Wenn Partner einander Vollmachten erteilen, geschieht das meist aus Pragmatismus und Vertrauen. In Bedarfsgemeinschaften, die Bürgergeld beziehen, übernimmt häufig eine Person die Kommunikation mit dem Jobcenter.
Ein Fall vor dem Landessozialgericht (LSG) Bremen-Niedersachsen zeigt jedoch eindrücklich, wie riskant eine solche Vertretung werden kann, wenn Vertrauen missbraucht wird.
Eine ehemalige Leistungsbezieherin sollte rund 11.000 Euro erstatten, weil ihr damaliger Lebensgefährte trotz ihrer Arbeitsaufnahme weiterhin Bürgergeld-Leistungen für sie abgerufen und auf ein anderes Konto umgeleitet hatte.
Obwohl er strafrechtlich wegen Bürgergeld-Betrugs verurteilt wurde, blieb die zivil- bzw. sozialrechtliche Konsequenz für die Frau bestehen: Der Erstattungsbescheid des Jobcenters war nach Auffassung des LSG rechtmäßig.
Wie es zum Erstattungsbescheid kam
Die Frau lebte mit ihrer Tochter und ihrem Partner in einer Bedarfsgemeinschaft und erhielt seit Jahren Bürgergeld. Der Partner trat gegenüber dem Jobcenter als bevollmächtigter Vertreter auf und erledigte Anträge und Schriftwechsel.
Nach Ende der Elternzeit nahm die Frau eine Arbeit auf und wies ihren Partner an, die Bedarfsgemeinschaft entsprechend abzumelden. Stattdessen manipulierte er den Zahlungsfluss, fing Schreiben ab und ließ die Behörde im Glauben, es habe sich nichts geändert.
Als das Jobcenter später von der Erwerbstätigkeit erfuhr, setzte es die zu viel gezahlten Leistungen fest und verlangte die Rückzahlung.
Die Verteidigung: „Das Geld habe ich nie gesehen“
Vor Gericht argumentierte die Klägerin, die Leistungen seien nicht bei ihr angekommen; sie habe von den Handlungen ihres Partners nichts gewusst und daher dürfe man sie nicht in Anspruch nehmen.
Diese Sichtweise hat menschliche Plausibilität, verkennt aber den rechtlichen Kern, den das LSG in den Mittelpunkt stellte: nicht die tatsächliche Geldbewegung auf ein bestimmtes Konto, sondern die Frage, wer gegenüber dem Jobcenter als berechtigte Vertretung aufgetreten ist und wessen Verhalten der Leistungsberechtigten zuzurechnen ist.
Rechtlicher Hintergrund: Vertretungsmacht und Zurechnung
Die Vertretungsmacht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches erlaubt es, rechtsverbindlich im Namen einer anderen Person zu handeln. Eine ausdrückliche Vollmachtsurkunde ist nicht zwingend erforderlich; sie kann sich aus den Umständen ergeben, etwa wenn eine Person über längere Zeit erkennbar und geduldet die Behördenkorrespondenz führt.
In diesem Fall hatte der Partner die Kommunikation mit dem Jobcenter fortlaufend übernommen und war von der Frau ausdrücklich angewiesen worden, die Arbeitsaufnahme mitzuteilen. Aus Sicht des Gerichts trat er damit als ihr Vertreter auf.
Zurechnung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich die vertretene Person das Handeln des Bevollmächtigten rechtlich zurechnen lassen muss. Dies ist im Zivilrecht an verschiedenen Stellen angelegt und spielt auch im Sozialleistungsrecht eine Rolle, wenn es um die Verantwortung für Angaben gegenüber der Behörde geht.
Entscheidend ist nicht, ob der Vertreter subjektiv treu gehandelt hat, sondern ob er objektiv im Namen der vertretenen Person aufgetreten ist. Mit anderen Worten: Wer eine Vertretung einsetzt, trägt das Risiko von Pflichtverletzungen im Außenverhältnis, solange die Vertretungsmacht besteht.
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Bescheid prüfenLSG: Verantwortung folgt der Vertretung
Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin nicht. Es stellte darauf ab, dass der Partner aufgrund der erteilten oder zumindest geduldeten Vertretungsmacht im Namen der Frau handelte, als er die Mitteilungspflicht gegenüber dem Jobcenter pflichtwidrig unterließ und stattdessen Zahlungen umleitete.
