Bürgergeld: Geld von den Kindern, Kürzung vom Amt – Jobcenter darf Tilgungshilfe als Einkommen werten

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Darf das Jobcenter Geld, das Kinder ihrer Mutter ausdrücklich für die Tilgung von Bauspardarlehen geben, als Einkommen anrechnen, wenn die Mutter Bürgergeld bezieht und ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung hat?

Oder handelt es sich um Zuwendungen, deren Anrechnung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als „grob unbillig“ gelten würde (§ 11a Abs. 5 Nr. 2 oder Nr. 1 SGB II)?

Das Landessozialgericht hat hierzu klar entschieden:

Zweckgebundene finanzielle Zuwendungen der Kinder zur Tilgung von Bauspardarlehen sind bei der Bürgergeld beziehenden Mutter als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist nach Auffassung des Gerichts nicht grob unbillig im Sinne von § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II.

Stellen die Kinder ihrer Mutter, die Bürgergeld bezieht, monatlich Geld zur Verfügung, damit sie ihre Hypothekendarlehen (Tilgungsraten) bedienen kann, sind diese Gelder als Einkommen der Mutter anzurechnen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich nicht um Zahlungen, die mit einer ernsthaften Rückzahlungsverpflichtung verbunden sind.

Das Jobcenter durfte daher die ALG-II-Bescheide teilweise aufheben. Die Mutter konnte sich nicht wirksam auf Vertrauensschutz berufen. Im Gegenteil: Sie war verpflichtet, die regelmäßigen Zuwendungen ihrer Kinder dem Jobcenter mitzuteilen.

Auch die Einordnung als „Zweckschenkung“ durch die Kinder – also Geld mit der Zweckbindung „Tilgung der Darlehen“ – steht der Berücksichtigung dieser Zuwendungen als Einkommen nicht entgegen.

Sachverhalt und Begründung des Landessozialgerichts

§ 11a Abs. 3 SGB II – zweckgerichtete Einnahmen

§ 11a Abs. 3 SGB II zeigt, dass zweckgerichtete Einnahmen – unter bestimmten Voraussetzungen – generell nur dann von der Anrechnung ausgenommen werden sollen, wenn die Zweckbestimmung auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruht.

Das bedeutet: Nur wenn eine Leistung aufgrund eines Gesetzes, einer Verordnung oder anderer öffentlich-rechtlicher Regeln mit einer bestimmten Zweckbindung gewährt wird, kann sie unter § 11a Abs. 3 SGB II fallen.

Der Unterschied zwischen gesetzlicher Zweckbindung und privater Zweckbestimmung

Leistungen Dritter, die nicht auf solchen öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruhen – also insbesondere Zahlungen von Privatpersonen oder privaten Institutionen – können nur nach § 11a Abs. 4 oder 5 SGB II von der Anrechnung als Einkommen ausgenommen sein (BSG, Urteil vom 17.7.2024 – B 7 AS 10/23 R).

Warum § 11a Abs. 5 SGB II hier nicht hilft

Der Fall betrifft außerdem § 11a Abs. 5 SGB II in der Fassung bis zum 31.07.2016.

Nach dieser Regelung sind Zuwendungen, die ein anderer ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbringt, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn

1. ihre Anrechnung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre (Nr. 1) oder
2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass Leistungen nach dem SGB II daneben nicht mehr gerechtfertigt wären (Nr. 2).

Eine rechtliche oder sittliche Pflicht der Kinder, ihrer Mutter diese Zuwendungen zu gewähren, hat das Gericht nicht angenommen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.7.2024 – B 7 AS 10/23 R).

Allerdings fehlen die weiteren Voraussetzungen des § 11a Abs. 5 Nr. 2 oder Nr. 1 SGB II.

Weshalb Tilgungsraten im Bürgergeld nicht als Unterkunftskosten gelten

Der Gesetzgeber hatte bei § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II typische Situationen vor Augen, in denen gelegentliche oder regelmäßige Zuwendungen Anderer üblich und gesellschaftlich akzeptiert sind und deshalb nicht bedarfsmindernd berücksichtigt werden sollen – etwa ein monatliches Taschengeld der Großeltern (BT-Drs. 17/3404, S. 95).

Trotzdem ist es nach Wortlaut und Zweck der Norm nicht ausgeschlossen, eine Einnahme nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II unberücksichtigt zu lassen, wenn ihr – rein gedanklich – ein durch Leistungen nach dem SGB II abdeckbarer Bedarf in derselben Höhe gegenübergestanden hätte.

Im konkreten Fall scheidet diese Ausnahme aber aus:

Die Zuwendungen der Kinder können bereits deshalb nicht unter § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II fallen, weil sie der Tilgung von Baudarlehen dienten. Damit sollten Kosten gedeckt werden, die nach dem SGB II als Teil des Wohnkostenbedarfs gerade nicht anerkannt sind. Tilgungsraten gehören im Regelfall nicht zu den übernahmefähigen Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II.

Würde man hier eine Ausnahme anerkennen, liefe das auf eine – vom Gesetz nicht gewollte – Anerkennung privater Zweckschenkungen für nicht anerkannte Wohnkosten hinaus.

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Wann eine Überkompensation vorliegt – und warum sie entscheidend ist

Wären die Zuwendungen der Kinder hingegen nicht zweckgebunden, sondern allgemein zur finanziellen Unterstützung der Mutter gedacht, käme es zu einer Überkompensation: Die Zuwendungen und die Leistungen nach dem SGB II würden sich so überlagern, dass ein Teil der Grundsicherungsleistungen objektiv nicht mehr benötigt würde.

