Mit dem Grad der Behinderung (GdB) 30 in die frühere Rente mit Behinderung?

Lesedauer 3 Minuten

In Beratungsstellen und auf Social-Media-Kanälen kursiert seit Monaten eine Behauptung, die für viele Betroffene nach einer stillen Gesetzesänderung klingt: Für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen solle inzwischen ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 ausreichen, teils ergänzt um eine arbeitsrechtliche Gleichstellung.

Die Voraussetzungen sind nämlich weiterhin klar geregelt: Für diese Rentenart wird die anerkannte Schwerbehinderung benötigt, und die beginnt rentenrechtlich bei einem GdB von mindestens 50.

Dass sich der Irrtum so hartnäckig hält, hängt auch damit zusammen, dass Begriffe aus unterschiedlichen Rechtsbereichen durcheinandergeraten. Eine Gleichstellung kann im Arbeitsleben wichtige Schutzwirkungen entfalten. Sie ersetzt aber nicht den Schwerbehindertenstatus, der für den früheren Rentenzugang maßgeblich ist.

Was die Altersrente für schwerbehinderte Menschen voraussetzt

Wer die Altersrente für schwerbehinderte Menschen beanspruchen will, muss zum Rentenbeginn als schwerbehindert anerkannt sein. Maßgeblich ist dabei ein GdB von wenigstens 50; festgestellt wird er durch die zuständige Behörde, häufig das Versorgungsamt.

Wichtig ist außerdem: Die Schwerbehinderung muss zum Start der Rente vorliegen. Fällt sie später weg, berührt das den einmal entstandenen Rentenanspruch nicht.

Hinzu kommt die Wartezeit von 35 Jahren. Diese „Versicherungsjahre“ sind nicht identisch mit reinen Arbeitsjahren. In die 35 Jahre können neben Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung oder Selbstständigkeit auch Zeiten einfließen, in denen etwa Kinder erzogen, Angehörige gepflegt oder Sozialleistungen bezogen wurden; auch schulische und akademische Ausbildungszeiten können als rentenrechtliche Zeiten relevant sein. In der Praxis ist daher nicht selten der Schwerbehindertenstatus die wichtige Hürde – nicht die Wartezeit.

Warum die „Rente nach 45 Jahren“ oft mehr Aufmerksamkeit bekommt

In der öffentlichen Debatte dominiert seit Jahren die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, umgangssprachlich weiterhin häufig „Rente mit 63“ genannt. Sie setzt eine Wartezeit von 45 Jahren voraus und ermöglicht – abhängig vom Geburtsjahr – einen früheren Ruhestand ohne Abschläge. Für alle, die 1964 oder später geboren sind, liegt dieser abschlagsfreie Zugang bei 65 Jahren.

Die starke Aufmerksamkeit hat auch einen statistischen Hintergrund. Im Rentenzugang 2024 lag die Zahl der neuen Altersrenten für besonders langjährig Versicherte deutlich höher als die Zahl der Zugänge über die Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Dazu kommt ein Effekt, der in vielen Alltagsgesprächen mitschwingt: Die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge sind bei den besonders langjährig Versicherten im Schnitt höher. Das heißt nicht, dass diese Rentenart „besser“ wäre – aber sie wird sichtbarer, weil sie häufiger genutzt wird und in der Wahrnehmung oft mit höheren Beträgen verbunden ist.

Flexibler Rentenstart: Abschlagsfrei, früher – und was Abschläge bedeuten

Der große praktische Unterschied zwischen beiden Wegen liegt weniger im Etikett als im Spielraum beim Rentenbeginn. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist eine strikt abschlagsfreie Option, aber sie lässt sich nicht vorzeitig starten – auch nicht gegen Abschläge.

Wer deutlich vor dem möglichen Beginn aus dem Erwerbsleben heraus will, muss auf andere Rentenarten ausweichen, typischerweise auf die Altersrente für langjährig Versicherte, und dann greifen Abschläge.

Bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist der Rahmen breiter. Für Versicherte des Jahrgangs 1964 oder jünger gilt: Ohne Abschläge ist der Rentenbeginn ab 65 möglich, mit Abschlägen ab 62.

Damit liegt der frühestmögliche Start bis zu fünf Jahre vor der Regelaltersgrenze von 67. Die Abschläge werden dauerhaft berechnet, und zwar nach der bekannten Formel von 0,3 Prozent je Monat des vorgezogenen Rentenbeginns. Wer die drei Jahre von 65 auf 62 vollständig ausnutzt, landet rechnerisch bei maximal 10,8 Prozent Minderung.

Genau hier entsteht auch der Vergleich: Wer zwar 45 Versicherungsjahre hat, aber vor dem möglichen Start dieser Rentenart in Rente gehen möchte, rutscht in eine andere Rentenart, bei der die Abschläge vom regulären Rentenalter aus gerechnet werden.

Im Ergebnis kann das – je nach Konstellation – spürbar teurer werden. Der häufig genannte Abstand von 7,2 Prozentpunkten ergibt sich rechnerisch aus zwei Jahren Differenz, also 24 Monaten mal 0,3 Prozent.

Wenn beide Wege offenstehen: Entscheidung nach Timing statt Etikett

Manche Versicherte erfüllen sowohl die 45 Jahre als auch die Voraussetzungen der Schwerbehindertenrente. Dann geht es weniger um eine „Superrente“ als um die Frage, welche Rentenart zum gewünschten Zeitpunkt passt. Wer ohne Abschläge in den Ruhestand will und ohnehin in dem Bereich um 65 Jahre liegt, hat mit beiden Wegen eine abschlagsfreie Möglichkeit. Wer dagegen früher starten möchte, gewinnt über die Altersrente für schwerbehinderte Menschen einen zusätzlichen Korridor, der bei der 45-Jahre-Rente nicht existiert.

Für die persönliche Abwägung ist außerdem entscheidend, dass Rentenrecht selten „one size fits all“ ist. Versicherungsverläufe sind individuell, und kleine Unterschiede – etwa bei anrechenbaren Zeiten oder beim genauen Rentenbeginn – können die Ergebnisse verändern. Gerade deshalb ist es sinnvoll, die eigenen Zeiten frühzeitig klären zu lassen, bevor ein geplanter Rentenstart an einer Formalie scheitert.

2026 als Aufregerdatum: Übergangsregeln laufen aus, die Grundvoraussetzungen bleiben

Das Gefühl, es habe sich „jetzt etwas geändert“, hat noch einen zweiten Auslöser: 2026 ist ein Jahr, in dem die schrittweise Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen in die Endstufe übergeht. Das wird öffentlich teils als „neue Regel“ dargestellt, ist aber im Kern der Abschluss eines seit Jahren laufenden Anpassungsprozesses.

Für den Jahrgang 1964 gelten dann durchgängig die Werte 65 (abschlagsfrei) und 62 (mit Abschlägen). An den Voraussetzungen GdB 50 und 35 Jahre Wartezeit ändert das nichts. Wer also wegen des GdB-30-Gerüchts eine versteckte Reform vermutet, liegt falsch: Die Diskussion wird eher durch verkürzte Darstellungen und missverständliche Überschriften befeuert als durch neues Recht.

Quellen

Deutsche Rentenversicherung: „Altersrente für schwerbehinderte Menschen“ (Voraussetzungen, GdB 50, Wartezeit 35 Jahre, Altersgrenzen, Wegfall der Schwerbehinderung nach Rentenbeginn ohne Auswirkung). Deutsche Rentenversicherung: „Altersrenten für langjährig und besonders langjährig Versicherte“ (45-Jahre-Rente nicht vorzeitig, Abschläge bei anderen Rentenarten, Grundlogik der Altersgrenzen).