Ein Patient mit koronarer Herzkrankheit, mehrfachen Infarkten und extrem hohem Lipoprotein(a) โ und trotzdem kein Anspruch auf eine Lipidapherese auf Kassenkosten.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.05.2025, Az. L 10 KR 517/24) bestรคtigt die Ablehnung der Krankenkasse fรผr den Zeitraum 25.05.2023 bis 20.03.2024. Die Richter machen deutlich: Apherese bleibt Ultima ratio โ und die Hรผrden dafรผr sind hoch.
Inhaltsverzeichnis
Worum ging es in dem Fall?
Der Klรคger leidet an einer fortgeschrittenen koronaren Herzerkrankung, hat sehr hohe Lp(a)-Werte und erhielt auf Eilbeschluss vorlรคufig eine Lipidapherese.
Parallel lief das Hauptsacheverfahren: Es sollte festgestellt werden, dass die Versorgung in dem genannten Zeitraum zu Recht als Kassenleistung erbracht wurde โ auch, um Rรผckforderungen zu vermeiden. Doch das LSG NRW wies die Berufung zurรผck; die Revision wurde nicht zugelassen.
Der juristische Kern โ drei Hรผrden, an denen der Anspruch scheiterte
1) Normbereich ist nicht Zielwert:
Fรผr die Richtlinie zur Apherese (MVV-RL, Anlage I Nr. 1) zรคhlt beim LDL-Cholesterin der medizinische Normbereich โ und der liegt bei unter 100 mg/dl. Der Zielwert unter 55 mg/dl fรผr Hochrisikopatient:innen spielt fรผr die Indikation der Apherese keine Rolle. Der Klรคger lag im Normbereich, also war diese Voraussetzung erfรผllt โ aber das genรผgt allein nicht.
2) Keine Ultima-ratio-Situation:
Apherese erst, wenn alle Standardtherapien ausgeschรถpft sind. Nach รberzeugung des Gerichts war das nicht der Fall: Insbesondere die Kombination mit einem PCSK9-Hemmer war als wirksame Option nicht ausgeschรถpft. Entscheidend: Ultima ratio bezieht sich nicht auf die isolierte Lp(a)-Erhรถhung, sondern auf die Behandlung der Grunderkrankung (kardiovaskulรคre Erkrankung).
3) Progredienz nicht hinreichend belegt:
Gefordert ist ein Fortschreiten der kardiovaskulรคren Erkrankung โ klinisch und bildgebend dokumentiert, mit Verlauf im relevanten Zeitraum. Genau daran fehlte es: Die Unterlagen zeigten keinen nachweisbaren Progress.
Wichtig: KV-Kommission hilft โ ersetzt aber nicht den Anspruch
Dass die Apherese-Kommission der Kassenรคrztlichen Vereinigung ein positives Votum abgegeben hatte, รคnderte nichts am Ergebnis. Das Kommissionsvotum ist nicht bindend. Die Krankenkasse (und im Streitfall das Gericht) prรผfen eigenstรคndig nach den Richtlinienvorgaben.
Eilverfahren โ Daueranspruch
Der Klรคger erhielt die Apherese aufgrund eines Eilbeschlusses vorlรคufig โ befristet. Fรผr die Vergangenheit sollte nun der Anspruch festgestellt werden, um Erstattungen zu verhindern. Das LSG stellt klar: Fรผr den geprรผften Zeitraum kein Sachleistungsanspruch. Folgezeitrรคume sind nicht automatisch umfasst und mรผssen gesondert beurteilt werden.
Was Betroffene jetzt konkret tun sollten
Wer eine Apherese benรถtigt, muss die Patientenakte lรผckenlos und belastbar aufbereiten: Dazu gehรถrt, dass die medikamentรถse Behandlung wirklich ausgeschรถpft ist und dies sauber nachvollziehbar dokumentiert wird โ von der Statin-Maximierung รผber Ezetimib und Bempedoinsรคure bis hin zu PCSK9-Inhibitoren, jeweils mit Angaben zu Dosierungen, Vertrรคglichkeit, erzielten Effekten und mรถglichen Nebenwirkungen.
Ebenso wichtig ist der Beleg einer tatsรคchlichen Verschlechterung der Erkrankung: Es reicht nicht, โschwer krankโ zu sein, vielmehr braucht es einen dokumentierten Verlauf โ klinisch etwa รผber Ereignisse, Symptomatik oder funktionelle Tests und zusรคtzlich bildgebend mit vergleichbaren Zeitpunkten.
Achten Sie auรerdem auf eine klare zeitliche Trennung: Erstantrag, Verlรคngerung und spรคtere Zeitrรคume mรผssen jeweils mit eigenen Unterlagen untermauert werden. Parallel sollte die gesamte Risikosteuerung konsequent nach Leitlinie optimiert werden โ etwa Herzinsuffizienz-, Antianginosa- sowie Nieren- und Gefรครtherapie.
Auch das flieรt in die Bewertung ein, ob eine Apherese wirklich als โletzte Rettungโ (Ultima ratio) notwendig ist.
รbersichtlich erklรคrt
Voraussetzung | Was das Gericht verlangt |
LDL im Normbereich | Maรgeblich ist der medizinische Normbereich < 100 mg/dl, nicht der Hochrisiko-Zielwert < 55 mg/dl. |
Ultima ratio | Alle zumutbaren Standardtherapien der Grunderkrankung mรผssen ausgeschรถpft sein (inkl. PCSK9), mit sauberer Dokumentation. |
Progredienz | Fortschreiten der kardiovaskulรคren Erkrankung klinisch und bildgebend nachweisen, zeitlich vergleichbar und aktuell. |
KV-Votum | Hilfreich, aber nicht bindend fรผr den Rechtsanspruch. |
Eilverfahren | Vorlรคufige Leistung ist kein Daueranspruch; fรผr die Vergangenheit evtl. Feststellungsklage wegen Rรผckforderungsrisiko. |
Einordnung
Das Urteil ist kein Grundsatzspruch, hat aber Signalwirkung: Ohne konsequente Ausschรถpfung der medikamentรถsen Optionen und ohne belastbare Fortschrittsbelege wird es fรผr die Apherese eng โ selbst bei extremem Lp(a). Fรผr Betroffene bedeutet das mehr Aufwand bei Dokumentation und Begrรผndung โ aber auch Klarheit, worauf es ankommt.