Das Merkzeichen H steht für Hilflosigkeit und zählt zu den wichtigsten Einstufungen im deutschen Schwerbehindertenrecht. Wer dieses Merkzeichen erhält, kann auf weitreichende Nachteilsausgleiche zurückgreifen – finanziell, organisatorisch und alltagspraktisch. Doch was bedeutet Hilflosigkeit genau, welche Erkrankungen führen häufig zu dieser Einstufung und wie urteilen die Gerichte?
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet das Merkzeichen H?
Hilflos ist nach deutschem Recht, wer dauerhaft, täglich und in erheblichem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen ist. Ausschlaggebend ist ein täglicher Hilfebedarf von mindestens zwei bis drei Stunden, verteilt über den Tag.
Dieser muss grundlegende Lebensbereiche betreffen – etwa Körperpflege, Ernährung, Orientierung, Mobilität, Kommunikation oder Haushaltsführung. Entscheidend ist zudem die ständige Bereitschaft einer Hilfsperson, ohne die der Alltag nicht zu bewältigen wäre.
Kriterien für das Merkzeichen H
| Kriterium | Erläuterung |
|---|---|
| Rechtliche Grundlage | Merkzeichen H wird eingetragen, wenn der Mensch im Sinne von § 33b Abs. 6 EStG und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV, Anlage zu § 2, Teil A Nr. 4) als „hilflos“ gilt. |
| Dauer der Hilflosigkeit | Die Gesundheitsstörungen und der Hilfebedarf müssen nicht nur vorübergehend sein, also langfristig (in der Regel > 6 Monate). |
| Grunddefinition „hilflos“ | Hilflos ist, wer infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Tagesablauf dauernd fremder Hilfe bedarf. |
| Typische Verrichtungen des täglichen Lebens | Insbesondere: An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme (Essen/Trinken), Körperpflege, Verrichten der Notdurft, notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung sowie Kommunikationsmöglichkeiten. |
| Umfang der Hilfe (Zeitfaktor) | Nach der Rechtsprechung wird Hilflosigkeit in der Regel bejaht, wenn täglich mindestens ca. 2 Stunden Hilfe bei mindestens drei der genannten Verrichtungen erforderlich sind (Verteilung über den Tag). |
| Art der Hilfe | Es reicht nicht nur körperliche Hilfe: Auch Anleitung, Überwachung oder eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung (z. B. bei Anfallsgefahr) zählen als Hilfebedarf. |
| Erheblichkeit der Hilfe | Die Hilfe muss in ihrem Umfang erheblich sein, also für zahlreiche Verrichtungen dauerhaft erforderlich sein. Einzelne Tätigkeiten (z. B. nur Hilfe beim Anziehen einzelner Kleidungsstücke) reichen nicht aus. |
| Nicht berücksichtigte Tätigkeiten | Tätigkeiten der hauswirtschaftlichen Versorgung (z. B. Kochen, Putzen, Einkaufen) werden für die Beurteilung der Hilflosigkeit im Sinne des Merkzeichens H nicht mitgezählt. |
| Typische Fallgruppen (immer/fast immer H) | Ohne große Einzelfallprüfung wird Hilflosigkeit meist angenommen bei:
|
| Zusammenhang mit Pflegegrad | Ein hoher Pflegegrad ist ein starkes Indiz: Bei Pflegegrad 4 oder 5 wird Hilflosigkeit in der Praxis meist bejaht. Bei Pflegegrad 3 erfolgt eine genaue Einzelfallprüfung; Pflegegrad 2 reicht in der Regel nicht aus. |
| Kinder und Jugendliche | Bei Minderjährigen wird der Hilfebedarf mit dem eines gesunden Kindes gleichen Alters verglichen. Hilflosigkeit liegt nur vor, wenn der zusätzliche Hilfebedarf deutlich darüber hinausgeht. |
| Geringer Hilfebedarf | Wer nur in relativ geringem Umfang (z. B. etwa 1 Stunde am Tag) auf Hilfe angewiesen ist, gilt in der Regel nicht als hilflos im Sinne des Merkzeichens H. |
Typische Gründe für das Merkzeichen H
Obwohl das Merkzeichen nicht an Diagnosen, sondern an den tatsächlichen Hilfebedarf gebunden ist, treten Hilflosigkeit und das Merkzeichen H bei bestimmten Erkrankungen besonders häufig auf. Dazu gehören schwere neurologische Erkrankungen wie fortgeschrittene Multiple Sklerose, ALS oder Parkinson, Demenzen und schwere kognitive Störungen.
Auch weit fortgeschrittene Tumorerkrankungen, schwere Herz- oder Lungenerkrankungen sowie ausgeprägte psychische Erkrankungen mit massiven Alltagsbeeinträchtigungen führen oft zur Hilflosigkeit. Bei Kindern sind es häufig angeborene oder frühkindliche Störungen wie Trisomie 21, komplexe Epilepsien oder seltene genetische Erkrankungen, die zu einem umfassenden Hilfebedarf führen.
