Bürgergeld: Einmaleinkommen im Juni – kann es überhaupt angerechnet werden?

Lesedauer 3 Minuten

Es gibt massive rechtliche Unklarheiten beim Einmaleinkommen im Übergang zum Bürgergeld. Die Anrechnung von Einmaleinkommen im Bürgergeld wird sich ab 1.7. ändern. Die rechtliche Änderung ergibt komplexe Fragestellungen, aber eine Übergangsregelung fehlt.

Inhaltsverzeichnis

Aktuelle Rechtslage (bis 30.6.23)

Die aktuelle Anrechnung von Einmaleinkommen (§11 Abs3 SGB II) sieht bis 30.6. eine Verteilung auf 6 Monate vor, wenn sie bei Anrechnung in einem Monat dazu führen, dass der Leistungsanspruch entfällt.

Die Anrechnung erfolgt ab dem Folgemonat des Zuflusses.

§11 Abs 3 SGB II: Einmalige Einnahmen sind in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen. 2Zu den einmaligen Einnahmen gehören auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden. 3Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. 4Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.
§11 Abs3 SGB II Screenshot von https://www.buzer.de/11_SGB_II.htm

Was sind Einmaleinkommen?

Einmaleinkommen in diesem Sinne sind:
Lohnbestandteile wie:

  • Leistungsprämie
  • einmalige Weihnachts-/Urlaubsgelder

Nachzahlungen von laufenden:

  • Lohnzahlungen (Tarifanpassung rückwirkend)
  • Sozialleistungsnachzahlungen (zB. Alg1)

Aber auch:

  • Geschenke
  • Gewinne
  • Erbe

Beispiel

Paul erhält 1000€/Monat vom Jobcenter. Er gewinnt 10.000€. Die Summe übersteigt seinen Bedarf und wird auf 6 Monate verteilt angerechnet. Selbst dann verbleibt nach Freibeträgen so viel, dass kein Anspruch mehr besteht. Er muss 6 Monate vom Gewinn leben.

Rechtslage ab 1.7.2023

Nur noch Nachzahlungen z.B. von Lohn oder Sozialleistungen werden bei einem Wegfall des Leistungsanspruchs bei Anrechnung in einem Monat auf 6 Monate verteilt.

§11 Abs3 SGB II (in der Fassung ab 1.7.): Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zu- fließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeit- raum von sechs Monaten gleichmäßig aufzu- teilen und monatlich ab dem Monat des Zu- flusses mit einem entsprechenden monat- lichen Teilbetrag zu berücksichtigen. Screenshot von: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl122s2328.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s2328.pdf%27%5D__1683675857775
§11 Abs3 SGB II (in der Fassung ab 1.7. Screenshot von: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl122s2328.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s2328.pdf%27%5D__1683675857775

Folge: Andere Einkommen wie Geschenke, Gewinne und einmaliges Urlaubsgeld werden nur noch in einem Monat angerechnet. Paul wird nur noch für 1 Monat keine Bürgergeld-Leistungen vom Jobcenter erhalten, statt für 6 Monate.

Verteiltes Einmaleinkommen im 1.Halbjahr 2023

Hier entsteht ein erster kritischer Punkt:
Was geschieht, wenn Paul seine 10.000€ von oben im März 2023 gewonnen hat? Bisher war alles klar: Anrechnung von April-September. Paul bekommt also keine Leistungen.

Aber was geschieht ab 1.7.?

Entweder der Bescheid mit Anrechnung auf 6 Monate aus März gilt weiter und Paul bekommt bis inkl. September kein Bürgergeld. Oder das Gesetz gilt sofort (Gewinn wird nicht mehr verteilt) und Paul bekommt ab Juli wieder Leistungen.

Hier geht es um intertemporales Recht.

  • Die Anwendung geltenden Rechts zum Zeitpunkt des Sachverhalts spricht für keine Leistungen bis September.
  • Für den Leistungsanspruch ab 1.7. spricht die Sofortwirkung des neuen Rechts, dagegen der erlassene Bescheid.

§48 SGB X als Argument für die endende Anrechnung ab 1.7.

Dank §48 Abs1 S1 SGB X ist für mich die Lage eigentlich klar, der laufende Bescheid, der Paul wegen Einmaleinkommens ausschließt, ist aufzuheben und er bekommt ab Juli wieder Bürgergeld.

Ich bin gespannt darauf, wie dies umgesetzt werden wird.

