Wer eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) braucht, hört sofort den Satz „Reha vor Rente“. Dahinter steckt ein klarer Rechtsgrundsatz. Die Rentenversicherung soll Ihre Erwerbsfähigkeit möglichst erhalten. Erst wenn Reha-Maßnahmen scheitern oder aussichtslos sind, kommt eine EM-Rente in Betracht. Für Sie kann das ein Vorteil sein – aber auch ein Risiko, wenn andere Stellen Druck machen.
Reha vor Rente: Was der Grundsatz für Sie bedeutet
Der Grundsatz „Reha vor Rente“ heißt: Die Rentenversicherung prüft zuerst, ob eine medizinische Reha oder Leistungen zur Teilhabe Ihre Erwerbsfähigkeit verbessern können. Erst danach entscheidet sie über eine EM-Rente.
Stellen Sie einen Rentenantrag, sieht sich die Rentenversicherung immer Ihre medizinische Situation an. Hält sie eine Reha für sinnvoll, kann sie Sie in eine Rehaklinik schicken oder berufliche Maßnahmen anbieten. Lehnen Sie das ohne guten Grund ab, droht eine Ablehnung wegen fehlender Mitwirkung.
Wichtig: Sie müssen nicht automatisch eine Reha machen. Entscheidend ist, ob Ärzte und Rentenversicherung darin eine realistische Chance sehen, Ihre Leistungsfähigkeit zu stabilisieren oder zu bessern. Wenn eine Reha von vornherein als aussichtslos gilt, kann direkt über die EM-Rente entschieden werden.
Umdeutung: Wie aus einem Reha-Antrag ein Rentenantrag wird
Bei der EM-Rente sind Fristen entscheidend. Grundsätzlich beginnt eine Rente ab dem Monat, in dem der Antrag gestellt wurde, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind. Wird der Antrag später gestellt, verlieren Sie oft mehrere Monatsbeträge.
Genau hier hilft „Reha vor Rente“ vielen Betroffenen. Ein Reha-Antrag kann automatisch als Rentenantrag gelten. Die Rentenversicherung prüft dann, ob die Voraussetzungen für eine EM-Rente vorliegen. In diesem Fall wird der Reha-Antrag rückwirkend als Rentenantrag gewertet. Die EM-Rente kann dann ab diesem Zeitpunkt gezahlt werden.
Das bedeutet für Sie: Wenn Sie zuerst eine Reha beantragen und sich später herausstellt, dass Ihre Erwerbsfähigkeit dauerhaft gemindert ist, sind Ihre Ansprüche gesichert. Die Umdeutung schützt also die Zeitspanne, in der noch nicht klar ist, ob eine Reha Erfolg hat.
Trotzdem sollten Sie Anträge nicht unnötig hinauszögern. Wenn klar ist, dass Sie dauerhaft nicht mehr arbeiten können, gehört eine frühzeitige Beratung dazu. So vermeiden Sie Lücken und sichern Beiträge und Rentenpunkte.
Erfolglose Reha: Wichtiger Baustein, aber keine Garantie
Viele glauben: Wenn die Reha „erfolgslos“ war, kommt automatisch eine EM-Rente. Das stimmt so nicht.
Am Ende der Reha erstellt die Klinik einen Entlassungsbericht. Darin steht auch eine sozialmedizinische Einschätzung, wie viele Stunden Sie noch arbeiten können. Dieser Bericht ist wichtig, aber nicht allein entscheidend. Die Rentenversicherung darf zusätzliche Gutachten einholen und die Einschätzung der Rehaklinik anders bewerten.
Kommt ein Gutachten zu dem Ergebnis, dass Sie noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten können, lehnt die Rentenversicherung die EM-Rente meist ab. Selbst dann, wenn der Reha-Bericht eine stärkere Einschränkung nahelegt.
Trotzdem sollten Sie den Reha-Bericht sehr ernst nehmen. Fordern Sie eine Kopie an und bewahren Sie ihn gut auf. Er kann im Widerspruchsverfahren oder in einer Klage vor dem Sozialgericht ein wichtiges Beweismittel sein. Vor allem, wenn der Reha-Bericht Ihre Einschränkungen genauer beschreibt als ein späteres Gutachten.
Wenn Krankenkasse oder Jobcenter in die EM-Rente drängen
Nicht immer wollen Betroffene selbst eine EM-Rente. Für Krankenkassen, Agentur für Arbeit oder Jobcenter kann eine Rente aber günstiger sein als längere Zahlungen von Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Bürgergeld.
Die Krankenkasse darf Sie auffordern, einen Reha-Antrag zu stellen. Reagieren Sie nicht, kann das Krankengeld ruhen. Die Agentur für Arbeit kann ähnlich reagieren.
Wird der Reha-Antrag gestellt und es liegt eine dauerhafte Erwerbsminderung vor, kann die Rentenversicherung daraus einen Rentenantrag machen. Dann endet oft Krankengeld oder Arbeitslosengeld, und es beginnt die EM-Rente.
Für Sie kann das problematisch sein. Eine EM-Rente liegt häufig deutlich unter dem früheren Einkommen. Sie kann auch Ihre spätere Altersrente dauerhaft reduzieren. Besonders heikel ist das, wenn Sie eigentlich weiterarbeiten möchten, aber nur zeitweise krank sind oder noch Chancen auf eine andere Tätigkeit hätten.
Lassen Sie sich bei solchen Konstellationen frühzeitig beraten. Unterschreiben Sie nichts vorschnell und prüfen Sie, ob eine Reha oder eine EM-Rente für Sie langfristig sinnvoll ist.
So stärken Sie Ihre Position im Reha- und Rentenverfahren
Sie können im Verfahren selbst einiges tun, um Ihre Rechte abzusichern.
Stellen Sie Anträge rechtzeitig. Wenn sich abzeichnet, dass Sie längerfristig nicht arbeiten können, sollten Sie die Fristen im Blick behalten. Ein früh gestellter Reha-Antrag kann später als Rentenantrag gelten und Nachzahlungen sichern.
Nehmen Sie angebotene Reha-Maßnahmen ernst. Wenn Sie ablehnen, brauchen Sie einen nachvollziehbaren Grund, etwa medizinische Risiken oder familiäre Härten. Dokumentieren Sie solche Gründe möglichst genau.
Fordern Sie Reha-Entlassungsberichte und wichtige Gutachten an. Besprechen Sie die Inhalte mit Ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Weichen Einschätzungen stark voneinander ab, kann deren Stellungnahme im Widerspruchsverfahren sehr wertvoll sein.
Nutzen Sie Widerspruch und Klage bewusst. Eine erste Ablehnung bedeutet nicht das Ende. Widerspruch und Sozialgerichtsklage sind gerade bei EM-Renten oft der normale Weg. Gleichzeitig sollten Sie realistisch prüfen, wie lange Sie ein Verfahren durchhalten können – finanziell und gesundheitlich.
Holen Sie sich Unterstützung. Sozialverbände, unabhängige Beratungsstellen oder Fachanwältinnen und Fachanwälte für Sozialrecht kennen typische Fehler der Behörden. Sie können helfen, Unterlagen zu ordnen, Fristen zu wahren und Argumente klar zu formulieren.




