Hartz IV & Schulkinder
Arme Kinder brauchen Extra-Leistungen für die Schule
Bochum soll Beziehern von Hartz IV und anderen armen Haushalten zusätzliche Hilfen gewähren, damit sie notwendige Schulmaterialien anschaffen können. Dies fordert die „Unabhängige Sozialberatung“. In Bochum leben mehr als 10.000 Kinder unter 15 Jahren von Hartz IV. Weitere zweitausend sind ähnlich arm, noch mal mehr als zehntausend armutsgefährdet. Am Donnerstag [26.4] sprach sich auch die Nationale Armutskonferenz in Berlin für höhere Leistungen aus, die sich an den tatsächlichen Ausgaben für Kinder orientieren müssten.
"Solange vielen armen Haushalten das Geld für benötigte Schulmaterialien fehlt, sind wir Lichtjahre von gleichen Chancen für alle Schulkinder entfernt" kritisiert Norbert Hermann von der "Unabhängigen Sozialberatung". Der Hartz IV -Satz für Kinder bis 14 Jahre beträgt 207 Euro monatlich – genau so viel wie für Säuglinge. Lt. Regelsatzverordnung sind das: für Essen und Trinken täglich 2,62 Euro (0,57 fürs Frühstück, je 1,02 Euro für Mittag- und Abendessen), für öff. Verkehrsmittel 0,35 Euro täglich, für ein Fahrrad (zum Ansparen) 0,44 Euro im Monat, für Klamotten 14,21 Euro im Monat, für Schuhe 3,66 Euro im Monat, für Sport- und Freizeit (Schwimmbad) 3,76 Euro im Monat, für Spielsachen 0,76 Euro im Monat, für Schreib- und Malsachen 1,63 Euro im Monat. "Dafür bekommt man gerade mal einen Bleistift und einen Radiergummi. Aber was, wenn ein Zirkel oder ein Taschenrechner gebraucht werden?" erläutert Norbert Hermann von der "Unabhängigen Sozialberatung". Ein Betrag für Schulbücher ist nicht vorgesehen.
Die "Unabhängige Sozialberatung" begrüßt die Forderung der Nationalen Armutskonferenz, die Regelsätze für Kinder neu und nach dem tatsächlichen Bedarf festzusetzen. Bis diese Verbesserung auf Bundesebene durchgesetzt sei, könnten die benachteiligten Schulkinder aber nicht warten. "Unsere Kommunalpolitiker müssen hier und heute etwas gegen den Skandal der Kinderarmut tun“ fordert Norbert Hermann von der „Unabhängigen Sozialberatung". Die Stadt Bochum müsse einen kommunalen Fonds einrichten, aus dem Beihilfen für notwendige Schulmaterialien gewährt werden. „Am 3. Mai tagt der Sozialausschuss, der muss das auf den Weg bringen.“ Mitgliedschaften in Sportvereinen, der Stadtbücherei, Unterricht an der Musikschule, der Besuch von Schwimmbädern und kulturellen Einrichtungen ebenso wie das "Schokoticket" müssten kostenfrei sein.
Die Unabhängige Sozialberatung verweist dabei auf das positive Beispiel der Stadt Oldenburg. Dort wurde ein kommunaler Lernmittelfonds in Höhe von zukünftig 400.000 Euro eingerichtet, aus dem einkommensschwache Haushalte Ausgaben für die Schule erstattet bekommen. „Was in Oldenburg geht muss auch in Bochum möglich sein“ fordert Norbert Hermann. Grosse Empörung herrschte im Lande, als bekannt wurde, dass Geschenke zur Kommunion, Konfirmation, Jugendweihe (Geburtstag, Weihnachten ohnehin!) auf den Hartz IV-Lebensunterhalt anzurechnen wären.
Aber: Lamentieren über "Armut" hat nachgerade Hochkonjunktur. Jedenfalls solange es um "unschuldige Kinder" geht. Werden sie einmal erwachsen, sind sie "Selbst Schuld an ihrer Armut" oder gar das Sozialsystem ist schuld, das sie „durch seine Grosszügigkeit daran hindert, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen“. Ein nicht geringer Teil der Armut entsteht durch Armutslöhne. Zwar nimmt in einigen Bereichen die Arbeitslosigkeit ab, die Kinderarmut steigt trotzdem an! Das liegt nicht nur daran, dass ein Teil der ganz Armen von diesem "Wirtschaftswachstum" ausgenommen bleibt, es liegt auch daran, dass viele, die in Arbeit kommen, davon nicht wirklich leben können.
Auch wenn die Eltern im Erwerb stehen, droht Kinderarmut. Zum Beispiel lebt eine Facharbeiterfamilie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Einkommen (30.000 Euro, ein Erwerbstätiger) unter dem Existenzminimum – wegen der einseitig übermässigen Abgaben in die Sozialsysteme. Der auffälligste Befund der zunehmenden Verarmung der Familien in den letzten 40 Jahren ist die Tatsache, dass sich seit 1965 die Geburtenzahl pro Jahr fast halbiert und der Anteil der Kinder in der Armut auf das Sechzehnfache gesteigert haben – obwohl die Müttererwerbstätigkeit um fast 60 Prozent gestiegen ist! Die Zahlen der Sozialhilfeempfänger sind sogar in den Jahren weiter nach oben geklettert, in denen die Zahlen der Arbeitslosen sanken.
Seit Hartz IV explodiert die Zahl der Armen und der armen Kinder. Kein Wunder: Hartz IV (und die gesamte Agenda 2010) hat ja gerade zum Ziel, einen grossen Teil der Bevölkerung unter das existenzielle Minimum herabzudrücken. Bei den Kinder schon ausgesprochen erfolgreich: 25 % der Kinder in NRW sind mittlerweile auf Armutsniveau, 27 % in Bochum, über 30 % in Gelsenkirchen Die Sozialverbände und selbst Brüssel schlagen längst die Alarmglocken – eine Umkehr ist offensichtlich nicht beabsichtigt. (Unabhängige Sozialberatung Bochum, 27.04.07)
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