Warum § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II keine grobe Unbilligkeit erkennt

Auch die Ausnahme nach § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II greift nach Auffassung des Gerichts nicht.

Diese Vorschrift soll nur solche Fälle erfassen, in denen die Verwendung der Einnahmen für den Lebensunterhalt anders als im Regelfall aufgrund besonderer Umstände als übermäßig hart, also unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheint.

Keine unbillige Härte liegt zum Beispiel vor, wenn eine Zuwendung nur mit dem Ziel gewährt wird, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts „aufzustocken“ oder wenn die Zuwendung unter der Bedingung gegeben wird, dass sie vom Jobcenter nicht angerechnet werden soll.

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Ausnahme nicht erreichen, dass Leistungsberechtigte durch private Zuwendungen dauerhaft einen Lebensstandard oberhalb der gesetzlich festgelegten Grundsicherung sichern können.

Warum die Anrechnung nicht grob unbillig ist

Die Anrechnung der von den Kindern gezahlten Gelder auf das Bürgergeld der Mutter ist nach Auffassung des Landessozialgerichts nicht grob unbillig.

Zwar wird der Zweck der Zuwendungen – nämlich die Tilgung der Baudarlehen – durch die Anrechnung faktisch unterlaufen, wenn man unterstellt, dass die Zahlungen genau für diesen Zweck gedacht waren. Das ist jedoch die zwangsläufige Folge der gesetzlichen Regelung, nach der private Zweckschenkungen mit solchen Zwecken gerade nicht mehr anerkannt werden.

Typische Sozialrechts-Situation: Eigentum im Bürgergeld und laufende Darlehen

Das Gericht sieht keine besonderen, vom Regelfall abweichenden Umstände. Die Mutter befand sich in der typischen Situation einer Bürgergeld-Bezieherin, die eine selbst bewohnte, noch nicht abbezahlte Immobilie besitzt. In solchen Konstellationen werden die Tilgungsraten auf das Darlehen regelmäßig nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 SGB II anerkannt.

Warum hypothetische Verläufe rechtlich unerheblich sind

Auch das Argument, die Kinder hätten bei Kenntnis der Anrechnung kein Geld gezahlt, ließ das Gericht nicht gelten. Für die rechtliche Bewertung kommt es darauf an, was tatsächlich passiert ist: Die Mutter hat die Beträge erhalten, und sie standen ihr zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Hypothetische alternative Verläufe („dann hätten die Kinder nicht gezahlt“) ändern nichts daran.

Grundkonzept des SGB II: Zuwendungen sind kein Extra-Plus zur Grundsicherung

Die Konzeption des SGB II sieht nicht vor, dass private Zuwendungen dauerhaft zusätzlich zur Grundsicherung erbracht werden und damit gewissermaßen einen höheren Lebensstandard sichern. Sind Zuwendungen vorhanden und verbessern sie die Lage der Leistungsberechtigten, sind sie grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen – es sei denn, es greift ausnahmsweise eine gesetzliche Freistellungsvorschrift.

Im vorliegenden Fall war dies nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall.

Anmerkung von Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Warum Leistungsbeziehende alle Zuwendungen melden müssen

1. Der Erstattungsanspruch des Jobcenters war in dieser Konstellation berechtigt. Geldzuwendungen der Kinder in Form von Geldgeschenken oder regelmäßigen Zahlungen sind dem Jobcenter zu melden. Die Mutter konnte sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Wann Zuwendungen so günstig sind, dass Bürgergeld-Leistungen gekürzt werden dürfen

2. § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II knüpft für die Frage der Anrechnung maßgeblich an die Höhe der Zuwendung an. Je stärker die Zuwendung die wirtschaftliche Situation verbessert, desto eher spricht dies für eine Anrechnung als Einkommen.

3. Eine Zuwendung beeinflusst die Lage der Leistungsberechtigten so günstig, dass Leistungen nach dem SGB II daneben nicht mehr gerechtfertigt sind, wenn sich Zuwendung und Grundsicherungsleistungen so überlagern, dass objektiv ein Teil der Leistungen nicht mehr benötigt wird. Dann liegt eine Art Überkompensation der Notlage vor und ein Teil der SGB-II-Leistungen ist „nicht gerechtfertigt“.

So hat es das Bundessozialgericht im Urteil vom 17.7.2024 – B 7 AS 10/23 R – näher erläutert. Dort ging es um die Nichtanrechnung eines während des Leistungsbezugs gewährten Geldbetrags auf Grundlage grober Unbilligkeit nach § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II, wenn die Zuwendung Aufwendungen für Unterkunft abdeckt, die das Jobcenter nach § 22 Abs. 2 SGB II als Bedarf berücksichtigen kann.

Wann Jobcenter trotz Zuwendung nicht anrechnen dürfen – der Vergleichsfall des BSG

4. In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall durfte das Jobcenter die Geldzuwendung nicht anrechnen. Das zeigt, wie stark die Bewertung davon abhängt, welche Art von Kosten mit der Zuwendung gedeckt werden sollen und ob diese Kosten nach dem SGB II grundsätzlich als Bedarf anerkannt werden können.

Wann sind Geldzuwendungen Dritter nicht als Einkommen zu berücksichtigen?
Ein Beitrag von Detlef Brock