde.

Was sagt das deutsche Recht – kann die Fahrerlaubnis allein wegen des Alters entzogen werden?

Das Straßenverkehrsgesetz knüpft die Fahreignung an körperliche und geistige Tauglichkeit, nicht an Lebensjahre. § 2 StVG sowie die Fahrerlaubnis-Verordnung erlauben es Behörden, bei Anhaltspunkten Gutachten oder Untersuchungen anzuordnen. Diese Anhaltspunkte müssen aber konkret sein – etwa schwere Erkrankungen, wiederholte Verkehrsverstöße oder auffälliges Fahrverhalten.

Ein Geburtstag allein genügt nicht. Sollte Deutschland künftige EU-Vorgaben umsetzen, müsste der Gesetzgeber entscheiden, ob er – ähnlich wie heute bei Lkw-Führerscheinen – kürzere Verlängerungsintervalle vorsieht oder ausschließlich auf freiwillige Checks setzt.

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Welche Erfahrungen machen andere europäische Länder schon heute?

Die Schweiz verlangt ab 75 Jahren alle zwei Jahre eine ärztliche Überprüfung der Fahreignung; Hausärztinnen und Hausärzte kontrollieren Sehkraft, Reaktion und Beweglichkeit.

In den Niederlanden gilt ein Fünfjahres-Rhythmus ab 75, in Dänemark sogar eine jährliche Untersuchung ab 80. Anders als vielfach behauptet, setzt sich dabei niemand erneut in die theoretische oder praktische Prüfung; es geht schlicht um die Bescheinigung medizinischer Mindeststandards. Solche Modelle sind in Brüssel als Orientierung bekannt – verpflichtend werden sie aber nicht.

Wie unfallträchtig ist die Generation 65+ tatsächlich?

Statistiken des Statistischen Bundesamtes widerlegen die Annahme, ältere Menschen seien generell sicherheitsbewusstere Fahrer: Werden sie in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt, tragen über 65-Jährige in knapp 69 Prozent die Hauptschuld, bei den über 75-Jährigen steigt der Anteil auf rund 77 Prozent.

Dennoch ist die absolute Zahl ihrer Unfälle geringer als die jüngerer Altersgruppen, weil Seniorinnen und Senioren insgesamt seltener Auto fahren. Entscheidend ist also nicht die Häufigkeit, sondern die Verantwortlichkeit bei den Unfällen, die tatsächlich passieren – ein Argument, das Befürworter regelmäßiger Tauglichkeitschecks anführen.

Was würde sich für Rentner in Deutschland konkret ändern?

Selbst wenn die Richtlinie noch 2025 endgültig verabschiedet wird, steht nationaler Gesetzgebungsbedarf an. Bis eine Umsetzung greift, vergehen erfahrungsgemäß zwei bis drei Jahre.

Wahrscheinlich ist, dass Deutschland vorerst beim heutigen Modell bleibt: keine Pflichtuntersuchungen für Pkw-Fahrer, aber die Option, bei begründetem Zweifel am Gesundheitszustand individuelle Auflagen zu erteilen.

Denkbar wäre eine Verkürzung der Führerschein-Gültigkeit auf fünf Jahre ab 70 oder 75 Jahren – mit Verlängerung durch einen Gesundheitsfragebogen oder eine ärztliche Bescheinigung.

Politisch zeichnet sich jedoch keine Mehrheit für rigide Altersgrenzen ab; Ex-Verkehrsminister Volker Wissing hatte wiederholt betont, Fahreignung müsse „an Fähigkeiten, nicht an Jahren“ gemessen werden.

Gibt es Anreize, freiwillig auf das Autofahren zu verzichten?

Mehrere Städte und Landkreise honorieren bereits heute den freiwilligen Führerscheinverzicht ab 65. Wer das Dokument dauerhaft bei der Fahrerlaubnisbehörde abgibt, erhält oft ein Jahres-Deutschlandticket gratis oder ein längeres ÖPNV-Abo.

Leverkusen vergibt ein zwölfmonatiges Ticket, Dortmund zwei und Bonn sechs Monate, andere Kommunen gewähren lebenslange Nahverkehrs-Freifahrt. Wer sich sowieso unsicher fühlt, kann damit seine Mobilität sichern und zugleich Fixkosten für Auto, Versicherung und Wartung streichen.

Wie können Rentner ihre Fahreignung realistisch einschätzen?

Verantwortungsbewusste Fahrerinnen und Fahrer lassen regelmäßig ihr Seh- und Hörvermögen prüfen, achten auf Reaktionsfähigkeit und Medikamenteneinnahme. Hausärztinnen und Hausärzte, Fahrsicherheitszentren des ADAC oder freiwillige Fahrtests können wertvolle Rückmeldungen liefern, ohne dass Behörden eingeschaltet werden.

Wer Symptome wie Orientierungsprobleme, verzögerte Reaktionen oder körperliche Einschränkungen bemerkt, sollte offen mit Angehörigen und Ärztinnen sprechen. Frühzeitiger Umstieg auf Bus, Bahn oder Carsharing ist häufig die komfortablere Lösung, bevor es zu riskanten Situationen kommt.

Fazit: Droht bald das Fahrverbot ab 75?

Ein europaweites Altersfahrverbot zeichnet sich nicht ab. Die neue EU-Richtlinie modernisiert den Führerschein – digital, europaweit gültig, mit mehr Spielräumen für nationale Lösungen. Ob Deutschland künftig ärztliche Checks oder kürzere Verlängerungszeiträume einführt, hängt letztlich vom Bundesgesetzgeber ab.

Entscheidend bleibt: Fahreignung ist eine Frage der individuellen Leistungsfähigkeit, nicht der Geburtsurkunde. Wer sich fit fühlt und dies bei Bedarf attestieren lässt, darf auch mit 80 noch fahren. Wer freiwillig auf das Auto verzichtet, wird in vielen Kommunen schon heute mit einem Gratis-Deutschlandticket belohnt. Mobil bleiben also alle – auf die eine oder andere Weise.