Rechtsprechung in der Praxis
Die Sozialgerichtsbarkeit stellt klar: Entscheidend ist immer der reale tägliche Hilfebedarf – nicht Lebensalter, Diagnose oder ein bestimmter GdB. So urteilte das Sozialgericht München (16.03.2022, Az. S 48 SB 1230/20), dass das Merkzeichen H nicht wegen Volljährigkeit entfällt, wenn weiterhin erhebliche Anleitung, Überwachung oder körperliche Unterstützung erforderlich sind.
Das LSG Niedersachsen-Bremen (10.04.2019, Az. L 10 SB 111/17) bestätigte, dass eine junge Erwachsene mit autistischer Störung weiterhin Anspruch auf das Merkzeichen hat, da ihr Hilfebedarf deutlich über das altersübliche Maß hinausgeht.
Und das Sozialgericht Detmold (Az. S 15 SB 1021/19) entschied, dass selbst bei einem GdB von nur 40 Hilflosigkeit vorliegen kann, wenn ein Kind täglich umfangreich betreut, überwacht und angeleitet werden muss.
Welche Nachteilsausgleiche sind mit dem Merkzeichen H verbunden?
Das Merkzeichen H eröffnet Betroffenen spürbare Vorteile. Besonders bedeutend ist der erhöhte steuerliche Pauschbetrag von 3.700 Euro jährlich, der viele Familien und Einzelpersonen finanziell entlastet.
Häufig bestehen zusätzlich Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung oder Erleichterungen beim Rundfunkbeitrag. Im Bereich Mobilität bringt das Merkzeichen H entscheidende Vorteile: Begleitpersonen fahren im öffentlichen Nah- und Fernverkehr kostenlos mit, und häufig werden Assistenzleistungen schneller bewilligt. Auch die Genehmigung von Hilfsmitteln, Therapien oder Unterstützungsdiensten verläuft in vielen Fällen unkomplizierter.
Tabelle: Alle “Vorteile” des Merkzeichen H
| Nachteilsausgleich | Beschreibung / Hinweise |
|---|---|
| Behinderten-Pauschbetrag (7.400 € p.a.) | Menschen mit Merkzeichen H erhalten nach § 33b EStG einen erhöhten Behinderten-Pauschbetrag von derzeit 7.400 € jährlich (gilt auch bei Merkzeichen Bl/TBl). Der Pauschbetrag kann statt der Einzelaufstellung außergewöhnlicher Belastungen geltend gemacht werden; bei Kindern ist eine Übertragung auf die Eltern möglich, wenn diese Anspruch auf Kindergeld/Kinderfreibetrag haben. |
| Fahrtkostenpauschale (4.500 € p.a.) | Für schwerbehinderte Menschen mit Merkzeichen H kann nach § 33 Abs. 2a EStG eine behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale von 4.500 € jährlich als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden (gilt u. a. auch für aG, Bl, TBl). |
| Pflege-Pauschbetrag für Pflegende (bis 1.800 €) | Wer eine Person mit Merkzeichen H zu Hause unentgeltlich pflegt, kann als Pflegeperson einen Pflege-Pauschbetrag bis zu 1.800 € p.a. geltend machen (steuerlicher Freibetrag). Voraussetzung u. a.: keine Vergütung für die Pflege; bei Eltern ist das Pflegegeld unschädlich, sofern es für Hilfen verwendet wird. |
| Unentgeltliche Beförderung im ÖPNV (Wertmarke kostenlos) | Mit Merkzeichen H besteht Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (Bus, Straßenbahn, U-/S-Bahn, Nahverkehrszüge) mit Beiblatt und Wertmarke. Inhaber von Merkzeichen H erhalten die Wertmarke kostenlos, während andere Merkzeichen (z. B. G, Gl) eine Eigenbeteiligung zahlen müssen. |
| Kfz-Steuerbefreiung / -ermäßigung | Statt der Freifahrt im ÖPNV kann (je nach Konstellation) eine Befreiung von der Kfz-Steuer nach § 3a Kraftfahrzeugsteuergesetz beansprucht werden, wenn ein Fahrzeug auf die schwerbehinderte Person mit Merkzeichen H zugelassen ist und überwiegend für deren Fahrten genutzt wird. Ein Wechsel zwischen ÖPNV-Freifahrt (Wertmarke) und Kfz-Steuervergünstigung ist möglich. |
| Übernahme von Krankenfahrten | Bei Merkzeichen H übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel Fahrten zur ambulanten Behandlung (Krankenfahrten), wenn die medizinischen Voraussetzungen erfüllt sind. Meist ist hierfür keine gesonderte vorherige Genehmigung erforderlich, da die Hilflosigkeit als „schwerwiegende Beeinträchtigung“ anerkannt ist. |
