Wenn die Krankenkasse plötzlich die Zahlung des Krankengeldes einstellt, stehen viele Betroffene vor einer existenziellen Krise. Was dahinter steckt, welche Rechte Krankengekdbezieher haben und wie man in einer solchen Situation richtig reagiert – das erklären wir Schritt für Schritt.
Was ist Krankengeld und wer hat Anspruch darauf?
Krankengeld bekommen diejenigen, die gesetzlich versichert sind, wenn sie aufgrund einer länger andauernden Erkrankung arbeitsunfähig sind. Nach sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber übernimmt die Krankenkasse diese Zahlungen. Die Höhe des Krankengeldes beträgt in der Regel 70 % des Bruttoverdienstes, jedoch maximal 90 % des Nettoverdienstes.
Das Krankengeldsystem funktioniert in den meisten Fällen reibungslos. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen Betroffene unerwartet in eine schwierige Situation geraten.
Ein Brief, der alles verändert: Wenn die Krankenkasse das Krankengeld einstellt
In einigen Fällen erhalten Versicherte einen Brief der Krankenkasse, in dem mitgeteilt wird, dass der Medizinische Dienst (MD) der Ansicht ist, dass die Arbeitsunfähigkeit beendet ist. Die Folge: Die Krankenkasse stellt die Zahlung des Krankengeldes ein. Die Betroffenen werden aufgefordert, sich an die Bundesagentur für Arbeit zu wenden, um Arbeitslosengeld zu beantragen.
Das Problem: Diese Entscheidung erfolgt häufig ohne eine persönliche Untersuchung. Die Einschätzung basiert ausschließlich auf den vorliegenden Unterlagen, die der Medizinische Dienst auswertet. Für die Versicherten kommt dies meist völlig überraschend – oft in einer ohnehin belastenden Lebenssituation.
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Darf die Krankenkasse das überhaupt?
Grundsätzlich hat die Krankenkasse das Recht, den Anspruch auf Krankengeld zu überprüfen. Ziel ist es, sicherzustellen, dass nur tatsächlich arbeitsunfähige Personen diese Leistung beziehen. Schließlich finanziert sich das Krankengeld aus den Beiträgen aller Versicherten.
In der Praxis berichten Betroffene jedoch immer wieder von fragwürdigen Entscheidungen. Häufig handelt es sich um Patienten mit schweren, insbesondere psychischen Erkrankungen, die weiterhin von ihren Ärzten als arbeitsunfähig eingestuft werden.
Diese Entscheidungen nach Aktenlage, ohne persönliche Begutachtung, erscheinen vielen als willkürlich und sind rechtlich umstritten.
Was tun, wenn die Krankenkasse das Krankengeld einstellt?
Wer von einer solchen Entscheidung betroffen ist, sollte unbedingt aktiv werden. Die wichtigsten Schritte im Überblick:
1. Widerspruch einlegen
Versicherte haben im Sozialrecht einen Monat Zeit, um gegen die Entscheidung Widerspruch einzulegen. Die genaue Begründung kann nachgereicht werden. Unterstützung bieten Sozialverbände wie der SoVD.
2. Aktuellen Befundbericht einholen
Ein Bericht des behandelnden Arztes ist essenziell, um die Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Dieser Bericht dient als Gegenargument zur Einschätzung des Medizinischen Dienstes.
3. Vorsorglich Arbeitslosengeld beantragen
Falls die Krankenkasse ihre Entscheidung nicht revidiert, sollte bei der Bundesagentur für Arbeit ein Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt werden. Dies sichert zumindest vorübergehend den Lebensunterhalt.
Welche Risiken bestehen, wenn man nichts unternimmt?
Wer nicht auf den Bescheid der Krankenkasse reagiert, riskiert den vollständigen Verlust des Krankengeldes. Selbst wenn die Betroffenen im Recht sind, ist es oft schwierig, rückwirkend Ansprüche durchzusetzen. Deshalb ist schnelles Handeln entscheidend.
Aktiv werden ist das A und O
Die Einstellung des Krankengeldes ist eine ernsthafte Herausforderung, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Versicherte müssen ihre Rechte kennen und gezielt handeln. Der Widerspruch, unterstützt durch ärztliche Dokumentation und gegebenenfalls Hilfe durch Sozialverbände, ist der Schlüssel, um die Leistungen zu sichern.
Was kommt nach dem Krankengeld?
