Der Entwurf zum Bundeshaushalt 2025 setzt in wichtigen Förderlinien für Menschen mit Behinderung deutliche Einschnitte. Nach dem Stand der Beratungen sollen für die „Inklusion von Menschen mit Behinderungen“ 2025 rund 389,62 Millionen Euro bereitstehen – nach 523,7 Millionen Euro im Jahr 2024.
Auch die spezifischen Titel zur „Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach dem Bundesteilhabegesetz“ werden von 234,03 Millionen Euro (2024) auf 135,45 Millionen Euro gekürzt.
Besonders ins Gewicht fällt zudem der starke Rückgang bei Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation in den Rechtskreisen SGB II und SGB VI, deren Ansatz von 167,04 Millionen Euro (2024) auf 67,88 Millionen Euro (2025) sinken soll.
Diese Zahlen sind unmissverständlich: Für Inklusion und Teilhabe ist kein Plus vorgesehen – im Gegenteil. Das ist politisch ein fatales Signal für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).
Zeitlich befristete Programme laufen aus
Ein Teil der Kürzungen erklärt sich aus auslaufenden, befristeten Programmen. So hat der Bund in den vergangenen Jahren gezielt Modellvorhaben – etwa zur Stärkung von Rehabilitation und Prävention – zeitlich begrenzt gefördert. Dass solche Programme regulär enden, ist systemimmanent; dass gleichzeitig die entsprechenden Haushaltstitel insgesamt so stark absinken, ist jedoch ein politisch gewollter Kurswechsel.
Er birgt die Gefahr, den in den letzten Jahren mühsam aufgebauten Reformschub zu bremsen, statt erfolgreiche Ansätze zu verstetigen und in die Fläche zu tragen.
BTHG als Paradigmenwechsel: Von der Fürsorge zur Personenzentrierung
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) markiert einen fachlichen und normativen Wendepunkt: Weg von fürsorgelogischen Strukturen, hin zu einem Recht auf selbstbestimmte Teilhabe, das sich an den individuellen Bedarfen orientiert. Personenzentrierte Hilfeplanung, neue Leistungskataloge für soziale Teilhabe und Bildung, sowie Instrumente wie das Budget für Arbeit sind dabei keine additiven Extras, sondern der Kern des Paradigmenwechsels.
Sie sind Ausdruck der Verpflichtungen aus der UN-BRK, die Deutschland ratifiziert hat. Der UN-Fachausschuss hat 2023 ausdrücklich festgehalten, dass Deutschland bei der Umsetzung noch erheblichen Aufholbedarf hat – Rückschritte würden diesen Rückstand vergrößern.
„Steuerung, Effizienz, Entbürokratisierung“ – Chance oder Einstieg in den Rückwärtsgang?
Für Irritationen sorgte Anfang 2025 ein Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe (BAGÜS).
Unter Stichworten wie verbindliche Sozial- und Bedarfsplanung, Ablösung des strikten Vereinbarungsprinzips, Ziel-Kennzahlen und digitales Leistungs-Monitoring wird eine stärkere „Steuerung“ vorgeschlagen. Einige Vorschläge können Effizienzgewinne versprechen und Doppelstrukturen reduzieren. Zugleich droht bei unbedachten Standardisierungen eine Abkehr von der Individualisierung, die das BTHG ausmacht.
Wenn die Steuerung am Ende dazu führt, dass pauschalierte Angebote über individuelle Bedarfe gestellt werden, wäre das ein Systembruch – und ein Rückschritt hinter die Leitplanken der UN-BRK. Die Debatte muss deshalb präzise trennen zwischen sinnvoller Verwaltungsvereinfachung und gefährlicher Re-Pauschalierung.
Kanzler: Kostenkritik trifft einen sensiblen Bereich
Beim Deutschen Kommunalkongress am 3. Juni 2025 mahnte Bundeskanzler Friedrich Merz eine „umfassende Ausgabenüberprüfung […] auch im Sozialrecht“ an und nannte „jährliche Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe“ „so nicht länger akzeptabel“.
