Bürgergeld: Jobcenter muss zahlen – dann steht Mehrbedarf zu

Liegt eine Unterdeckung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums vor, muss das Jobcenter diese durch zusätzliche Leistungsansprüche sichern. Das folgt aus den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13).

Der existenzsichernde Regelbedarf ist entweder so zu bemessen, dass Unterdeckungen intern ausgeglichen oder durch Ansparen gedeckt werden können, oder er ist durch weitere Ansprüche abzusichern.

Der Umfang des nach Art. 1 Abs. 1 GG zu gewährleistenden Existenzminimums bestimmt sich nach den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation der Leistungsberechtigten sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09).

Besonderer Bedarf im Einzelfall

Mit der Bezugnahme auf einen besonderen Bedarf will der Gesetzgeber Bedarfe einbeziehen, die in Sondersituationen auftreten, nicht erfasster Art oder atypischen Ursprungs sind, oder einen höheren, überdurchschnittlichen Bedarf betreffen, der in der statistischen Durchschnittsbetrachtung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nicht oder nicht aussagekräftig abgebildet wird.

Wann liegt ein besonderer Bedarf vor?

1) Digitale Endgeräte für Schüler (14–18 Jahre)
Die Kosten für die Anschaffung eines digitalen Endgerätes in Höhe von 249,00 € für die schulische Nutzung sind als Zuschuss und nicht nur als Darlehen zu gewähren. Eine Darlehensgewährung nach § 21 Abs. 6 S. 1 Halbs. 2 Alt. 2 SGB II ist hier wegen der Art des Bedarfs ausgeschlossen, nachdem in der EVS 2018 für diese Altersgruppe keine Bedarfe für derartige Geräte ausgewiesen sind.

Leistungsberechtigte können nicht darauf verwiesen werden, den Betrag anzusparen (SG Halle, Az. S 18 AS 951/23).

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2) Nicht verschreibungspflichtige/nicht verordnungsfähige Medikamente
Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente sowie nicht verordnungsfähige Arzneimittel können einen Anspruch auf Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II auslösen (BSG, Urt. vom 29. 04. 2015 – B 14 AS 8/14 R).

Voraussetzungen des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II

Es handelt sich um einen unabweisbaren, besonderen Bedarf,
der nicht durch den Regelbedarf oder andere Leistungsarten gedeckt ist,
und bei einmaligen Bedarfen ist ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II unzumutbar oder nicht möglich.

Die Anerkennung erfolgt nur in begründeten Einzelfällen und der Bedarf muss tatsächlich angefallen sein.

Expertentipp vom Verfasser

Bürgergeldempfänger können einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II auch rückwirkend geltend machen, selbst wenn im Bewilligungszeitraum zunächst keine Bedarfsdeckung erfolgt ist. Das Bundessozialgericht hat diese Auslegung ausdrücklich auch mit Blick auf die in § 21 Abs. 2 bis Abs. 4 SGB II sowie § 21 Abs. 6 und Abs. 7 SGB II geregelten Mehrbedarfe bestätigt (BSG, Urteil vom 20. 02. 2014 – B 14 AS 65/12 R).

Fazit

Unterdeckungen dürfen nicht bestehen bleiben. Reicht der pauschale Regelbedarf im Einzelfall nicht aus, ist das menschenwürdige Existenzminimum durch zusätzliche Leistungsansprüche zu sichern. § 21 Abs. 6 SGB II ist dabei das zentrale Instrument, um unabweisbare besondere Bedarfe außerhalb der EVS-Durchschnittswerte im Einzelfall abzusichern – im Zweifel als Zuschuss und rückwirkend durchsetzbar, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.