Kann man Arbeitslosengeld und Bürgergeld gleichzeitig beziehen? Viele werden überrascht sein, denn die Antwort lautet grundsätzlich Ja. Aber es kommt darauf an, wie hoch das Arbeitslosengeld ist.
Arbeitslosengeld I (ALG I) ist eine Leistung der Bundesagentur für Arbeit: Wer zuvor Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält im Regelfall zwölf Monate lang 60 Prozent des letzten Nettogehalts (67 Prozent mit Kind). Finanziert wird die Leistung aus Beitragsmitteln.
Das Bürgergeld hingegen – die seit 2023 gültige Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – wird aus Steuermitteln bezahlt und soll das soziokulturelle Existenzminimum sichern; für Alleinstehende liegt der Regelbedarf seit 1. Januar 2024 bei 563 Euro pro Monat und bleibt auch 2025 unverändert.
Inhaltsverzeichnis
Das Vorrangprinzip und Aufstockung
Weil ALG I als vorrangige Leistung gilt, muss es vorrangig beantragt und bezogen werden, solange ein Anspruch besteht. Wird jedoch trotz ALG I der Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft nicht gedeckt – etwa wegen hoher Wohnkosten oder weil weitere Familienmitglieder ohne Einkommen sind – greift das Jobcenter mit aufstockendem Bürgergeld ein.
Voraussetzung ist Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II: Erst wenn Einkommen, Vermögen und vorrangige Leistungen nicht ausreichen, prüft das Jobcenter zusätzliches Bürgergeld.
Die Bundesagentur für Arbeit verweist ausdrücklich darauf, dass „mit Bürgergeld aufgestockt“ werden kann, wenn Wohngeld oder Kinderzuschlag nicht greifen.
Wann wird Bürgergeld parallel zu ALG I bewilligt?
Typische Konstellationen sind befristete Teilzeitgehälter, Teil-Erwerbstätigkeit während des ALG-I-Bezugs, hohe Kosten für Unterkunft und Heizung oder mehrere Unterhaltsverpflichtungen.
Auch nach Trennung oder Scheidung kann das ALG I einer Einzelperson nicht genügen, wenn sie weiterhin die Miete für eine Familienwohnung tragen muss. Entscheidend ist stets die Gesamtbedarfsberechnung des Jobcenters: Regelbedarf plus angemessene Wohn- und Heizkosten abzüglich anrechenbarer Einkommen (dazu gehört das ALG I) ergeben die Lücke, die das Bürgergeld auffüllt.
Lesen Sie auch:
– Arbeitslosengeld statt vorzeitig in Rente – das kann sich nun lohnen
Berechnung und Freibeträge
Bei der Berechnung werden zunächst 100 Euro Grundfreibetrag vom monatlichen Erwerbseinkommen abgezogen; darüber hinausgehende Beträge bleiben gestaffelt teilweise anrechnungsfrei.
Das Arbeitslosengeld selbst gilt als Einkommen, unterliegt aber nicht diesen Erwerbstätigen-Freibeträgen. Stattdessen wird es netto auf das Bürgergeld angerechnet, bis die zuvor errechnete Bedarfsobergrenze erreicht ist.
In der einjährigen Karenzzeit des Bürgergelds gelten höhere Vermögensfreibeträge: bis zu 40 000 Euro für die erste Person der Bedarfsgemeinschaft und 15 000 Euro für jede weitere.
Erst nach Ablauf der Karenzzeit werden strengere Vermögensprüfungen vorgenommen.
Zwei Behörden – getrennte Anträge, unterschiedliche Pflichten
ALG I wird bei der Agentur für Arbeit beantragt, Bürgergeld beim zuständigen kommunalen Jobcenter.
Wer beide Leistungen parallel erhält, hat daher doppelte Mitwirkungspflichten: Gegenüber der Agentur für Arbeit müssen Bewerbungsbemühungen dokumentiert werden; das Jobcenter fordert in der Regel zusätzlich Nachweise zu Miet-, Heiz- und Nebenkosten sowie eine Vermögens- und Einkommensauskunft der gesamten Bedarfsgemeinschaft.
Termine beider Behörden sind meldepflichtig; unentschuldigtes Fernbleiben kann Sanktionen bis hin zur Leistungsminderung nach sich ziehen.
Übergang nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes
Endet der ALG-I-Anspruch – bei den meisten Versicherten nach zwölf Monaten, bei älteren oder langjährig Versicherten spätestens nach 24 Monaten – entfällt die Aufstockung und das Bürgergeld nimmt die Existenzsicherung allein wahr.
Ein nahtloser Übergang setzt jedoch einen rechtzeitigen Antrag voraus; eine automatische Umstellung findet nicht statt. Die Bundesagentur für Arbeit empfiehlt, den Antrag mindestens sechs Wochen vor Ende des ALG-I-Bezugs zu stellen, um Leistungslücken zu vermeiden.
Praxisbeispiel: Tom zwischen Arbeitslosengeld und Bürgergeld
Tom B. ist 50 Jahre alt, ledig und wohnt in Köln. Nach 18 Jahren Festanstellung verliert er Ende April 2025 seine Stelle als Disponent und meldet sich arbeitslos. Sein zuletzt durchschnittliches Nettogehalt betrug 2 000 Euro im Monat.
Schritt 1 – Arbeitslosengeld I
Die Agentur für Arbeit bewilligt ihm ab 1. Mai 2025 Arbeitslosengeld I. Weil Tom keine Kinder hat, erhält er 60 Prozent seines letzten Netto-Verdienstes, also 1 200 Euro monatlich. Die Zahlung ist – wegen seiner langjährigen Beitragszeiten – auf 18 Monate befristet.
Schritt 2 – Bedarfsprüfung beim Jobcenter
Toms Warmmiete (inklusive Heizkosten) liegt bei 950 Euro. Zusammen mit dem Bürgergeld-Regelbedarf für Alleinstehende von 563 Euro ergibt sich ein Gesamtbedarf von 1 513 Euro. Damit liegt Toms ALG-I-Leistung 313 Euro unter dem errechneten Existenzminimum.
Schritt 3 – Aufstockendes Bürgergeld
Tom stellt beim örtlichen Jobcenter einen ergänzenden Antrag. Das Jobcenter prüft Einkommen, Vermögen und Unterkunftskosten. Sein erspartes Vermögen von 6 000 Euro bleibt innerhalb der zwölfmonatigen Karenzzeit anrechnungsfrei (Freibetrag: 40 000 Euro). Da sich ansonsten kein weiteres Einkommen findet, bewilligt das Jobcenter monatlich 313 Euro Bürgergeld.
Ergebnis
Tom erhält parallel zwei Zahlungen: 1 200 Euro Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit und 313 Euro Bürgergeld vom Jobcenter. Zusammen decken sie exakt den festgestellten Bedarf von 1 513 Euro. Nach Ablauf des ALG-I-Anspruchs (voraussichtlich Oktober 2026) muss Tom rechtzeitig einen Weiterbewilligungsantrag stellen; ab dann würde das Bürgergeld allein seine Existenz sichern, solange er keine neue Beschäftigung findet.
Fazit
Bürgergeld und Arbeitslosengeld I schließen sich nicht aus. Wer arbeitslos ist, erhält zunächst ALG I; reicht es nicht für den notwendigen Lebensunterhalt, kann aufstockend Bürgergeld bewilligt werden. Maßgeblich sind eine sorgfältige Bedarfs- und Einkommensprüfung, die rechtzeitige Antragstellung beim Jobcenter sowie die Bereitschaft, den umfangreichen Mitwirkungspflichten beider Behörden nachzukommen.