Dieses Verhalten sei der Frau zuzurechnen. Die Tatsache, dass die Gelder tatsächlich nicht auf ihrem Konto ankamen, ändere an der Rückzahlungsverpflichtung nichts. Sozialleistungsrechtlich zählt, dass Leistungen ohne Rechtsgrund für ihre Person erbracht wurden, weil die Anspruchsvoraussetzungen mit der Arbeitsaufnahme entfielen und die notwendige Mitteilung unterblieb.
Widerruf als versäumte Option
Besonderes Gewicht legte das LSG darauf, dass die Frau die Vollmacht hätte widerrufen können. Ein Widerruf ist jederzeit möglich und sollte erfolgen, sobald Zweifel an der ordnungsgemäßen Vertretung bestehen, etwa bei einer Trennung oder grundlegenden Änderungen der Lebensumstände.
Nach Auffassung des Gerichts wäre der eingetretene Schaden zumindest begrenzbar gewesen, wenn die Klägerin die Vertretung zeitnah aufgehoben und selbst gegenüber dem Jobcenter gehandelt hätte. Dass sie diese naheliegende Möglichkeit nicht nutzte, sprach gegen sie.
Was der Fall für Bürgergeld-Beziehende bedeutet
Der Fall markiert eine klare Linie: Wer Dritte mit der Kommunikation gegenüber dem Jobcenter betraut, muss sich deren Handeln zurechnen lassen, solange die Vertretungsmacht besteht. Das schützt die Verwaltung, die sich auf die Wirksamkeit von Erklärungen und Mitteilungen verlassen darf, und verteilt das Risiko dorthin, wo die Kontrolle über die Vertretung liegt.
Für Bedarfsgemeinschaften heißt das, dass praktische Entlastung durch Delegation stets mit der Pflicht einhergeht, die Vertretung aktiv zu steuern, zu überwachen und bei Bedarf zu beenden. Gerade in sensiblen Phasen – etwa nach einer Elternzeit, bei Aufnahme einer Beschäftigung oder im Zuge einer Trennung – ist es unerlässlich, die eigene Leistungsberechtigung selbst und nachweisbar zu klären.
Prävention: Bewusst delegieren, Änderungen selbst melden
Im Alltag bedeutet das, Vollmachten bewusst und möglichst schriftlich zu erteilen, ihren Umfang klar zu umreißen und bei Zweifeln sofort zu reagieren. Wer eine Arbeit aufnimmt, sollte das Jobcenter unverzüglich und eigenhändig informieren und den Zugang zu Post, E-Mails oder Kundenkonten sichern.
Nach Trennungen oder Konflikten ist der Widerruf bestehender Vollmachten häufig zwingend, um Missbrauch auszuschließen. Digitale Zugangsdaten gehören in die eigene Hand; behördliche Schreiben sollten stets zur eigenen Kenntnis gelangen. Je klarer die Kommunikation dokumentiert wird, desto geringer ist das Risiko, für fremdes Fehlverhalten einzustehen.
Rückforderungen nicht automatisch hinnehmen
So eindeutig der vorliegende Fall ausgegangen ist, so wenig bedeutet er, dass jede Rückforderung rechtmäßig wäre. Jobcenterbescheide unterliegen rechtlichen Bindungen, Fristen und Begründungspflichten. Fehler bei der Sachverhaltsermittlung, bei der Anrechnung von Einkommen oder bei der Rechtsanwendung kommen vor.
Wer einen Erstattungsbescheid erhält, sollte die Begründung sorgfältig prüfen lassen, Fristen wahren und Widerspruch einlegen, wenn Zweifel bestehen. Eine fundierte Überprüfung klärt, ob tatsächlich ein rechtsgrundloser Leistungsbezug vorlag, ob die Höhe korrekt berechnet wurde und ob Zurechnungstatbestände greifen.
Fazit
Der entschiedene Fall ist weniger eine moralische Abrechnung mit dem Vertrauensbruch eines Partners, sondern ein rechtlicher Hinweis auf Verantwortungsstrukturen im Sozialleistungsbezug. Vertretung erleichtert den Alltag, verschiebt aber Risiken nicht auf die Behörde.
Wer Vollmacht erteilt, übernimmt Verantwortung für das Auftreten der vertretenden Person – und muss diese Verantwortung aktiv steuern. Bewusste Delegation, rechtzeitiger Widerruf und unmittelbare Meldung wesentlicher Änderungen sind die Schlüssel, um Rückforderungen zu vermeiden. Und wenn ein Bescheid kommt, bleibt der zweite Schlüssel die juristische Prüfung: nicht jede Forderung ist korrekt, aber jede verdient einen genauen Blick.