Neue Grundsicherung statt Bürgergeld: Weitere Änderungen für 2026 geplant

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Aus dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesarbeitsministerium (BMAS) wird ein Paket an weiteren Änderungen für das Bürgergeld-System diskutiert. Wichtigster Punkt ist eine Neuberechnung der Erwerbstätigenfreibeträge: Für Einkommen oberhalb der Minijob-Grenze sollen von jeweils 100 Euro Zusatzverdienst künftig pauschal 30 Euro verbleiben.

Parallel dazu wird angeregt, Minijobs vollständig auf die Leistungen anzurechnen, weil diese nach Ansicht der Gutachter häufig als „Tarnkappe für Schwarzarbeit“ dienten.

Zudem solle die Verbindlichkeit in Richtung Qualifizierung steigen; Leistungsberechtigte sollen stärker zu Weiterbildung oder – wenn Qualifizierung aktuell nicht möglich ist – zu gemeinnütziger Tätigkeit verdonnert werden.

Zwar sind diese weiteren Punkte noch als Empfehlungen umrissen und noch kein Gesetzgebungstext, geben aber die Stoßrichtung der beratenden Ökonomen wieder, die die Bundesregierung mit hoher Wahrscheinlichkeit in das “Neue Grundsicherung Reformpaket” mit einarbeiten wird.

Wie die Freibeträge beim Bürgergeld heute funktionieren

Der Status quo im SGB II ist gestaffelt. Die ersten 100 Euro aus Erwerbstätigkeit bleiben grundsätzlich anrechnungsfrei. Darüber hinaus gelten prozentuale Freibeträge in Stufen: Ein Anteil des zusätzlichen Bruttoeinkommens bleibt in den Bereichen darüber anrechnungsfrei, bevor der Rest auf das Bürgergeld angerechnet wird.

In der Praxis wirkt das wie eine Transferentzugsrate: Zwischen dem Grundfreibetrag und der nächsten Stufe wird ein hoher Anteil jedes zusätzlich verdienten Euro auf die Leistung angerechnet, darüber verringert sich diese Rate.

Einheitliche 30 Prozent oberhalb der Minijob-Grenze: Welche Wirkung ist zu erwarten?

Die Beiratsidee, oberhalb der Minijob-Schwelle ein einheitliches „30-Prozent-Behalten“ einzuführen, würde die heutige Stufenlogik in diesem Bereich glätten. Das bedeutet eine konstante Transferentzugsrate von 70 Prozent auf jeden zusätzlichen Euro, statt eines Sprungs zwischen 80 und 70 Prozent.

Für Erwerbstätige knapp oberhalb der Minijob-Grenze wäre die Botschaft: Mehr Arbeit lohnt sich linear – aber eben nur zu 30 Prozent Nettoeffekt, was weiterhin ein hoher Entzug ist. Ob diese Pauschalregel die tatsächlichen Arbeitsanreize stärker hebt, hängt von Reallöhnen, Arbeitszeiten, Fahrt- und Betreuungskosten sowie Fluktuationen in befristeten Jobs ab.

Minijobs: „Tarnkappe“ oder Brücke in Beschäftigung?

Besonders kontrovers ist der Vorschlag, Minijobs künftig vollständig anzurechnen. Die Begründung aus dem Beirat lautet, Minijobs würden nicht selten als „Tarnkappe für Schwarzarbeit“ genutzt.

Dagegen spricht die arbeitsmarktpraktische Rolle vieler Minijobs als niederschwelliger Einstieg – etwa zur Erprobung von Arbeitsfähigkeit, zum langsamen Stundenaufbau nach Krankheit oder als Brücke in ein Unternehmen.

Eine Vollanrechnung würde diese Brückenfunktion schwächen, weil Minijob-Einkommen dann keinen spürbaren finanziellen Effekt mehr hätte. In der Folge könnten Übergänge in reguläre Beschäftigung sogar erschwert werden, wenn die erste Stufe der Integration entwertet wird.

Eine zielgenaue Betrugsbekämpfung, die vor allem Arbeitgeber adressiert, die Schwarzarbeit dulden oder fördern, wäre hier das sachgerecht mildere Mittel.

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Weiterbildung und gemeinnütziger Tätigkeit

Die Empfehlung, Leistungsberechtigte stärker zu Qualifizierung zu verpflichten oder – wenn Qualifizierung aktuell nicht möglich ist – zu gemeinnütziger Tätigkeit, fügt sich in die politische Negativ-Debatte der vergangenen Jahre. Der Bund treibt Weiterbildung als Schlüssel zur Fachkräftesicherung und Integration seit Längerem voran; Berichte zur Nationalen Weiterbildungsstrategie zeigen den Bedarf an höherer Teilnahme besonders bei Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen.