| Rundfunkbeitrag (Befreiung/Ermäßigung) | Personen mit Merkzeichen H können sich in vielen Fällen vom Rundfunkbeitrag befreien lassen oder eine ermäßigte Beitragshöhe beantragen. Der Antrag erfolgt bei der zuständigen Rundfunkbeitragsstelle (ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice) unter Vorlage des Schwerbehindertenausweises. |
| Hundesteuerbefreiung (örtliche Regelung) | Zahlreiche Gemeinden befreien Menschen mit Merkzeichen H für bestimmte, ausgebildete Hunde (z. B. Assistenz- oder Begleithunde) von der Hundesteuer oder gewähren Ermäßigungen. Geregelt wird dies jeweils in der örtlichen Hundesteuersatzung. |
| Weitere kommunale Vergünstigungen | Viele Städte und Landkreise gewähren bei Merkzeichen H zusätzliche Vergünstigungen (z. B. Ermäßigungen oder Freikarten für Schwimmbäder, Museen, Theater, kommunale Einrichtungen). Art und Höhe sind lokal sehr unterschiedlich und in Satzungen oder Richtlinien der Kommune geregelt; Auskunft erteilen Rathaus/Sozialamt. |
Wichtig: Die Tabelle listet die typischen bundesweit relevanten Nachteilsausgleiche beim Merkzeichen H (Steuerrecht, Mobilität, Sozial- und Beitragsrecht) sowie häufige kommunale Vergünstigungen auf. Details wie Beträge und Voraussetzungen (z. B. 7.400 €-Pauschbetrag, 4.500 €-Fahrtkostenpauschale, 1.800 € Pflege-Pauschbetrag, freie ÖPNV-Nutzung, Kfz-Steuerbefreiung, Rundfunkbeitragsbefreiung) sind in EStG, KraftStG bzw. speziellen Verordnungen geregelt.
Drei Beispiele aus der Praxis
Die 72-jährige Frau K. mit Demenz findet ihre Wohnung kaum noch selbstständig, vergisst Mahlzeiten und benötigt bei Körperpflege und Medikamenten täglich zuverlässige Unterstützung. Der Hilfebedarf liegt deutlich über zwei Stunden täglich – das Merkzeichen H war folgerichtig zuerkennen.
Der 45-jährige Herr B. mit fortgeschrittener Multipler Sklerose benötigt aufgrund spastischer Lähmungen Hilfe beim Essen, Anziehen und bei Transfers. Eine ausgeprägte Fatigue verschärft seine Einschränkungen. Das Merkzeichen H schafft ihm Zugang zu Assistenzangeboten und erleichtert Mobilitätshilfen.
Der fünfjährige Tim mit schwerer Epilepsie und Entwicklungsverzögerung braucht ständige Überwachung, insbesondere nachts. Seine Eltern müssen bei Ernährung, Kommunikation und Orientierung durchgehend unterstützen. Das Merkzeichen H entlastet die Familie finanziell und organisatorisch.
FAQ – Die fünf wichtigsten Fragen zum Merkzeichen H
1. Brauche ich einen Pflegegrad, um das Merkzeichen H zu erhalten?
Nein. Beide Systeme sind unabhängig voneinander, auch wenn sich die Einschätzungen oft überschneiden.
2. Wie lange gilt das Merkzeichen H?
Es kann befristet oder unbefristet vergeben werden. Bei Befristungen entscheidet eine erneute Prüfung.
3. Wie beantrage ich das Merkzeichen H?
Der Antrag erfolgt beim zuständigen Versorgungsamt. Wichtig sind aussagekräftige medizinische Unterlagen, die den täglichen Hilfebedarf dokumentieren.
4. Gilt auch Beaufsichtigung oder Anleitung als Hilfe?
Ja. Hilflosigkeit umfasst körperliche Unterstützung ebenso wie Anleitung, Erinnerung, Beaufsichtigung oder Schutzmaßnahmen.
5. Kann das Merkzeichen H wieder aberkannt werden?
Ja, wenn sich der Hilfebedarf reduziert oder der Gesundheitszustand verbessert. Behörden prüfen dies regelmäßig oder anlassbezogen.
Fazit: Warum das Merkzeichen H wichtig ist
Das Merkzeichen H ist ein zentrales Instrument, um Menschen mit tiefgreifenden gesundheitlichen Einschränkungen echte Teilhabe zu ermöglichen. Es erleichtert den Alltag, senkt finanzielle Belastungen und sorgt dafür, dass Personen mit umfassendem Hilfebedarf die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Kurz: Das Merkzeichen H macht das Leben vieler Betroffener nicht nur leichter – es macht es überhaupt erst handhabbar.