Selbst wenn das Krankengeld bis zur maximalen Dauer von 78 Wochen gezahlt wird, stehen Betroffene danach vor neuen Hürden. Die sogenannte „Aussteuerung“ bedeutet, dass die Krankenkasse endgültig nicht mehr zahlt. In diesen Fällen kommen andere Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Erwerbsminderungsrente in Betracht. Auch hier empfiehlt es sich, frühzeitig Unterstützung durch Experten in Anspruch zu nehmen.
Praxisbeispiel: Wie eine unerwartete Krankengeld-Einstellung existenzbedrohend sein kann
Der Fall von Frau Müller: Plötzlich arbeitsfähig – laut Krankenkasse
Frau Müller, 45 Jahre alt, arbeitet als Bürokauffrau und ist seit sechs Monaten aufgrund einer schweren depressiven Episode arbeitsunfähig. Ihre Erkrankung wird von einem Facharzt für Psychiatrie und ihrem Hausarzt engmaschig betreut. Nach der Lohnfortzahlung durch ihren Arbeitgeber erhält sie seit fünf Monaten Krankengeld.
Eines Tages erhält Frau Müller einen Brief von ihrer Krankenkasse. Darin heißt es, der Medizinische Dienst sei nach Prüfung ihrer Unterlagen zu dem Schluss gekommen, dass sie in zwei Wochen wieder arbeitsfähig sei. Die Konsequenz: Das Krankengeld wird eingestellt. Frau Müller ist schockiert – sie fühlt sich weiterhin schwer krank, kaum in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen, geschweige denn, wieder zu arbeiten.
Die Probleme des Falls
- Entscheidung nach Aktenlage
Frau Müller wurde nie persönlich untersucht. Der Medizinische Dienst hat lediglich ihre Akte geprüft und eine Einschätzung abgegeben. Diese Entscheidung ignoriert die Expertise ihres Facharztes, der ihre Arbeitsunfähigkeit weiterhin bestätigt. - Psychische Belastung
Die Nachricht trifft Frau Müller in einer ohnehin schwierigen Situation. Der Druck, plötzlich beweisen zu müssen, dass sie krank ist, verschlechtert ihren Zustand zusätzlich. - Existenzielle Bedrohung
Ohne Krankengeld droht Frau Müller der finanzielle Kollaps. Ihre Ersparnisse sind aufgebraucht, und sie kann Miete und andere Lebenshaltungskosten nicht mehr decken.
Schritt-für-Schritt-Lösung: So hat Frau Müller reagiert
1. Widerspruch einlegen
Frau Müller wandte sich sofort an den Sozialverband SoVD, der ihr half, Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen. Der Widerspruch wurde innerhalb der einmonatigen Frist eingereicht. Die genaue Begründung folgte später, gestützt durch neue medizinische Berichte.
2. Aktuellen Befundbericht einholen
Ihr Facharzt stellte einen detaillierten Befundbericht aus, der die Diagnose, den aktuellen Behandlungsstand und die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bestätigte. Dieser Bericht war entscheidend, um die Einschätzung des Medizinischen Dienstes zu entkräften.
3. Antrag auf Arbeitslosengeld
Vorsorglich beantragte Frau Müller bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. So war sichergestellt, dass sie im Fall einer endgültigen Krankengeld-Einstellung nicht ohne Einkommen dastand.
Das Ergebnis
Nach Prüfung des Widerspruchs und Vorlage der neuen medizinischen Unterlagen revidierte die Krankenkasse ihre Entscheidung. Frau Müller erhielt weiterhin Krankengeld und konnte sich auf ihre Genesung konzentrieren. Der Fall zeigt jedoch, wie wichtig es ist, schnell zu handeln und Unterstützung durch Experten in Anspruch zu nehmen.
Was können Betroffene aus diesem Beispiel lernen?
- Nicht in Panik verfallen
Eine Krankengeld-Einstellung ist ein schwerer Einschnitt, aber mit den richtigen Schritten oft umkehrbar. - Unterstützung suchen
Sozialverbände wie der SoVD sind wichtige Partner, die Betroffene rechtlich und organisatorisch unterstützen können. - Beweislage stärken
Ein aktueller Befundbericht der behandelnden Ärzte ist essenziell, um die eigene Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. - Vorsorge treffen
Der Antrag auf Arbeitslosengeld schützt vor finanziellen Engpässen, falls der Widerspruch abgelehnt wird.
Das Beispiel von Frau Müller zeigt, dass selbst in schwierigen Situationen eine erfolgreiche Lösung möglich ist, wenn man die richtigen Schritte einleitet. Hilfe hierfür können auch Sozialverbände oder auf das Sozialrecht spezialisierte Anwälte bieten.
- Über den Autor
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.