Entscheidend wird sein, dass Pflichten mit passenden Angeboten, guter Beratung und tragfähiger Finanzierung einhergehen – sonst bleiben sie bloße Forderungen ohne Wirkung.

Die oft übersehene Gerechtigkeitslücke: SGB II versus SGB XII

Während im SGB II die ersten 100 Euro aus Erwerbstätigkeit stets anrechnungsfrei sind, gilt in der Sozialhilfe nach SGB XII ein anderer Maßstab: Hier bleibt in der Regel 30 Prozent des Erwerbseinkommens anrechnungsfrei, gedeckelt auf maximal die Hälfte der Regelbedarfsstufe 1.

Bei 100 Euro Einkommen bedeutet das rund 30 Euro, also deutlich weniger Spielraum als im SGB II. Dieser Unterschied ist sozialpolitisch schwer zu rechtfertigen, zumal viele Menschen in der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nur sehr begrenzte Leistungsfähigkeit und wenige Aufstiegschancen haben. Eine Anpassung des Erwerbstätigenfreibetrags im SGB XII würde hier eine spürbare Ungleichbehandlung abbauen.

Was stattdessen stärken würde: Qualifizierung, passgenaue Freibeträge und ein Schutz der ersten Lohnzahlung

Wer die Arbeitsanreize verbessern will, sollte die ersten realen Schritte in Arbeit sicht- und fühlbar machen. Dazu gehören gut erreichbare, zertifizierte Weiterbildungsangebote mit verbindlicher Begleitung; großzügigere, zeitlich befristete Freibeträge im unteren Einkommensbereich für Menschen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit; und eine anrechnungsfreie erste Lohnzahlung, die den psychologischen und finanziellen „Kick-off“ schafft.

Solche Instrumente kombinieren Verbindlichkeit mit Fairness und greifen genau dort, wo Brüche beim Übergang in Beschäftigung entstehen – bei Wartezeiten bis zur ersten Zahlung, bei Nebenkosten des Arbeitsantritts oder bei anfänglicher geringer Stundenzahl. Sie adressieren damit Ursachen, statt Symptome zu verschieben.

Generalverdacht von Bürgergeld-Beziehern

Der Missbrauchsvorwurf ist populistisch wirksam, aber gefährlich, wenn er pauschalisiert wird. Schwarzarbeit zu ermöglichen oder zu organisieren ist primär ein Arbeitgeberdelikt und sollte auch dort sanktioniert werden. Eine Politik, die vor allem allgemeine Leistungskürzungen oder Vollanrechnungen im Minijob-Segment verschärft, riskiert Kollateralschäden bei denjenigen, die Minijobs als ehrliche, notwendige Zwischenstufe nutzen.

Kontrollen, Nachweispflichten und Sanktionen müssen gezielt und rechtsstaatlich proportioniert sein, andernfalls beschädigen sie Vertrauen in Institutionen und mindern Integrationschancen.

Fazit

Die Beiratsvorschläge zielen auf Vereinfachung, mehr Berechenbarkeit und stärkere Lenkung hin zu regulärer Beschäftigung. Das einheitliche „30-Prozent-Behalten“ oberhalb der Minijob-Grenze wäre nachvollziehbar, löst aber den Grundkonflikt zwischen Arbeitsanreiz und Existenzsicherung nicht.

Eine Vollanrechnung von Minijobs erscheint dagegen kontraproduktiv, solange Minijobs für viele eine reale Brücke in sozialversicherungspflichtige Arbeit sind. Sinnvoller wäre eine Reform, die die Qualifizierungspflicht mit wirksamer Förderung verbindet, die Ungleichbehandlung zwischen SGB II und SGB XII beseitigt und den Einstieg in Arbeit durch passgenaue Freibeträge sowie eine anrechnungsfreie erste Lohnzahlung belohnt.

So ließe sich Integrationspolitik mit Gerechtigkeit versöhnen – und die knappen öffentlichen Mittel dorthin lenken, wo sie Beschäftigung tatsächlich befördern.

Hinweis: Einen öffentlichen Überblick zu den Grundzügen des Beiratspapiers verweist der Tacheles-Newsletter auf eine Handelsblatt-Berichterstattung. Die hier zitierten Passagen zu den Empfehlungen stammen aus dem Newsletter von Tacheles e.V.; offizielle Gesetzesentwürfe liegen dazu derzeit nicht vor.