Witwenrente und Erbschaft: Wird eine Erbschaft als Einkommen angerechnet?

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In Deutschland beziehen Millionen Menschen eine Hinterbliebenenrente. Gleichzeitig werden viele Nachlässe an Ehepartnerinnen und Ehepartner vererbt – vom Geldvermögen bis zur Immobilie. Entsprechend häufig taucht die Sorge auf, ob eine Erbschaft die Witwenrente kürzt oder sogar zu einer sogenannten „Nullrente“ führt.

Nach jüngsten Berichten zählen die Rentenversicherer inzwischen Hunderttausende Fälle, in denen zwar ein Anspruch besteht, aber wegen hoher Einkommensanrechnung nichts ausgezahlt wird. Medien verweisen hierfür auf DRV-Zahlen und nennen rund 538.000 „Nullrenten“.

Das Phänomen ist real, seine Ursachen liegen jedoch nicht in der Erbschaft selbst, sondern in der Art, wie eigenes Einkommen auf die Hinterbliebenenrente angerechnet wird.

Der Grundsatz: Die Erbschaft selbst ist kein anrechenbares Einkommen

Die Rechtslage ist klar: Was als „Einkommen“ auf eine Witwen- oder Witwerrente angerechnet werden darf, ist gesetzlich abschließend geregelt. Eine Erbschaft an sich gehört nicht zu diesen Einkommensarten. Entscheidend ist, ob Sie aus dem Ererbten eigenes Einkommen erzielen – erst dann entsteht etwas Anzurechnendes.

Typische Beispiele sind Zinsen aus geerbtem Geld, Mieten aus einer geerbten Wohnung oder Gewinne aus dem steuerpflichtigen Verkauf eines Nachlassgegenstands. Die bloße Vermögensübertragung durch den Erbfall selbst führt dagegen nicht zu einer Rentenkürzung.

Wann Erbschaftsvermögen doch zur Anrechnung führt: Verwertung und Erträge

Sobald die Erbin oder der Erbe das Nachlassvermögen verwertet, werden daraus erzielte Erträge unter dem „neuen Recht“ als Einkommen berücksichtigt.

Dazu zählen nach § 18a SGB IV neben Erwerbs- und Ersatzeinkommen ausdrücklich auch Vermögenseinkünfte, etwa Zinsen, Dividenden, Mieten und Pachten sowie – soweit steuerpflichtig – Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften.

Wird etwa eine geerbte Immobilie vermietet, sind die Mieteinnahmen grundsätzlich anrechenbares Einkommen; werden geerbte Gelder verzinslich angelegt, sind die Zinsen – oberhalb des Sparer-Pauschbetrags – relevant.

Wird ein geerbtes Haus verkauft, ist ein Gewinn nur dann relevant, wenn er einkommensteuerlich steuerpflichtig ist, etwa weil die Zehn-Jahres-Frist des § 23 EStG nicht eingehalten wurde oder keine Eigennutzung vorliegt.

Das große „Wenn“ beim Hausverkauf: Steuerpflichtiger Gewinn ja oder nein?

Für Erbinnen und Erben gilt beim Immobilienverkauf die sogenannte Fußstapfentheorie: Die Haltefrist läuft nicht ab Erbfall, sondern knüpft an den ursprünglichen Kauf durch den Erblasser an.

Liegt dessen Anschaffung mehr als zehn Jahre zurück oder wurde die Immobilie im Veräußerungsjahr und den beiden Vorjahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt, ist der Gewinn steuerfrei – dann fehlt es an steuerpflichtigem Vermögenseinkommen, das die Rente kürzen könnte.

Innerhalb der Zehn-Jahres-Frist ohne Eigennutzung ist der Gewinn hingegen steuerpflichtig und zählt unter dem neuen Recht zur Einkommensanrechnung. Seit 2024 bleibt ein Gesamtgewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften bis 1.000 Euro pro Kalenderjahr steuerfrei.

Altrecht versus Neurecht: Welcher Katalog gilt für Sie?