§48 Abs1 S1 SGB X: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Screenshot von: https://www.buzer.de/48_SGB_X.htm
§48 Abs1 S1 SGB X; Screenshot von: https://www.buzer.de/48_SGB_X.htm

Das war aber noch der leichte Teil…

Einmaleinkommen im Juni

Bis 30.6. werden Einmaleinkommen nach §11 Abs3 S3 SGB II im Folgemonat des Zuflusses angerechnet.

§11 Abs 3 S3 SGB II: Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. Screenshot von : https://www.buzer.de/11_SGB_II.htm
§11 Abs 3 S3 SGB II; Screenshot von : https://www.buzer.de/11_SGB_II.htm

Ab 1.7. entfällt diese Regelung und es wird folglich nach §11 Abs2 SGB II im Zuflussmonat angerechnet.

§11 Abs3 SGB II (in der Fassung ab 1.7.2023). Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zu- fließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeit- raum von sechs Monaten gleichmäßig aufzu- teilen und monatlich ab dem Monat des Zu- flusses mit einem entsprechenden monat- lichen Teilbetrag zu berücksichtigen. Screenhot von : https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl122s2328.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s2328.pdf%27%5D__1683675857775
§11 Abs3 SGB II (in der Fassung ab 1.7.2023); Screenhot von : https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl122s2328.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s2328.pdf%27%5D__1683675857775

Beispiel:
Geschenk von 400€ im Juni 2023 nach Auszahlung der Leistungen

Altes/aktuelles Recht (bis Juni):
Soll im Juli angerechnet werden – nicht im Juni.

Neues Recht (gilt im Juli):
Soll im Juni angerechnet werden.

Kein Recht will also zur Zeit seiner Geltung anrechnen.

Kann Einmaleinkommen im Juni 2023 überhaupt angerechnet werden?

Eine Anrechnung im Juni scheidet aus, denn das neue Recht kann nicht vor seinem Inkrafttreten gelten (BSG vom 24.08.2004 -B2 U12/03 R).
Das ist klar.

Im Juli wird es komplizierter, da könnte es 2 Meinungen geben:

  1. Eine Anrechnung im Juli ist nicht möglich, da das neue Gesetz(§48 SGB X) sofort gilt. Nach diesem hätte im Juni angerechnet werden müssen, das Einmaleinkommen hat mit Juli nix zu tun.

  2. Eine Entscheidung über die Anrechnung im Juli ist schon im Juni gefallen. Diese gilt weiterhin, daher wird im Juli (trotz neuem Recht) angerechnet – ggf. auch auf 6 Monate verteilt. Zumindest könnte ich mir diese Haltung bei manch einem Sachbearbeiter vorstellen.

Aus meiner Sicht greift aber auch hier §48 Abs1 S1 SGB X.

§48 Abs1 S1 SGB X: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Screenshot von: https://www.buzer.de/48_SGB_X.htmDas hat zur Folge, dass kein Einmaleinkommen im Juni angerechnet werden kann.

Auch Einmaleinkommen, die ab Juli nur noch im Zuflussmonat angerechnet werden können, können bei Zufluss im Juni gar nicht angerechnet werden. Wer also im Juni ein Geldgeschenke bekommt, hätte also gar keine Anrechnung zu befürchten.

Nachzahlungen im Juni 2023

Noch schwieriger wird es bei Einmaleinkommen, die ab Juli weiterhin angerechnet werden und im Juni zufließen.

Nach dem Wortlaut des aktuellen §11 Abs3 S3 SGB II erfolgt die Berücksichtigung erst im Folgemonat Juli. Nach neuem Recht aber erfolgt aber im Juli keine Anrechnung mehr.

Da weder im Juni noch im Juli eine Anrechnung erfolgen kann, entfällt auch der Leistungsanspruch im Antragsmonat nicht und es erfolgt keine Aufteilung auf 6 Monate – folglich könnte auch in den Folgemonaten keine Anrechnung erfolgen.

Rechtliche Unsicherheit

Es handelt sich hierbei um ein rechtliches Problem, wie dies am Ende durch die Sozialgerichte gesehen wird, ist nicht absehbar. Kommt es aber zu Einmaleinkommen, können diese Argumente gut gegen eine Anrechnung verwendet werden.

Diese Unsicherheit rund ums Einmaleinkommen im Juni ist für Leistungsberechtigte, Sachbearbeiter und Beratung problematisch. Gut wäre, wenn hier hier zügig die Sicht des Bundesagentur in den Fachlichen Weisungen dargelegt wäre, denn diese hätte bereits heute Einfluss auf Entscheidungen.

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