EM-Rente: Erwerbsminderungsrente auch bei Burnout

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Wer einen Burnout erlebt, erlebt auch, dass beinahe nichts mehr geht. Ob Betroffenne eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) bekommen, entscheidet sich nicht daran, ob er oder sie aktuell arbeitsunfรคhig krankgeschrieben ist, sondern daran, wie viele Stunden man unter den รผblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch arbeiten kann.

Wer also auf Dauer weniger als drei Stunden tรคglich leistungsfรคhig ist, gilt als voll erwerbsgemindert; bei drei bis unter sechs Stunden liegt teilweise Erwerbsminderung vor.

Ab sechs Stunden tรคglich besteht in der Regel kein Anspruch. MaรŸgeblich ist also das Restleistungsvermรถgen โ€“ nicht der bisherige Beruf, sondern die Einsatzfรคhigkeit in jedem Job.

Zรคhlt Burnout als Krankheit?

โ€žBurn-outโ€œ ist in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) kein eigenstรคndiges Krankheitsbild, sondern als โ€žberufsbezogenes Phรคnomenโ€œ definiert: ein Syndrom infolge chronischen, nicht erfolgreich bewรคltigten Arbeitsstresses, gekennzeichnet durch Erschรถpfung, innere Distanz/Zynismus gegenรผber der Arbeit und verminderte Leistungsfรคhigkeit.

“In der Praxis wird die gesundheitliche Beeintrรคchtigung hรคufig als Depression, Angst- oder Anpassungsstรถrung diagnostiziert โ€“ genau diese Diagnosen bilden dann die medizinische Grundlage fรผr eine EM-Rente, wenn sie das Restleistungsvermรถgen genรผgend einschrรคnken”, sagt der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.

Wichtig hierbei ist: Entscheidend ist nicht das Etikett โ€žBurnoutโ€œ, sondern die belegbare funktionelle Einschrรคnkung infolge einer anerkannten Erkrankung, so Anhalt.

Wann die EM-Rente mรถglich ist: Medizinische Prรผfung und Stundengrenzen

Die DRV prรผft den Gesundheitszustand anhand รคrztlicher Unterlagen und โ€“ falls nรถtig โ€“ eigener Gutachten. Ergebnis der Prรผfung ist eine Einschรคtzung, wie viele Stunden tรคglich noch gearbeitet werden kann. Daraus folgt die Zuordnung zu voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Ohne entsprechende medizinische Unterlagen und eine nachvollziehbare, lรคngerfristige Einschrรคnkung der Belastbarkeit โ€“ etwa bei schweren depressiven Episoden mit Erschรถpfung, Konzentrationsstรถrungen und sozialer Rรผckzugstendenz โ€“ wird ein Rentenanspruch nicht begrรผndet.

Versicherungsrechtliche Hรผrden: Wartezeit und Pflichtbeitrรคge
Neben der medizinischen Seite mรผssen versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfรผllt sein.

RegelmรครŸig sind das mindestens fรผnf Versicherungsjahre (allgemeine Wartezeit) und mindestens drei Jahre Pflichtbeitrรคge innerhalb der letzten fรผnf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung.

Es gibt vorzeitige Erfรผllungen, etwa nach Arbeitsunfall oder bei Berufsanfรคngern unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Regeln sind entscheidend, weil ein an sich berechtigter Antrag bei fehlender Wartezeit scheitern kann.

โ€žReha vor Renteโ€œ: Was zuerst geprรผft wird

Grundsatz der gesetzlichen Rentenversicherung ist โ€žReha vor Renteโ€œ. Bevor eine Rente bewilligt wird, prรผft die DRV, ob medizinische oder berufliche Rehabilitation die Erwerbsfรคhigkeit wiederherstellen kann. Gerade bei psychischen Erkrankungen โ€“ zu denen Burnout-Konstellationen hรคufig zรคhlen โ€“ wird eine psychosomatische Reha oder eine stufenweise Wiedereingliederung (Hamburger Modell) oft vorgeschaltet.

Erst wenn Reha keine ausreichende Besserung erwarten lรคsst, kommt die EM-Rente in Betracht.

Teilweise, volle EM-Rente โ€“ und die โ€žArbeitsmarktrenteโ€œ

Wer noch drei bis unter sechs Stunden leistungsfรคhig ist, erhรคlt grundsรคtzlich teilweise EM-Rente. Ist diese Teilzeitfรคhigkeit zwar medizinisch vorhanden, aber kein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz verfรผgbar (โ€žverschlossener Teilzeitarbeitsmarktโ€œ), kann ausnahmsweise eine volle Rente gezahlt werden โ€“ umgangssprachlich โ€žArbeitsmarktrenteโ€œ.

Diese Konstellation ist in der Regel befristet, weil sie an die Lage des Arbeitsmarktes anknรผpft.

Befristet oder dauerhaft? Wie lange die EM-Rente gezahlt wird

EM-Renten werden meist zunรคchst befristet bewilligt, typischerweise fรผr bis zu drei Jahre. Bleibt die Erwerbsminderung bestehen, kann verlรคngert werden; bei auf Dauer unwahrscheinlicher Besserung wird eine unbefristete Rente gezahlt.

Wichtig fรผr die Rentenhรถhe: Bei EM-Renten fallen in der Regel Abschlรคge an; 2025 ist eine abschlagsfreie EM-Rente erst ab 65 Jahren mรถglich, der maximale Abschlag liegt bei 10,8 %.