Ob und welche Vermögenseinkünfte angerechnet werden, hängt maßgeblich davon ab, ob für Ihren Fall das Alt- oder das Neurecht gilt.

Für Hinterbliebene, deren Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde und bei denen mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist, oder wenn der versicherte Ehegatte vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist, greift § 114 SGB IV (Bestandsschutz).

Dann werden grundsätzlich nur Erwerbseinkommen und bestimmte Erwerbsersatzeinkommen berücksichtigt; Vermögenseinkünfte – also Zinsen, Mieten, steuerpflichtige Veräußerungsgewinne – bleiben außer Ansatz. In allen anderen Fällen (Neurecht) richtet sich die Anrechnung nach § 18a SGB IV, der Vermögenseinkommen ausdrücklich einbezieht.

So rechnet die Rentenversicherung: Freibetrag und 40-Prozent-Regel

Die Mechanik der Einkommensanrechnung ist immer gleich: Es gibt einen dynamischen Freibetrag in Höhe des 26,4-fachen aktuellen Rentenwerts; nur der Teil des Netto-Einkommens, der darüber liegt, wird zu 40 Prozent von der Hinterbliebenenrente abgezogen.

Für jedes waisenrentenberechtigte Kind erhöht sich der Freibetrag um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwerts. Im sogenannten Sterbevierteljahr (die ersten drei Monate nach dem Todesmonat) findet keine Anrechnung statt. Zum 1. Juli 2025 entspricht der bundeseinheitliche Freibetrag 1.076,86 Euro monatlich; er passt sich automatisch mit dem Rentenwert an.

Ein Praxisbeispiel: Geerbtes Haus, Vermietung, Zinsen

Angenommen, eine Witwe erbt ein schuldenfreies Einfamilienhaus im Wert von 500.000 Euro. Allein der Erbfall führt zu keiner Kürzung ihrer Witwenrente. Vermietet sie das Haus anschließend mit einer monatlichen Netto-Kaltmiete von 1.500 Euro, wird – nach Abzug pauschaler Nettoberechnung – das maßgebliche Einkommen mit dem Freibetrag verglichen. Liegt der Freibetrag (Stand 1. Juli 2025) bei 1.076,86 Euro, sind 423,14 Euro „über Freibetrag“. Hiervon werden 40 Prozent, also 169,26 Euro, auf die Witwenrente angerechnet.

Bei einer späteren Veräußerung ist zwischen steuerfreier und steuerpflichtiger Gewinnrealisierung zu unterscheiden: Nur wenn der Gewinn einkommensteuerlich zu erfassen ist (z. B. Verkauf innerhalb von zehn Jahren ohne Eigennutzung), wirkt er als Vermögenseinkommen im Sinne des § 18a SGB IV.

Zinsen und Dividenden: Sparer-Pauschbetrag beachten

Wer geerbtes Geld anlegt, muss zwei Ebenen unterscheiden. Steuerlich bleiben Kapitalerträge bis zum Sparer-Pauschbetrag von 1.000 Euro bei Einzelveranlagung und 2.000 Euro bei Zusammenveranlagung steuerfrei; erst darüber greift die Abgeltungsteuer.

Für die Einkommensanrechnung nach § 18a SGB IV werden Kapitalerträge regelmäßig oberhalb dieses Pauschbetrags als Vermögenseinkommen berücksichtigt. Praktisch sinnvoll ist deshalb ein ausreichender Freistellungsauftrag bei der Bank.

Typische Sonderfragen: Fortgeführte Verträge, Unfall- und andere Leistungen

Wer Verträge des Verstorbenen – etwa eine vermietete Immobilie oder eine Kapitalanlage – als Rechtsnachfolger fortführt, erzielt die Erträge fortan selbst. Seit dem Todeszeitpunkt fließen Zinsen, Dividenden oder Mieten nicht mehr der verstorbenen Person zu, sondern der Witwe bzw. dem Witwer – und sind damit als eigenes Vermögenseinkommen ein möglicher Anrechnungstatbestand nach Neurecht.

