Die Bundesregierung muss im Juli einen aktuellen Regelsatz-Bericht vorlegen: Eine wissenschaftliche Studie weist nach, die Regelleistungen sind verfassungswidrig und zu gering berechnet
20.06.2013
Das Bundesverfassungsgericht hat die schwarz-gelbe Bundesregierung in seinem Urteil vom Februar 2010 dazu verpflichtet, bis zum 1. Juli 2013 einen wissenschaftlich fundierten Bericht vorzulegen, indem nachvollziehbar dargelegt ist, wie der Hartz IV Regelsatz für Erwachsene und Kinder berechnet wird. Voraussichtlich am kommenden Mittwoch wird sich die Bundesregierung im Kabinett zusammenfinden, um den Bericht über die Weiterentwicklung der Methodik für die Ermittlung der Regelsätze zu beraten. Das jedenfalls berichten Regierungskreise gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Nach dem Hartz IV Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, einen solchen Bericht der Öffentlichkeit vorzulegen. Dieser speist sich aus zwei aktuellen Forschungsarbeiten die jeweils vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit sowie von der Ruhr-Universität in Bochum erstellt wurden. Beide Berichte sollen ebenfalls begleitend zu dem Bericht der Regierung am ersten Juli 2013 veröffentlicht werden, wie es in der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf Anfrage der SPD-Abgeordneten Petra Ernstberger heißt.
Die Höhe der Hartz IV Regelleistungen wird anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) rechnerisch ermittelt. Diese zeigen zum Beispiel, für was und wie viel die Menschen in Deutschland Geld ausgeben. Die Wissenschaftler Irene Becker und Reinhard Schüssler haben bereits für die Hans-Böckler-Stiftung die derzeitigen Regelleistungen nachberechnet. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis dass „der Regelsatz für einen Singel-Haushalt im Jahre 2010 um mindestens 27 Euro steigen hätte müsse.“ Diese Berechnung folgt jedoch der umstrittenen regierungsamtlichen Berechnung, die nach wie vor von zahlreichen Experten als „nicht fundiert“ abgelehnt wird. Nach Meinung der Forscher habe die Bundesregierung auch nach dem Verfassungsurteil in Karlsruhe wieder gegen die Verfassung verstoßen.
Unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Anpassung an die Lohn- und Preisentwicklung würde der Regelsatz in diesem Jahr dann bei rund 407 Euro liegen – statt der momentanen 382 Euro Damit stehe "aus gesellschaftspolitischen, möglicherweise auch unter juristischen Aspekten" weiter infrage, ob die Höhe der Grundsicherung ausreicht.
Den Ausgangspunkt der Regelsatzbestimmung bilden die vom Statistischen Bundesamt zuletzt 2008 erhobenen monatlichen Lebenshaltungskosten bestimmter Haushaltstypen mit niedrigen Einkommen, ohne Wohn- und Heizkosten. Allerdings wird von den statistisch ermittelten Werten eine Reihe von Einzelbeträgen abgezogen, die der Gesetzgeber für "nicht regelsatzrelevant" hält, etwa Ausgaben für Tabakwaren, Benzin, Reisen oder Gastronomiebesuche. Bei der Neuberechnung kamen weitere Abschläge dazu, etwa für Alkohol, Blumen oder Zimmerpflanzen – mit dem Effekt, dass das Ergebnis der Regelbedarfsermittlung um etwa 13 Euro geringer ausfiel als früher, zeigt die Wirtschaftsforscherin.
Allerdings haben nicht nur neue Abzüge eine substanzielle Erhöhung der Grundsicherung verhindert. Auch die Bezugsgruppe hat der Gesetzgeber verändert. Bei den Alleinstehenden zählten 2011 nicht mehr die unteren 20 Prozent, sondern nur noch die unteren 15 Prozent der Haushalte dazu. Real liegt die obere Einkommensgrenze der Referenzgruppe nun um neun Prozent oder rund 82 Euro niedriger. Damit, so Becker, "wurde also eine deutlich ärmere Gruppe für die Bedarfsermittlung maßgeblich" als nach den früher angewandten Regeln. Dies habe eine Verminderung des errechneten Regelbedarfs um weitere 11 Euro zur Folge. Auch dies lasse sich "als neuartige ,freihändige’, nicht fundierte Entscheidung des Gesetzgebers" interpretieren, urteilt die Wissenschaftlerin. (sb)
Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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