Seit dem 1. Juli 2025 gilt ein erhรถhter Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung. Die Nachberechnung des Aufschlags um 1,2 Prozentpunkte fรผr die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2025 hat in der Praxis jedoch eine folgenreiche Panne ausgelรถst: Bei zahlreichen Neurentnerinnen und Neurentnern wird derselbe Nachzahlungsbetrag ein zweites Mal einbehalten โ diesmal von der ersten Rentenzahlung an.
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt spricht von einer “unnรถtigen Doppelbelastung ohne sachliche Rechtfertigung”. Die Kritik richtet sich an die Deutsche Rentenversicherung (DRV), die bei der technischen Umsetzung auf eine โverwaltungsarme Lรถsungโ gesetzt habe โ einfach fรผr die IT, teuer fรผr Betroffene.
Was genau passiert ist
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben den rรผckwirkenden Pflegebeitragsaufschlag fรผr das erste Halbjahr 2025 bereits รผber ihre Gehaltsabrechnungen beglichen. Wer erst spรคter im Jahr 2025 in Rente ging, findet nun in seinem Rentenbescheid einen weiteren Einbehalt aufgrund desselben rรผckwirkenden Aufschlags.
Das Ergebnis ist eine doppelte Zahlung fรผr denselben Zeitraum: einmal als Beschรคftigte, ein weiteres Mal als Rentenbeziehende.
Nach Einschรคtzung von Rentenberatern trifft dies Millionen von Neurentnerinnen und Neurentnern, die im ersten Halbjahr 2025 noch beitragspflichtig beschรคftigt waren und erst danach in den Ruhestand gewechselt sind.
โVerwaltungsarme Lรถsungโ โ was hinter dem Begriff steckt
Die DRV spricht von einer โverwaltungsarmenโ Umsetzung. Gemeint ist, dass die Nachberechnung pauschal und standardisiert รผber die Rentenzahlung abgewickelt wird, ohne den individuellen Versicherungsverlauf im ersten Halbjahr 2025 im Detail gegenzurechnen.
Fรผr die Behรถrde spart dieser Ansatz Prรผfaufwand. Fรผr die Betroffenen bedeutet er, dass eine bereits รผber den Lohn abgefรผhrte Nachzahlung im Rentenbezug noch einmal abgezogen wird. Rentenberater kritisieren, die Verwaltung habe ein IT-freundliches Verfahren gewรคhlt, das die Last auf die Versicherten verlagere.
Wer besonders betroffen ist
Betroffen sind Rentnerinnen und Rentner, die zwischen Januar und Juni 2025 in einem Beschรคftigungsverhรคltnis standen, aus deren Lohn der rรผckwirkende Pflegebeitragsaufschlag bereits erhoben wurde und die im Laufe des Jahres 2025 erstmals eine gesetzliche Rente beziehen.
Fรผr diese Gruppe erscheint der erneute Einbehalt รผber die Rente als sachlich nicht begrรผndbare Doppelzahlung.
Wer bereits vor dem 1. Januar 2025 Rentnerin oder Rentner war oder wer im ersten Halbjahr 2025 keine beitragspflichtige Beschรคftigung hatte, ist typischerweise nicht in dieser Konstellation.
Rechtliche Einordnung und Streitpunkte
Inhalt des Streits ist die Frage, ob die pauschale Nachberechnung รผber den Rentenbezug rechtlich trรคgt, wenn fรผr den identischen Zeitraum bereits eine Nachzahlung aus Beschรคftigung geleistet wurde.
Wรคhrend die DRV von einer rechtlich gedeckten Vorgehensweise ausgeht, halten Kritiker entgegen, dass es an einer materiellen Grundlage fรผr den zweiten Einbehalt fehlt.
Das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit fordere eine Vermeidung von Doppelbelastungen. Entscheidend ist am Ende der Einzelfall: maรgeblich sind der Versicherungsverlauf und die dokumentierten Abzรผge im ersten Halbjahr 2025.
So prรผfen Betroffene ihren Rentenbescheid
Wer 2025 neu in Rente gegangen ist, sollte den Rentenbescheid und die Zahlungsmitteilung sorgfรคltig lesen. Relevante Anhaltspunkte sind der Ausweis des Pflegeversicherungsbeitrags, Hinweise auf rรผckwirkende Abzรผge sowie der Zeitraum, auf den sich die Nachberechnung bezieht.
“Parallel lohnt der Blick in die Gehaltsabrechnungen Januar bis Juni 2025: Ist dort eine rรผckwirkende Erhรถhung des Pflegebeitrags ausgewiesen, liegt es nahe, dass diese Nachzahlung bereits erfolgt ist”, sagt der Experte “Stimmen Indizien fรผr eine Doppelbelastung รผberein, empfiehlt sich eine formale Reaktion”, so Anhalt.
Fristen und Wege: Widerspruch oder รberprรผfungsantrag
Gegen einen Rentenbescheid kann grundsรคtzlich binnen eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch eingelegt werden.
Diese Frist ist kurz und strikt. Ist sie bereits verstrichen, bleibt der รberprรผfungsantrag nach ยง 44 SGB X. Mit ihm lรคsst sich โ unabhรคngig von der Widerspruchsfrist โ die Rechtmรครigkeit eines bestandskrรคftigen Bescheids รผberprรผfen. Voraussetzung ist, dass der Bescheid von Anfang an rechtswidrig war und dadurch Beitrรคge zu Unrecht erhoben wurden.
In beiden Fรคllen gilt: Sorgfรคltige Begrรผndung und Belege erhรถhen die Erfolgsaussichten.