Neues Urteil zur Witwenrente: Hohe Nachzahlungen aber auch Rückforderungen

Lesedauer 4 Minuten

Die Anrechnung von Einkommen auf Witwen- und Witwerrenten ist seit Jahren komplex. Mit einer nun gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat das Thema neue Fahrt aufgenommen – spürbar bis in die Praxis der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Jahr 2025.

Bei der Einkommensanrechnung zählt das tatsächlich verfügbare Einkommen; steuerliche Verlustvorträge aus Vorjahren bleiben außen vor. Das öffnet Überprüfungen alter Bescheide – mit der Folge, dass in vielen Fällen Rückforderungen im Raum stehen, während in wenigen Konstellationen auch Nachzahlungen möglich sind.

Was das BSG konkret entschieden hat

Im Verfahren B 5 R 3/23 R stellte das BSG klar: Ein von der Finanzverwaltung anerkannter Verlustvortrag nach § 10d EStG ist bei der Bestimmung des auf eine Hinterbliebenenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen.

Maßgeblich ist das im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich zur Verfügung stehende Einkommen – nicht die steuerliche „Glättung“ über Vorjahresverluste. Damit bestätigte das Gericht die Linie, die den Zweck der Hinterbliebenenversorgung – Ersatz weggefallenen Unterhalts – in den Mittelpunkt stellt.

Warum das so viele Betroffene trifft

Die Entscheidung betrifft insbesondere Hinterbliebene mit schwankenden oder unternehmerischen Einkünften. Wer seine Rente bislang dadurch stabil halten konnte, dass Verluste aus früheren Jahren das aktuelle Einkommen steuerlich gemindert haben, kann sich darauf bei der Rentenberechnung nicht mehr berufen.

In der Folge prüft die DRV vermehrt Altfälle und laufende Bescheide. Medienberichte zeigen, dass daraus teils vierstellige Rückforderungen entstanden sind – in einem dokumentierten Fall wurden rund 12.600 Euro zurückverlangt.

Beispiel aus der Praxis

In den veröffentlichten Fallbeschreibungen wird sichtbar, wie gravierend die Folgen sein können: Eine Hinterbliebene musste eine fünfstellige Summe erstatten, weil die Rentenversicherung bei der Überprüfung nach dem BSG-Urteil steuerliche Verlustvorträge unberücksichtigt ließ und das reale, verfügbare Einkommen zugrunde legte. Solche Einzelfälle sind keine Blaupause für alle, markieren aber die Richtung der Verwaltungspraxis nach der höchstrichterlichen Klärung.

Was die Rentenversicherung jetzt prüft

Die DRV orientiert sich bei der Einkommensanrechnung am tatsächlich zufließenden Einkommen des vorangegangenen Kalenderjahres und passt mit jeder Rentenanpassung zum 1. Juli die Anrechnung neu an.

Für die Anpassung zum 1. Juli 2025 ist deshalb der Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2024 maßgeblich; höhere Einkommen in 2025 wirken dann erst ab Juli 2026. Entscheidend ist das bereinigte Nettoeinkommen – steuerrechtliche Verlustverrechnungen ändern daran nichts.

So wird Einkommen angerechnet

Bei Hinterbliebenenrenten werden oberhalb eines Freibetrags 40 Prozent des anrechenbaren Nettoeinkommens auf die Rente angerechnet. Zum Nettoeinkommen zählen neben Erwerbseinkünften auch Renten, Kapitaleinkünfte, Mieten/Pachten und bestimmte private Leistungen.

Für Erwerbseinkommen arbeitet die DRV mit pauschalen Abzügen, um vom Brutto- zum Nettoeinkommen zu gelangen. Das „Sterbevierteljahr“ bleibt von Anrechnungen ausgenommen. Die Grundlagen und Beispielrechnungen stellt die DRV transparent dar.

Wer besonders gefährdet ist

Erhöhte Aufmerksamkeit ist angezeigt, wenn neben der Witwen-/Witwerrente weiterhin Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit, aus Vermietung oder aus Kapitalanlagen zufließen oder wenn Einkommensverhältnisse komplex sind.

In diesen Konstellationen weichen steuerliche Ergebnisse und „verfügbares Einkommen“ besonders häufig voneinander ab – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Rentenberechnung und ein erhöhtes Risiko für Nachforderungen nach einer Überprüfung.

