Deutschland zählt derzeit knapp 7,9 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, also einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Das sind gut 9 Prozent der Bevölkerung. Nun kündigen sich historische Änderungen an, die sich negativ auswirken.
Inhaltsverzeichnis
Ende einer Ära des Vertrauensschutzes
Bislang konnten Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren wurden, sich auf eine Sonderregelung verlassen: Nach § 236a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) durften sie schon vor ihrem 62. Geburtstag die Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen.
Für diese Jahrgänge galt eine sogenannte Vertrauensschutzklausel, die einen früheren Renteneintritt honorierte. Ab dem Stichtag 1. Januar 2026 läuft diese Klausel endgültig aus. Damit fällt der Rentenvorteil für alle Personen weg, die ab dem 1. Januar 1964 geboren sind.
Neue Altersgrenzen und Abschläge
Für die Betroffenen greifen künftig allein die Regeln des § 37 SGB VI. Sie können die Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres ohne Abschläge beziehen.
Wer drei Jahre früher – also ab 62 – in den Ruhestand möchte, muss dauerhaft einen Abzug von 0,3 Prozent pro vorgezogenem Monat hinnehmen. Das summiert sich auf 10,8 Prozent bei voller Ausnutzung des Vorbezugs.
Lesen Sie auch:
– Rückwirkend höhere Rente mit Schwerbehinderung
Was das konkret bedeutet
Erste spürbare Folge: Der Jahrgang 1964 erreicht am 1. Januar 2026 das Alter von 62 Jahren und darf zu diesem Zeitpunkt zwar noch in Rente gehen, zahlt aber sofort den vollen Abschlag.
Ein abschlagsfreier Ausstieg wird für diese Menschen erst ab dem 1. Januar 2029 möglich sein. Künftige Geburtenjahrgänge sind gleichermaßen betroffen: Jeder, der beziehungsweise die 1965 oder später geboren wurde, erhält das Wahlrecht zwischen einer gekürzten Rente ab 62 oder einer ungekürzten ab 65 – aber keinen Zugang mehr zu den bislang günstigeren Übergangsregelungen.
Hintergründe der Reform
Der Vertrauensschutz wurde zu Beginn der 2000er-Jahre eingeführt, um die rasche Anhebung des Regelrenteneintrittsalters abzufedern. Schwerbehinderte sollten für die nachweislich erschwerte Teilhabe am Arbeitsleben einen Zeitbonus erhalten.
Mit Blick auf den demografischen Wandel, die gestiegene Lebenserwartung und die Finanzierungsprobleme der Rentenkasse hat der Gesetzgeber jedoch längst einen strikteren Kurs eingeschlagen. Ab 2026 soll das System einheitlicher und planbarer werden; Einschnitte bei Neu-Rentner*innen gelten als politisch vertretbarer Preis.
Welche Voraussetzungen weiterhin gelten
Unverändert bleibt die Mindestversicherungszeit von 35 Jahren. Dazu zählen Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit, Kindererziehung, Pflegezeiten sowie bestimmte Ersatzzeiten, etwa Wehr- oder Zivildienst. Maßgeblich ist außerdem ein zum Zeitpunkt des Rentenantrags gültiger Schwerbehindertenausweis mit mindestens GdB 50.
Handlungsspielräume für Betroffene
Für Versicherte mit einem aktuellen GdB von 30 oder 40 kann es sinnvoll sein, rechtzeitig vor 2026 einen Überprüfungsantrag beim Versorgungsamt zu stellen.
Eine nachgewiesene Verschlechterung des Gesundheitszustands könnte noch den Sprung auf GdB 50 ermöglichen und damit die Sonderrente sichern, sofern die Altersgrenze bereits vor dem Stichtag erreicht wird.
Wer hingegen schon einen GdB 50 besitzt und kurz vor Rentenbeginn steht, sollte von einer erneuten Begutachtung absehen: Wird der Grad herabgestuft, entfällt unter Umständen der gesamte Rentenanspruch als Schwerbehinderter.
Ausgleich durch Sonderzahlungen
Die Deutsche Rentenversicherung bietet allen Versicherten die Möglichkeit, Abschläge ganz oder teilweise über zusätzliche Beiträge – die sogenannten Ausgleichszahlungen – zu kompensieren. Ab Vollendung des 50. Lebensjahres können Betroffene freiwillig Geld in die Rentenkasse einzahlen, um die künftigen Kürzungen rechnerisch auszugleichen.
Bei einer maximalen Minderung von 10,8 Prozent ergibt sich ein beträchtlicher Betrag, doch lohnt sich die Investition für viele, die einen frühen Ruhestand fest einplanen.
Lesen Sie auch:
– Jetzt verbesserte Zuzahlungsbefreiung bei einer Schwerbehinderung in 2025
Gesellschaftliche Auswirkungen
Rund die Hälfte der schwerbehinderten Menschen ist zwischen 55 und 64 Jahre alt. Viele arbeiten trotz gesundheitlicher Einschränkungen bis an die Belastungsgrenze.
Die Anhebung des abschlagsfreien Rentenalters um zwei Jahre bedeutet für sie eine längere Erwerbsphase oder spürbare Einbußen. Sozialverbände warnen vor steigender Altersarmut in einer Bevölkerungsgruppe, die bereits überdurchschnittlich oft von Erwerbsminderung betroffen ist.
Gleichwohl betont das Bundesarbeitsministerium, dass die Reform “unvermeidbar” sei, um die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rente zu sichern.
Dr. Utz Anhalt erklärt die Neuerungen
Ausblick
Ob die Maßnahme dauerhaft Bestand hat, wird nicht zuletzt vom künftigen Arbeitsmarkt und den Spielräumen im Bundeshaushalt abhängen.
Experten wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt rechnen mit weiterem Reformdruck, “weil die Baby-Boomer-Jahrgänge in Rente gehen und die Beitragszahlerbasis schrumpft”. Für die Gruppe der Schwerbehinderten bleibt vorerst nur, “die neuen Rahmenbedingungen bestmöglich zu nutzen – sei es durch einen bewusst späteren Ausstieg, gezielte Ausgleichszahlungen oder eine sorgfältige Planung der Erwerbsbiografie”, so Anhalt.
Die Rentenwende 2026 ist damit einen tiefen Einschnitt im deutschen Sozialrecht: Was für Ältere lange selbstverständlich war, wird für Jüngere zum kostspieligen Privileg. Wer betroffen ist, sollte frühzeitig Beratung in Anspruch nehmen, um teure Fehlentscheidungen zu vermeiden.