Hinzuverdienst: Was 2025 erlaubt ist

Wer eine volle EM-Rente bezieht, darf trotzdem begrenzt hinzuverdienen. Seit 2023 ist die Grenze dynamisch an die BezugsgrรถรŸe gekoppelt; 2025 liegt sie bei 19.661,25 Euro pro Jahr.

Bei teilweiser EM-Rente wird die Grenze individuell aus den hรถchsten beitragspflichtigen Verdiensten der letzten 15 Jahre berechnet; mindestens sind 2025 39.322,50 Euro mรถglich. รœberschreitungen fรผhren zu Anrechnungen, nicht zwingend zum Wegfall der Rente โ€“ entscheidend ist die Spitzabrechnung.

Aber Achtung: Wer dauerhaft รผber sein medizinisch festgestelltes Restleistungsvermรถgen arbeitet, riskiert eine Neubewertung des Anspruchs.

Antragstellung in der Praxis: Nachweise, Gutachten, typische Stolpersteine

Formal gibt es eine EM-Rente nur auf Antrag. Empfehlenswert ist ein sauber aufgebautes medizinisches Dossier: Haus- und Facharztberichte, Psychotherapie- und Klinikberichte, nachvollziehbar dokumentierte Verlaufsschwere und Therapieversuche, ggf. Reha-Entlassungsberichte.

Die DRV zieht bei Bedarf weitere Gutachten bei. In der Begutachtung zรคhlt nicht allein die Diagnose, sondern die funktionelle Einschrรคnkung im Alltag und im Erwerbsleben โ€“ etwa Durchhaltefรคhigkeit, Belastbarkeit, Anpassungs- und Konzentrationsvermรถgen. Fehlerquellen sind unvollstรคndige Unterlagen, zu kurze Beobachtungszeitrรคume oder ein zu optimistischer Reha-Plan trotz persistierender Symptomatik.

รœbergang vom Krankengeld: Nahtlosigkeitsregelung und Reha-/Renten-Umdeutung

Wenn das Krankengeld nach 72 Wochen auslรคuft und die Erwerbsfรคhigkeit weiterhin erheblich eingeschrรคnkt ist, kann die Nahtlosigkeitsregelung (ยง 145 SGB III) den Lebensunterhalt sichern: Es wird vorรผbergehend Arbeitslosengeld gezahlt, bis รผber Reha oder Rente entschieden ist.

Hรคufig fordern Krankenkassen oder Agentur fรผr Arbeit zur Reha-Beantragung auf โ€“ rechtlich kann ein Reha-Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nach ยง 116 SGB VI als Rentenantrag gelten, wenn eine erfolgreiche Rehabilitation nicht zu erwarten ist oder ohne Erfolg blieb. Das kann fรผr den Rentenbeginn wichtig sein.

Realistische Erfolgsaussichten bei Burnout

Psychische Erkrankungen sind seit Jahren die hรคufigste Ursache neu bewilligter EM-Renten. Aktuelle Auswertungen zeigen, dass rund vier von zehn neuen EM-Renten auf psychische Stรถrungen entfallen.

Das zeigt die Realitรคt vieler โ€žBurnout-Fรคlleโ€œ, die sich diagnostisch als depressive, Angst- oder Anpassungsstรถrungen verfestigen und die Erwerbsfรคhigkeit nachhaltig begrenzen. Entscheidend bleibt, dass die Beschwerden dauerhaft sind, leitliniengerecht behandelt wurden und dennoch wesentliche Einschrรคnkungen der Leistungsfรคhigkeit fortbestehen.

Was heiรŸt das konkret fรผr Betroffene?

Wer sich wegen massiver Erschรถpfung und psychischer Beschwerden โ€žausgebranntโ€œ fรผhlt, kann grundsรคtzlich eine EM-Rente erhalten โ€“ wenn die funktionellen Einschrรคnkungen so gravierend und anhaltend sind, dass die Stundengrenzen unterschritten werden und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfรผllt sind.

Der Weg fรผhrt in aller Regel รผber Diagnostik, Therapie, Reha und eine grรผndliche Dokumentation der verbleibenden Leistungsfรคhigkeit. Wรคhrend des Verfahrens kรถnnen sozialrechtliche รœberbrรผckungen โ€“ Nahtlosigkeitsregelung โ€“ und rechtstechnische Details wie die Umdeutung eines Reha- in einen Rentenantrag wichtig werden.

Wer abschรคtzen mรถchte, ob eher eine befristete oder unbefristete Rente in Betracht kommt, sollte den Therapieverlauf und die Prognose mit behandelnden Fachรคrztinnen und Fachรคrzten offen besprechen.

Fazit

Ja, eine EM-Rente wegen โ€žBurnoutโ€œ ist mรถglich โ€“ nicht wegen des Schlagworts, sondern wegen der konkret nachgewiesenen psychischen Erkrankung und deren funktioneller Folgen.

MaรŸstab sind die Restleistungsfรคhigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, die versicherungsrechtlichen Zeiten, der Grundsatz โ€žReha vor Renteโ€œ und โ€“ falls bewilligt โ€“ die Hinzuverdienstregeln. Wer gut dokumentiert, Therapie und Reha ausschรถpft und die sozialrechtlichen Stellschrauben kennt, verbessert seine Chancen auf eine sachgerechte Entscheidung der DRV.

Hinweis: Individuelle Fรคlle unterscheiden sich. Fรผr eine belastbare Einschรคtzung lohnt die persรถnliche Beratung bei der DRV oder bei Sozialverbรคnden (z. B. VdK/SoVD) sowie fachlicher Rat durch ร„rztinnen/ร„rzte und โ€“ bei strittigen Verfahren โ€“ durch spezialisierte Renten- oder Sozialrechtsberatung.