Zugleich ordnet § 97 SGB VI die Rangfolge an, wenn mehrere Leistungen zusammentreffen, und definiert das Verfahren zur Umrechnung in ein maßgebliches Nettoeinkommen.

Erbschaftsteuer und Versorgungsfreibetrag: Zwei getrennte Systeme

Erbschaftsteuer und Rentenrecht sind strikt zu trennen. Steuerlich steht dem überlebenden Ehegatten nach § 17 ErbStG zusätzlich zum persönlichen Freibetrag ein besonderer Versorgungsfreibetrag von 256.000 Euro zu.

Dieser Freibetrag wird allerdings um den kapitalisierten Wert nicht erbschaftsteuerpflichtiger Versorgungsbezüge – typischerweise die gesetzliche Hinterbliebenenrente – gekürzt.

Die Berechnung erfolgt nach dem Bewertungsgesetz mittels Vervielfältigern. Das ist ein steuerliches Thema; die Kürzung des Versorgungsfreibetrags hat keinen Einfluss auf die Mechanik der Einkommensanrechnung im Rentenrecht.

Altrecht bleibt ein wichtiger Schutz: Wann Vermögenseinkünfte außen vor bleiben

Fällt Ihr Fall unter die Bestandsschutzregelung des § 114 SGB IV, sind Vermögenseinkünfte grundsätzlich nicht anrechenbar. Das betrifft insbesondere Ehen, die vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurden, sofern mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist, sowie Todesfälle vor dem 1. Januar 2002.

In diesen Konstellationen ist regelmäßig nur Erwerbs- bzw. Erwerbsersatzeinkommen relevant, während Zinsen, Dividenden, Mieten oder steuerpflichtige Veräußerungsgewinne unberücksichtigt bleiben. Für Betroffene kann diese Abgrenzung erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.

Meldepflichten, Zeitpunkte, typische Fallstricke

Die Einkommensanrechnung wird bei erstmaligem Zusammentreffen von Rente und Einkommen und in der Folge jährlich zum 1. Juli überprüft. Änderungen beim eigenen Einkommen sollten der Rentenversicherung mitgeteilt werden, um Rückforderungen oder Nachzahlungen zu vermeiden. Wichtig ist außerdem, dass im Sterbevierteljahr keine Anrechnung erfolgt und der Berechnung stets pauschal ermittelte Netto-Beträge zugrunde gelegt werden.

Fazit: Erben ist unschädlich – Erträge nicht immer

Die Erbschaft selbst kürzt die Witwen- oder Witwerrente nicht. Anrechenbar sind die Erträge aus dem Ererbten, und zwar nach streng typisiertem Verfahren mit Freibetrag und 40-Prozent-Regel. Ob Vermögenseinkünfte überhaupt berücksichtigt werden dürfen, hängt vom Anwendungsbereich ab: Unter Altrecht (§ 114 SGB IV) bleiben sie außen vor, unter Neurecht (§ 18a SGB IV) zählen sie mit.

Wer eine Immobilie erbt, sollte die Zehn-Jahres-Frist des § 23 EStG und die Eigennutzungs-Ausnahme kennen; wer Geldvermögen erbt, den Sparer-Pauschbetrag. Bei Unsicherheiten lohnt die Prüfung anhand der individuellen Daten – idealerweise mit aktuellem Rentenbescheid, Steuerunterlagen und gegebenenfalls fachkundiger Beratung.

Rechtsgrundlagen und weiterführende amtliche Quellen: (Auswahl): § 97 SGB VI zur Einkommensanrechnung und Freibetragsmechanik, die Auslegung der Deutschen Rentenversicherung (GRA) hierzu, § 18a SGB IV (Einkommensarten), § 114 SGB IV (Bestandsschutz/Altrecht), § 23 EStG (private Veräußerungsgeschäfte), § 17 ErbStG (Versorgungsfreibetrag). Die DRV stellt ergänzende Broschüren und Schulungsunterlagen mit Beispielen bereit.