Solche pauschalen Zuspitzungen treffen einen hochsensiblen Bereich: Sie können den Eindruck erwecken, Leistungen würden umfassend „aus dem Ruder laufen“, und verkennen, dass ein großer Teil der Dynamik strukturell bedingt ist. Eine seriöse Debatte braucht hier mehr Differenzierung – und belastbare Daten.
Was die Zahlen tatsächlich sagen: Kostenentwicklung ist nur teilweise BTHG-bedingt
Die beste verfügbare Gesamtschau liefert die im Auftrag des BMAS erstellte Finanzuntersuchung nach Art. 25 Abs. 4 BTHG. Danach stiegen die Nettoausgaben der Eingliederungshilfe von 18,1 Mrd. Euro (2018) auf 25,4 Mrd. Euro (2023) – ein Plus von 40,3 Prozent.
Die Untersuchung weist aus, dass nur ein Teil dieser Entwicklung auf BTHG-Regelungen zurückgeht, etwa veränderte Einkommens- und Vermögensheranziehung oder zusätzliche Planungskapazitäten. Den größeren Anteil erklären exogene Faktoren: mehr Leistungsberechtigte sowie Personalkosten- und Verbraucherpreisdynamik.
Auch ein Einnahmenrückgang – teils BTHG-bedingt – verstärkte den Nettoanstieg. Kurz: Die Kosten steigen, aber nicht primär, weil „zu viel“ gewährt würde, sondern weil mehr Menschen Leistungen benötigen und diese – wie alle sozialen Dienste – teurer geworden sind.
Der lange Trend: Vierfache Ausgaben seit Mitte der 1990er Jahre
Die Ausgabenentwicklung ist kein Phänomen der letzten Reformperiode. Zeitreihen zeigen, dass sich die Bruttoausgaben der Eingliederungshilfe seit 1995 nahezu vervierfacht haben und 2023 bei gut 26 Mrd. Euro lagen.
Dahinter stehen demografische, epidemiologische und sozialstrukturelle Trends, veränderte Teilhabeansprüche und ein überfälliger Ausbau von Angeboten. Wer heute mit kurzfristigen Kürzungen reagiert, bekämpft Symptome – nicht Ursachen.
Was Kürzungen praktisch bedeuten – und was sie verhindern
Kürzungen in pauschalen Fördertiteln treffen selten „Verwaltung“, sondern wirken in der Fläche: weniger unabhängige Beratung, weniger Anschub für inklusive Bildungs-, Arbeits- und Wohnprojekte, weniger Ressourcen für passgenaue Assistenz. Was auf dem Papier wie „Effizienz“ aussieht, führt im Alltag von Familien, Trägern und Kommunen zu Lücken, Brüchen und Warteschleifen.
Für die Haushalte der Länder und Kommunen ist das gesamtstaatlich kurzfristig vielleicht entlastend, mittel- und langfristig jedoch kontraproduktiv – weil spätere, intensivere Hilfen häufiger und teurer werden.
Inklusion und Teilhabe sind keine „nice to have“
Inklusion und Teilhabe sind keine „nice to have“-Positionen, die im Konjunktiv des Haushaltsrechts stehen. Sie sind Grund- und Menschenrechte, die Deutschland zugesagt hat – und die sich im Alltag an zugänglichen Kitas und Schulen, am Übergang in Arbeit, an selbstbestimmtem Wohnen und an verlässlicher Assistenz messen lassen.
Der Bundeshaushalt 2025 sollte diesen Kompass widerspiegeln. Statt Rückwärtsgang braucht es eine faktenbasierte Konsolidierung: zielgerichtet, wirksam, personenzentriert – und im Zweifel mit weniger Symboldebatte und mehr belastbaren Zahlen.