Was Betroffene jetzt tun sollten

Betroffene sollten jüngste Rentenbescheide systematisch durchgehen und die zugrunde gelegten Einkommensdaten mit den tatsächlich verfügbaren Einnahmen abgleichen.

Wo die DRV Rückforderungen erhebt oder Änderungen ankündigt, ist die Frist entscheidend: Ein Widerspruch ist in Deutschland innerhalb eines Monats möglich; Details finden sich in der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheids. Wer unsicher ist, sollte fachkundigen Rat einholen – etwa bei Rentenberatern oder spezialisierten Anwälten für Sozialrecht.

Reformen 2025: Erhöhung der Hinterbliebenenrenten und neue Freibeträge

Zum 1. Juli 2025 sind alle gesetzlichen Renten – und damit auch Witwen- und Witwerrenten – um 3,74 Prozent gestiegen. Gleichzeitig gelten höhere Freibeträge für die Einkommensanrechnung: Der monatliche Grundfreibetrag liegt seit Juli 2025 bei 1.076,86 Euro.

Pro waisenrentenberechtigtem Kind erhöht sich der Freibetrag um 228,42 Euro. Diese Werte gelten bundesweit einheitlich; die Ost-/West-Unterschiede beim Rentenwert sind bereits seit 1. Juli 2023 beseitigt.

Dezember 2025: Zuschlag wird Einkommen – mit Folgen für Hinterbliebene

Zum Dezember 2025 ändert sich der Umgang mit dem Zuschlag für frühere Erwerbsminderungs- bzw. Folgerenten: Der bisher separat gezahlte Zuschlag geht in die reguläre Monatsrente über und gilt dann als Einkommen im Sinne der Einkommensanrechnung bei der Witwenrente.

Das kann dazu führen, dass Hinterbliebenenrenten sinken, wenn durch den Zuschlag die Freibeträge überschritten werden.

Zugleich ist eine einmalige Nachzahlung möglich: Fällt der neu berechnete Zuschlag ab Dezember 2025 höher aus als zuvor, wird die Differenz pauschal für 17 Monate (Juli 2024 bis November 2025) nachgezahlt.

Rückforderungen und Verjährung: Was rechtlich gilt

Kommt die DRV zu dem Ergebnis, dass Leistungen zu Unrecht erbracht wurden, kann sie einen Rückforderungsbescheid erlassen. Der Erstattungsanspruch verjährt grundsätzlich in vier Jahren – maßgeblich ist nach § 50 Abs. 4 SGB X der Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Rückforderungsbescheid unanfechtbar geworden ist.

Daneben enthält § 45 SGB I eine vierjährige Verjährungsregel für Ansprüche auf Sozialleistungen. Je nach Konstellation greifen spezielle oder längere Fristen; die Details sind komplex und eine Prüfung des Einzelfalls – ggf. mit rechtlicher Unterstützung – ist ratsam.

Fazit: Jetzt handeln, Bescheide prüfen, Fristen wahren

Die BSG-Rechtsprechung setzt den Maßstab: Für die Einkommensanrechnung zählt das verfügbare Einkommen – nicht steuerliche Verlustvorträge. Zusammen mit den 2025er-Anpassungen und der Umstellung des Zuschlags zum Dezember ergeben sich für Hinterbliebene spürbare Veränderungen.

Wer Einkünfte neben der Witwenrente erzielt, sollte die eigenen Bescheide und die zugrunde gelegten Berechnungen sorgfältig prüfen, Belege zum aktuellen Einkommen geordnet bereithalten und neue Bescheide kritisch lesen.

Bei Unklarheiten oder Rückforderungen gilt: Fristen im Auge behalten und widersprechen, wenn die Berechnung aus Ihrer Sicht nicht stimmt. So lassen sich unberechtigte Kürzungen abwehren – und mögliche Nachzahlungen sichern.

Quellenhinweise (Auswahl): Bundessozialgericht zum Aktenzeichen B 5 R 3/23 R; Deutsche Rentenversicherung zu Freibeträgen, Beispielrechnungen und Zuschlag-Umstellung; Bundesregierung/BMAS zur Rentenanpassung 2025; ergänzend aktuelle Fach- und Medienberichte zu Praxisfällen und Auswirkungen